16 - Riskant

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Es vergehen viele Tage, an denen nicht wirklich etwas passiert. In der Schule ist es still geworden - zumindest gefühlt, da ich schon länger nicht mehr mit Frau Hartmann gesprochen habe. Ich war auch nur noch einmal bei Frau Schmidt. Ich habe ihr gesagt, dass ich mich mit meiner Beichte nicht mehr wohlfühle und ich deswegen außerhalb der Schule nach professioneller Hilfe suchen werde. Ob ich das wirklich tue, weiß ich noch nicht. Schließlich sind die Wartelisten elendig lang und ich weiß nicht, ob ich noch den Mut besitze, mich jemandem anzuvertrauen. Frau Schmidt hat jedenfalls recht verständnisvoll reagiert. Allerdings hat sie zum Schluss gefragt, ob Frau Hartmann sich mir gegenüber inzwischen eindeutiger verhalten hat - ob sie mir näher kam, auch wenn nur mit Worten. Ich hätte ihr zu gerne erzählt, was nach dem Gespräch zwischen mir und Frau Hartmann passiert ist, aber diesmal war ich schlauer und habe den Mund gehalten und sogar gelogen, indem ich mit schüttelndem Kopf erklärte, dass Frau Hartmann sich zu distanzieren scheint. Irgendwie tut sie das ja auch, aber nur physisch. Emotional spüre ich nach wie vor, dass sie meine heimlichen Gefühle nicht kalt lassen. Vermutlich hat sie Angst bekommen, als wir dort draußen im Schnee standen und beinahe sonst was passiert wäre. Zumindest möchte ich jetzt alles tun, um sie irgendwie zu schützen. Denn ich möchte nicht, dass jetzt davon ausgegangen wird, dass sie "wieder" ihren Gefühlen verfällt, dass sie sich ihnen vollkommen hingibt. Es ist schmerzhaft, denn eigentlich wünsche ich mir doch genau das - nur eben ohne diese negativen Konsequenzen.

Heute ist Freitag, es ist Ende Dezember und ab morgen beginnen die Ferien. Immerhin wird der Tag wahrscheinlich entspannt, da wir ein paar Weihnachtsfilme schauen wollen. Als wir gemeinsam mit Frau Hartmann zum kleinen Hörsaal gehen, versuche ich, mich auf meine unsicheren Schritte zu konzentrieren. Doch direkt hinter mir geht Frau Hartmann mit ihren selbstbewussten, festen Schritten. Ich kann jeden ihrer Schritte hören und ich bilde mir sogar ein, ihren Atem an meinem Hinterkopf zu spüren. Ich bin so nervös, dass ich fast schon stolpere. Liz blickt mich besorgt an und ich mache große ängstliche Augen, um ihr meine Hilflosigkeit zu signalisieren. Sie lächelt unbehaglich und nickt in Richtung des Saals: endlich sind wir da. Unsere Klassenkameraden stürmen nach und nach in den Raum, sodass nur noch die letzten zwei Reihen für mich und Liz übrig bleiben. Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass mich das stört. Wir machen es uns so gemütlich wie möglich und Liz fragt, ob alles wieder okay ist. Ihre Frage nicke ich bloß wortlos ab. Meine Konzentration wandert nach vorne zur Beamer-Leinwand, vor der Frau Hartmann leicht verzweifelt mit der Fernbedienung herumfuchtelt. Seit Wochen meckert sie, dass die Batterien wohl langsam leer gehen und sie dringend neue aus dem Lehrerzimmer besorgen müsse. Bisher hat sie das anscheinend nicht getan und ich finde es ehrlich gesagt ziemlich süß, dass sie deswegen immer wieder auf's Neue frustriert ist. Auch wenn es komisch klingt, fühle ich gerade wieder soviel wie noch nie zuvor. Und das habe ich in den letzten Monaten häufig gedacht, aber jedes mal fühlt sich alles intensiver an - immer wieder und wieder sind die Gefühle stärker, penetranter und mittlerweile unmöglich zu ignorieren. Als ich von Liz abgestupst werde, erinnere ich mich wieder daran, wie falsch meine Gefühle und Gedanken sind und dass sie vor allem total riskant sind. "Freust du dich auf den Film?", lächelt mir meine beste Freundin zu. Ich zucke mit den Schultern: "Ich hab schon längst vergessen, welchen wir zuerst schauen..." Und schon versinke ich wieder in Gedanken.

Mittlerweile geht das Licht aus und das Getuschel meiner Klassenkameraden wird allmählich leiser. Auch der Beamer ist endlich an und strahlt ein helles Licht an die Leinwand. Dann höre ich leise Schritte näher auf mich zukommen, drehe mich nach rechts und schaue dann direkt in Frau Hartmanns Augen. Sie lächelt vorsichtig und setzt sich neben mich. Zwar rutscht sie mit ihrem Stuhl noch ein paar Zentimeter von mir weg, um mir Freiraum zu lassen, doch trotzdem ist sie mir jetzt so nah wie schon lange nicht mehr. Es macht mir Angst und löst auch Freude in mir aus, da ich es irgendwie vermisst habe. Und auch wenn dieses Nebeneinandersitzen keinerlei Bedeutung haben mag, bedeutet es mir die Welt. Schließlich hätte sie sich auch ans andere Ende der Tischreihe setzen können - natürlich auch, um aufzupassen und vorsichtig genug zu sein, wegen der Sache mit Frau Schmidt. Aber sie hat sich dazu entschieden, bei mir und Liz zu sitzen..

That's not the love I had in mind. (TxS) (GxG)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt