Ein kaputtes Auto am 2. Advent (Hamit Yildirim; Pfefferkörner)

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Triggerwarnung: Magersucht

Mit schweren Schritten verließ ich meine Winterbehausung. Ich musste Holz hohlen und der Weg war eiskalt und glatt. Sehr glatt. Auf der Strecke von ca zwanzig Metern fiel ich dreimal hin. Mein Hintern tat inzwischen weh und ich hatte letzte Nacht einen Traum, dass mein Wasserkocher kaputt gegangen war. Mit meinem Notfall-Handy hatte ich Johannes gebeten mir einen zu kommen zu lassen. Mein einziger Freund in der Nähe von Hamburg. Zwar hatte er zurück geschrieben, aber die Nachricht war nicht die, die ich erwartet hätte.

Johannes: Ok. Ich schicke dir jemanden. Derzeit liege ich flach, mit einer starken Grippe. Das ist dieses Jahr dann mein Weihnachtsgeschenk für dich.

Vielleicht war es ganz gut, dass der Junge nicht die zwei Stunden hierher fuhr, nur um mir einen verkackten Wasserkocher vorbei zu bringen. Der Millionär hatte aber dennoch das Geld dafür. Er würde mir auch eine Zahnseide besorgen und bringen, wenn ich ihn ganz freundlich bitten würde. Was ich nie tat.
Ich wusste es selbst nicht genau. Aber eigentlich war ich von Natur aus recht frech und unfreundlich. Aber der Blonde sagte, es wäre irgendwie witzig, wenn ich manchmal irgendwelche Passanten anschnauzte, die mich nur nach dem Weg fragten.

Bevor ich ein viertes mal hinfallen konnte, war ich bei dem riesigen Holzstoß angekommen. Meine Hände waren, selbst in den dicken Handschuhen, wahre Eisklumpen. Ich beobachtete während dem Stapeln des splitternen Holzes meinen Atem. Für mich war das eines der Highlights der Kälte, wenn ich "dampfte".
Auf einmal vernahmen meine Ohren einen Motor.
Und da ich auf einem Berg mein Exil gezaubert hatte, sah ich auch gleich den fetten BMW, der die erste Kurve des Anhangs passierte. Das musste der Typ sein, von dem mein Kumpel gesprochen hatte!
Schnell vollendete ich meinen Stapel und trug ihn mit einer erzwungenen Leichtigkeit ins Holzhaus. Geschwind hatte ich den Korb abgestellt und etwas aufgeräumt, den Abwasch konnte ich auch noch später machen. Meine Kameras lagen von heute morgen immer noch auf dem Esstisch und warteten darauf, dass ich die Speicherkarte wechselte.
Ich blickte mich um.
Wo war denn meine Brille?
Irgendwann würde ich auch noch meinen Kopf verlieren, wenn er nicht...
"...festgewachsen wäre.", murmelte ich meinen Gedanken zuende.
Da war sie ja!
Sie war dunkelblau, kaum zu übersehen. Ich hatte dieselbe noch in rot. Einem extrem schönen Weinrot. Aber sie war kaputt gewesen, wie viele Sachen in meinem Leben, und wartete beim Optiker darauf, dass ich sie abholen würde.
Irgendeine von meinen Brillen suchte ich immer, und fand dann dafür die andere.

Der BMW fuhr vor. Meiner Ansicht nach war es ein BMW i8.

Mit Adlersaugen beobachtete ich den Mann, als er ausstieg. Er trug eine schwarze Anzughose, kombiniert mit einem weißen Rollkragenpulli. Ein Wintermantel hielt ihn warm und er zog, aufgrund der niedrigen Temperaturen hier oben, seine Lederhandschuhe über.
Mein Atmen setzte für eine Sekunde aus.
Oh nein! Nicht DER!

Hamit, der Bodyguard und Fahrer von Johannes besah sich in dem Moment die Umgebung, als ich wütend wie immer die Haustür zuknallte. Ein Augenblick später schaute er zu mir, doch ich war schon im Inbegriff in Richtung des Kofferraums zu laufen und die Sache schnellstmöglich hinter mich zu bringen.
"Alicia. Schön dich mal wieder zu sehen.", meinte er freundlich und rückte seinen Kragen zurecht. Eine Sache, die er gefühlt immer tat, wenn er aus einem Auto stieg.
"Halt die Klappe.", grüßte ich zurück. Augenverdrehend atmete ich tief ein. Bitte, halte einfach einmal deinen Rand...
Testweise rüttelte ich am Kofferraum. Natürlich. Zu.
"Der geht automatisch, wenn ich auf diesen Knopf...", wollte er erklären, doch ich brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen.
"Schon klar! Aber du fährst so viele Schrottkaren, dass man sich unmöglich jede Bedienungsanleitung merken kann!", ließ ich ihn wissen. Er war so ein Klugscheißer!
"Schrottkaren.", wiederholte er leise, als der Kofferraum endlich sein Innerstes zeigte.
Und das war mehr, als nur ein Küchengerät. Meine Augen wurden groß.
Zwei volle Kartons leuchteten mir entgegen und beide waren bis oben hin gefüllt mit Essen und anderem schönen Zeug.
In einem von ihnen konnte ich sogar Speicherkarten ausmachen und fragte mich sogleich, woher Johannes wusste, welche ich brauchte.
Naja, er war nicht umsonst ein Pfefferkorn. Wahrscheinlich hatte er einfach gegoogelt.
Auch Hamit blickte auf die Kisten und wollte wissen: "Was machst du hier oben eigentlich genau, so ganz allein?"
"Ich mache Bilder, du Vogel!", schnappte ich und packte mir die am schwersten aussehende Kiste.
Ich ging vor und schrie: "Pass auf dem Weg auf. Der ist glatt!"
Hinter mir hörte ich ein Stöhnen und musste etwas lächeln. Natürlich war es dem Schwarzhaarigen zu schwer. Nawww, armer Junge!
Fast musste ich über die Ironie lachen, da ich selber ganz schön etwas zu schleppen hatte.
Bei der Haustür angekommen, stellte ich die Box am Boden ab und suchte, durch Abtasten meiner Jacke, nach dem Schlüssel.
Und schon wieder... Ich atmete tief ein und ganz langsam wieder aus.
Hatte ich wirklich meinen Schlüssel im Haus liegen gelassen? Bei mir war das schon möglich, aber gerade ziemlich unpassend.
Wie auf Stichwort fragte er: "Schlüssel ist im Haus, nehme ich an?"
Böse starrte ich ihn kurz von der Seite an, um mich danach auf mein neues Problem zu konzentrieren.
"Warte ab. Ich hab meine eigenen Wege ins Haus."
Mit zwei Schritten stand ich vor dem Küchenfenster, weil ich genau wusste wie ich dieses Ding von außen auf bekam. Mit einem saftigen Tritt meinerseits, sprang es auf und ich hörte von drinnen etwas scheppern. Das waren bestimmt die schmutzigen Plätzchendosen.
"Brauchst du Hilfe?", genervt hörte ich Hamits Frage, ehe ich beschloss nicht zu antworten.
Gleichzeitig hob ich mich ins Fenster und rutschte von der Anrichte auf den Boden. Vorbei an den Dosen, ging ich zur Tür, um ihm die Tür zu öffnen.
Kaum war er drinnen, schnappte ich mir die andere Kiste vom Boden und deutete ihm mit einem satten Wumms, wo er die seine hinstellen konnte.

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