17 - Geheimnisse

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Wir entfernen uns so schnell wie es geht voneinander und Frau Hartmann schnappt sich unauffällig die Fernbedienung: "Gott sei Dank bist du da, Tanja! Ich stehe seit zehn Minuten hier mit meiner Schülerin und versuche, die Fernbedienung zu reparieren." Sie klingt überaus überzeugend und lässt sich nichts anmerken, ihre genervten Seufzer von vorhin spielt sie nun schauspielerisch perfekt nach. Die Frau kommt nun auf uns zu und Gott sei Dank ist es nicht Frau Schmidt gewesen, ich hatte schon Angst. Das wäre vermutlich unser Untergang gewesen. Doch die Frau scheint echt nichts zu ahnen: "Ach, ich hab auch schon ewig Probleme mit dem Ding. Da müssen bestimmt nur neue Batterien rein...", grübelt die fremde Dame vor sich hin. "Wenn du Glück hast, Maria, sind noch welche im Lehrerzimmer?" Frau Hartmann nickt und verdreht lächelnd die Augen: "Die letzten Male waren keine da, dann stand ich immer hier und hab mich vor meinen Schülern zum Affen gemacht. Gott sei Dank ist Sophie so hilfsbereit gewesen und hat versucht, irgendwie zu helfen. Die anderen haben nicht mal darüber nachgedacht", scherzt sie mit ihrer Kollegin herum. "Ich weiß genau, was du meinst. Was ich dich aber eigentlich fragen wollte: Bist du dieses Jahr an Silvester mit Robert zusammen?" Ihre Frage spricht sie irgendwie total vorsichtig aus. Frau Hartmanns Gesichtsausdruck wird kurz traurig, aber sie scheint es im nächsten Moment sofort zu verstecken. "Ähm, dieses Jahr nicht, nein. Ich habe noch keine Pläne." Ihre Kollegin nickt lächelnd: "Ja, das hatte ich mir gedacht, dass Robert nicht bei dir sein wird - Gott sei Dank! Wenn du Lust hast, bist du herzlich zu uns eingeladen. Wir würden uns sehr freuen?" Frau Hartmann grinst dankbar, wirkt aber nicht so überzeugt davon. Sie denkt kurz nach und antwortet dann: "Das ist unglaublich nett von euch, ich überlege es mir noch, okay? Wir hören uns bis dahin bestimmt eh nochmal." Die Frau stimmt zu, umarmt meine Lehrerin zum Abschied und wünscht uns schöne Feiertage. Dann ist sie auch schon wieder weg und schließt Gott sei Dank auch die Tür. Jetzt stehe ich vor... Maria, anscheinend? Sie wirkt etwas durcheinander und unsicher. "Das war haarscharf...", flüstert sie, während sie große Augen macht und wieder die Fernbedienung hinlegt. "Tut mir leid, das war wirklich knapp...", sage ich beschämt. Mein Blick wandert herunter zum Boden. Ich schäme mich wirklich dafür, auch wenn wir es beide vielleicht wollten. Mindestens einer von uns hätte die Vernunft haben müssen, dies vorzeitig zu beenden. Wer weiß, was passiert wäre, wenn ihre Kollegin nur fünf Sekunden später reingekommen wäre. Auf einmal spüre ich Frau Hartmanns Hand an meinem Kinn. Sie drückt vorsichtig meinen Kopf nach oben, bis ich ihr wieder in die Augen schaue. "Mach dir keine Vorwürfe, wir hätten beide besser aufpassen müssen. Tanja hat aber auch nichts gemerkt, sonst hätte sie gleich was gesagt, glaube mir.", zwinkert sie mir zu. "Ich möchte Ihnen nicht zu Nahe treten, aber von wem hat sie eben gesprochen?" Frau Hartmann schaut mich überrascht, aber keineswegs vorwurfsvoll an: "Du meinst Robert? Das ist mein Mann. Also... Noch zumindest". Sie wirkt nachdenklich, fügt dann aber noch etwas hinzu: "Ich zähle schon die Tage, bis die Scheidung durch ist", lacht sie. Nun muss auch ich grinsen - ihr Lachen ist zu ansteckend. Ich mustere sie ein wenig, entdecke kleine Lachfalten an ihren Augen und sehe eine leichte Rötung an ihren Wangen. Mir wird wieder mal klar, wie wunderschön diese Frau eigentlich ist. Schneller als gedacht erwischt sie mich dabei, wie ich sie beobachte und sie vermutlich total verträumt anschaue, denn sie räuspert sich verlegen und errötet noch etwas mehr. "Was machst du denn eigentlich Schönes in den Ferien?", möchte sie neugierig wissen. "Weihnachten verbringe ich wie sonst auch recht ruhig mit meiner Familie. Auf Silvester freue ich mich schon - kennen Sie das Fest Silvesterbeben?" Sie nickt eifrig. "Ich werde mit Liz dort hingehen. Ich hab gehört, es ist nicht so voll dort, wie man es erwarten würde. Ich mag Menschenmassen nicht so sehr, von daher...", lächle ich. "Das klingt nach einem ausgesprochen guten Plan.. Ich war schon lange nicht mehr da..", grinst mir Frau Hartmann nachdenklich entgegen. Dann nimmt sie ihre Tasche in die Hand und sagt, dass wir langsam gehen sollten. Ich stimme ihr traurig zu und folge ihr einige Schritte bis hin zur Tür, die sie dann aber noch nicht öffnet. Ich bleibe hinter ihr stehen und schaue sie fragend an. Sie dreht sich zu mir um und fragt: "War das vorhin okay für dich? Ich will nur sicher gehen, dass ich wirklich nichts...-" Noch bevor sie zu Ende sprechen kann, unterbreche ich sie: "Frau Hartmann.. Keine Angst, Sie sind nicht zu weit gegangen. Zumindest empfinde ich das nicht so." Wieder sehe ich leichte Lachfalten - sie lächelt einen Tick zu dolle und kann so nicht mehr leugnen, was hier zwischen uns ist. Es fühlt sich immer noch unrealistisch an. Es ist eigentlich viel zu schön um wahr zu sein... "Ich wünsche dir das besinnlichste Weihnachtsfest, das du je hattest. Genieß deine freien Tage und komm gut zur Ruhe", lächelt sie aufrichtig, "...und vergiss mich nicht", zwinkert sie. Eigentlich möchte ich darauf antworten, doch sie öffnet so schnell die Tür, dass sie mir die Möglichkeit dazu nimmt. Wir gehen hinaus und sie signalisiert mir, dass sie nochmal ins Lehrerzimmer muss - ich hingegen muss in die andere Richtung. "Ich hoffe, Sie denken an die Batterien", lache ich leise auf. "Wer weiß, ob ich die in 10 Sekunden nicht wieder vergessen habe?", lacht nun auch sie, bis sie dann wieder ernst guckt, "...aber eines weiß ich: Dich werde ich nicht vergessen." Ihre letzten Worte spricht sie so leise aus, dass ich genau hinhören muss, um sie klar zu verstehen. Mein Herz pocht und mein Kopf wird unglaublich warm. Ich will nicht wissen, wie knallrot mein Gesicht gerade geworden ist. "Das geb ich gern zurück. Also, alles.. Auch das besinnliche Weihnachtsfest und... vor allem einen glücklichen Start ins neue Jahr." Wir blicken uns noch einige Sekunden lächelnd an, irgendwie voller Sehnsucht - so, als wäre es das normalste der Welt. "Wir sehen uns dann, Sophie." Ich nicke mit einem herzerwärmenden Lächeln, auch wenn es mich gerade innerlich zerreißt, sie gehen zu lassen. Wir entfernen uns trotzdem voneinander - ich schaue ihr noch einmal kurz hinterher und sehe, dass sie ebenfalls kurz stehen geblieben ist, um nach mir zu schauen. "Ich bin übrigens Maria!", ruft sie mir freundlich zu. 'Maria...', wiederhole ich es dutzende Male in meinem Kopf. Ich verabschiede mich winkend und verlasse nun tatsächlich das Schulgebäude.

That's not the love I had in mind. (TxS) (GxG)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt