Schuldgefühle

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John :

Ich konnte es immer noch nicht glauben. Fünfzehn Jahre und Mycroft hatte die ganze Zeit nichts mitbekommen. Fünfzehn Jahre um die ganze Welt, sogar in London direkt an seiner Nase vorbei und es war Mycroft nie aufgefallen. Oder, dass Sherlock jetzt eine Familie hatte. Mit Kindern. Zwei Kindern!!! Ich wusste ehrlich nicht, was unglaublicher war.
Wer mich jetzt aber wirklich interessierte, war Alexander. Er hatte den Eindruck gemacht, als hätte er vergessen, erwachsen zu werden doch andererseits war er bei der CIA. Und dann war da noch die Sache mit seinem Hass auf London. Was war damals bloß passiert?
Als wir am Strand gewesen waren, hatte Mary ihnen erzählt, was Lilly zu Mycroft gesagt hatte. Alle waren vor Lachen fast von den Liegen gefallen und Alex hatte "Du hast meinen Bruder beleidigt? Nur weiter so!'' gesagt. Es war ein wunderschöner Abend geworden.
Jetzt waren wir nach einer Woche wieder zurück. Es war der Ostermorgen. Ich hatte die ganze Nacht wach im Bett verbracht. Ich sah auf die Uhr. Es hatte sich wie eine Ewigkeit angefühlt, dabei hatte ich erst vor zwei Minuten auf die Uhr gesehen.
6:38 Uhr.
Seufzend setzte ich mich auf.
"Die gesamte Nachbarschaft schläft noch, John." Genervt drehte Mary sich auf die andere Seite.
"Fragst du dich auch, was Sherlock gerade tut", fragte sie jetzt.
Verwundert sah ich sie an. "Du auch?"
"Aber natürlich." Sie setzte sich näher an mich heran. "Ich wusste eben so wenig, dass er noch lebt, wie du."
Eine Pause trat ein.
"Glaubst du, Lilly schläft?"
"Glaub ich nicht."
"Was, denkst du, tut sie?"
"Sich die neusten Geschehnisse aus Bangkok im Internet durchlesen und überlegen, für welchen der Unfälle Moriarty verantwortlich ist?"
"Ja, könnte gut sein."
Einige Stunden später, wir hatten zusammen zu Mittag gegessen und Lilly und George waren auf ihr Zimmer gegangen, klingelte das Telefon. Ich ging ran.
"Hallo, John", seufzte Mycroft in den Hörer. "Ich habe hier etwas, das Sie sehen sollten."
"Ihnen auch ein frohes Osterfest."
Ich stellte mir vor, wie Mycroft genervt die Augen verdrehte.
"Worum geht es denn?"
"Streng geheime Informationen."
"Über?"
"Jim Moriarty und Hamish Scott."
Ich unterdrückte den Drang, auch nur ein Wort drüber zu verlieren.
"Also gut. Wo?"
Doch Mycroft hatte schon aufgelegt.
"Warum heute, John?" Mary hatte nur mitbekommen, dass ich fort musste.
"Streng geheime Informationen", wiederholte ich seine Worte.
"Gut, aber du musst so tun, als ob alles völlig normal wäre."
"Das ist mir klar." Kopfschüttelnd verließ ich unser Haus, das inzwischen auch wieder wie neu war und stieg in den Wagen, der vor der Einfahrt stand.

Mycroft :

"Also schön, was sind das für Informationen, die Sie mir ausgerechnet heute und hier geben mussten?" John setzte sich.
Ich gab es ihm.
"Was ist das?"
"Mein Handy, John. Was sonst?"
Immer diese unnötigen Fragen, auf die er selbst die Antwort kannte.
"Was soll ich damit?"
"Schauen Sie sich die letzten paar SMS an."
Er tat es... und verstand, wie ich erwartet hatte, kein Wort.
"Was soll das bedeuten?"
"Keine Ahnung."
"Was ist 'das Glück' ?"
"Wie gesagt, ich weiß es nicht. Ich hatte gehofft, du könntest irgendwas wissen. Schließlich hast du dich ja persönlich mit dem Jungen unterhalten können."
"Ach, Sie meinen Hamish?"
Warum war er überrascht darüber?
"Wen denn sonst?"
Ich verlor die Geduld.
"Er hat nichts dergleichen auch nur angesprochen", stellte er klar.
"Und sonst?"
"Hören Sie, Mycroft, wenn sie wissen wollen, was ich weiß, fragen Die doch gleich ihre toten Brüder!"
Ich sah ihn entsetzt an.
"Was haben Sie gerade gesagt?"
"Ich sagte: Wenn Sie wissen wollen, was ich weiß, fragen Sie doch gleich ihren toten Bruder."
"Nein, Sie sagten ihre toten Brüder."
"Nein, tat ich nicht. Sie haben doch nur einen Bruder, oder?"
Mir wurde ganz übel.
"Richtig."
"Also warum hätte ich Brüder sagen sollen."
"Keine Ahnung. Ich hab mich wohl verhört. Sie können gehen, John."
Ohne zu zögern, stand dieser auf und verließ den Raum wieder.
Warum, zum Teufel, hatte ich Brüder gehört. Ich sah mir die Weinflasche auf dem Tisch an. Nein, am Wein konnte es nicht liegen. Es war ein guter Jahrgang und erst mein erstes Glas, das ich noch nicht einmal berührt hatte.
Ein Geräusch ertönte. Das Geräusch meines Handys. Eine Nachricht.
Jemand hatte mir ein Bild geschickt.
Ich starrte auf das Display. Sherlock und Alexander waren darauf zu sehen. Sie waren auf dem Foto erst fünf und drei Jahre alt gewesen.
Was wollte Moriarty damit bezwecken? Schuldgefühle hatte ich eh schon.

Sherlock :

Woher haben sie dieses Foto?
schrieb ich zurück, als ich das Bild erkannte.
Ach, hab ich von euren Eltern. Naja nicht direkt von ihnen. Ich hab im ganzen Haus nach so etwas Niedlichem suchen müssen. JM

Und was wollen Sie damit. SH

Nun ja. Ihr Bruder hat es auch schon gesehen. JM

Wozu sollte das gut sein?SH

Oh, ich denke, das wirst du gleich sehr bald von John erfahren. Und noch einiges mehr. JM

Ich runzelte die Stirn. Was hatte dieser Mistkerl bloß vor? Nun rief tatsächlich John an.
"John?"
"Sherlock. Ich glaube hier hängen überall Fotos von euch rum. In ganz London. Ein Foto von euch, als ihr klein wart."
"Ganz London?! Jim Moriarty, du bist echt hobbylos."
Anscheinend gingen ihm seine Zeitvertreib - Ideen aus.
"Du weißt von dem Foto?"
"Er hat es mir geschrieben. Aber das ist nicht der einzige Grund, weshalb du anrufst, oder?"
"Richtig. Mycroft hat mir die SMS' gezeigt, die er von Moriarty bekommen hatte."
"Und?"
"Naja..." John erzählte mir von dem Glück und Jims Rätsel. Als er fertig war, trat ich mit solcher Wucht , dass alle im Haus es gehört haben mussten, gegen die Tür. Ich hatte schon aufgelegt und das Handy quer durch den Raum geworfen, als die anderen kamen.
"Dieser Dreckskerl hatte das schon die ganze Zeit vorgehabt. Seit wir aus England fort waren, musste er gewusst haben, was er tat. Entweder, wir lassen alle Menschen sterben oder Mycroft erfährt, dass wir noch leben. Moriarty würde in beiden Fällen im Vorteil sein."
"Oder Mycroft hat wirklich Schuldgefühle und wird sich einfach nur freuen, euch zu sehen."
Alex und ich lachten freudlos.
"Ich bewundere deinen grenzenlosen Optimismus, Molly", lobte Alex
"Aber ganz ehrlich: Es ist Mycroft!!!
Ich weiß, ich hab da eine Menge verpasst, aber sag mir bitte, wann er das letzte Mal froh war, Sherlock zu sehen... wenn es ihm wirklich irgendwann leid getan haben sollte, fresse ich meinen imaginären Hut."
Ich war ganz seiner Meinung. Ich würde zwar keinen Hut essen, egal ob imaginär oder nicht, aber ich war seiner Meinung.
"Okay andere optimistische Theorie: Was wäre, wenn ihr es auch ohne Mycroft schaffen könntet? Wir haben das auch sonst immer geschafft, also warum nicht auch diesmal?", fragte Irene.
"Möglich wäre es, aber ich denke, es wird viel komplizierter, als sonst. Immerhin geht es hier um eine ganze Stadt. Und außerdem waren wir sowieso meistens nur Moriartys Zeitvertreib. Er hat sich wahrscheinlich so gut wie nie..."
"Oh doch, er hat sich Mühe gegeben. Jedes Mal. Sonst wäre es viel zu schnell vorbei gewesen", unterbrach ich ihn.
"Ich will nur darauf hinweisen, dass es nicht einfach wird."
"Na, dann beeilt euch mal", schlug Hamish vor. "Ihr habt eine Menge Arbeit vor euch und noch etwa zwei Monate Zeit. Was kann ich tun?"
Sofort machten wir uns an die Arbeit, doch eines stand weiterhin fest:
Wenn wir London auf diese Weise nicht retten konnten, dann auf keine, denn Alex würde sich nie wieder mit Mycroft versöhnen können.

Past and Future ~ Sherlock-FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt