Schneller als gedacht vergingen auch die letzten 3 Tage der Sommerferien. Ich bin jetzt schon wieder total gestresst und genervt von den ganzen jungen, kindischen Menschen. Dabei steht der erste Schultag noch an.
Wenn ich mir die ganzen Grundschüler, die sich in dem Bus gegenseitig ärgern, anschaue, wird mir bewusst, wie abscheulich die Gesellschaft heutzutage ist. Als ich noch in dem Alter war, hatte ich andere Ideen im Kopf, als jemanden zu ärgern. Gut, dass ich Erzieherin werden will. Dann kann ich ja dafür sorgen, dass sich die nächste Generation wieder sozialer und toleranter verhält.Als die Lautsprecherdurchsage des Busses die Straße meiner Schule ankündigt, drücke ich auf den roten Stop-knopf und drängel mich aus den hinteren Plätzen irgendwie in die Mitte des Busses. Und da ist dieser Moment wieder: Womöglich starren mich gerade einige an - ob absichtlich oder unbewusst spielt dabei keine Rolle. Man hat oftmals die Leute im Blick, die sich von anderen abheben. Da ich eine der wenigen bin, die gerade steht und sich krampfhaft an der Stange festklammert, bin ich momentan etwas "Besonderes". Auch wenn mir nichts schlimmes widerfährt, hasse ich diese Art von Aufmerksamkeit.
Ich bin eben nicht sonderlich selbstbewusst - jedenfalls mache ich mir in solchen kleinen Situationen schnell in die Hose, doch wenn es drauf ankommt, standhaft zu sich selbst zu stehen, bin ich stark und mutig. Es mag sein, dass das eine ungewöhnliche Kombination oder Mischung ist, jedoch ist es auch das, das viele bewundernswert an mir finden: Dass ich in den schwierigen Situationen zeige, wie stark ich tatsächlich bin. Man könnte es mit einem Schmetterling vergleichen, der eigentlich kurz davor ist, aus seinem kokon auszubrechen, doch mit jeder kleinsten Verletzung und Enttäuschung unsicher wird, und sich dann doch dazu entschließt, noch einige Tage in seiner gewohnten Umgebung zu bleiben. Wenn er allerdings solange traurig war, dass sich viel Ärger, Wut und Trauer in seinem Körper zusammen gestaut hat, breitet er seine Flügel aus und springt aus seiner verängstigten, schüchternen und wehrlosen Rolle - seinem Kokon. Dann zeigt er seine wahre Stärke, seinen Mut und somit auch all seine Schönheit, die er auf seinen Flügeln trägt, und bisher immer versteckt hat. Genau dann ist es Zeit für ihn, die anderen sehen zu lassen, was er wirklich denkt und will. Und vor allem, dass er viel schöner ist, als all jene, die nichts besseres zu tun zu haben, als sich als wichtigster und schönster, tollster und wertvollster Schmetterling zu präsentieren.Doch gerade fühleich mich sehr unwohl. Zum Glück hält der Bus schon in wenigen Sekunden und ich kann aussteigen. Ich schnappe seufzend nach Luft und atme einmal tief durch. Dann schaue ich auf mein Handy, das gerade kurz vibriert hat:
Liz: "Hey, treffen wir uns gleich in der Pausenhalle? Ich muss dir was erzählen!"
"Jepp, bin schon auf dem Weg.", antworte ich ihr sofort zurück. Was sie wohl zu erzählen hat? Vielleicht, dass wir einen neuen Mitschüler bekommen und der ja soo gut aussieht. Liz ist eines der typischen, pubertärenden Mädels. Das einzige, was sie von "denen" unterscheidet, ist, dass sie ein bisschen reifer ist.Ich gehe den Fußweg entlang und bin in wenigen Minuten schon an meiner Schule - sie sieht aus, wie ein typisches Gymnasium. Draußen vor dem Haupteingang befindet sich eine Statue aus Metall, die die Erde darstellen sollen. Die Kontinente sind eingraviert. Von innen schaut es recht modern aus, es ist alles sehr hell gehalten und selbst die Toiletten sind meist sehr sauber. Eigentlich kann ich mich nicht beschweren.
Als ich die drei Stufen hinaufgehe, entdecke ich durch die Glasscheibe der Haupttür schon Liz, die jetzt lächelnd zu mir kommt und mir die Tür auf hält.
"Sophie! Wir bekommen eine neue Deutschlehrerin!"
Ich schaue verwirrt und frage sie, was denn mit Frau Piersch ist. Daraufhin zuckt sie nur mit ihren Schultern und ärgert sich genauso, wie ich. Wir mochten Frau Piersch, sie hat gut unterrichtet und war immer nett.
Anscheinend scheint es Liz dann aber doch nicht so zu stören, denn sie erzählt mir tatsächlich von einem Jungen, den sie vor drei Wochen kennengelernt hat. Doch ich habe gerade keine Lust ihr beim Schwärmen zuzuhören. Auch, wenn es gemein klingt - Ich muss mir das ständig anhören und am Ende ist es doch wieder nur ein Idiot gewesen, der ihr (mehr oder weniger) den Kopf verdreht hat. Also tu ich so, als würde ich ihr zuhören und gehe mit ihr gemeinsam zum Klassenraum. Dort entdecken wir schon eine Frau, die mit dem Rücken zu uns steht - das wird unsere neue Deutschlehrerin sein. Liz hört auf zu erzählen und wir setzen uns auf unsere Plätze, bis der Gong läutet.Dann stürmen auch die letzten Kameraden herein und setzen sich. Wie immer herrscht Unruhe, alle quatschen miteinander und bemerken anscheinend nicht mal, dass vorne eine Frau steht, die wir nicht einmal kennen.
Ich schaue nach vorn und beobachte die Dame dabei, wie sie sich mit einem ernsten, kühlen Blick zu uns dreht und einmal laut "Guten Morgen!", brüllt. Die meisten aus meiner Klasse erschrecken sich und schauen weich in ihre Augen. Ich muss schmunzeln und bin beeindruckt davon, wie schnell sie die Klasse ruhig bekommen hat. Die Frau lässt ihre Augen einmal durch die Reihen wandern und stoppt bei Martin, der immer der lauteste im Raum ist: "Sie! Wie ist Ihr Name?", fragt sie ihn auffordernd.
"Ich?", fragt er unsicher. Sie nickt nur emotionslos. "Martin. Martin Böckling."
Daraufhin löst sie ihren starren Blick von ihm, dreht sich kurz um und geht zum Lehrertisch. "Gut, Martin. Wissen Sie, was der Unterschied zwischen Ihnen und mir ist?", fragt sie ihn, während sie im Klassenbuch blättert. "Naja, ich bin ein Teil des stärkeren Geschlechts.", schnauft er mutig nach vorn. Einige Mädels aus meiner Klasse tuscheln leise und die Kerle lachen, sie sind beeindruckt von seinem Mut.
"Umso trauriger ist es, dass es niemanden interessiert, was Sie in den Ferien gemacht haben. So wie Sie sich aufführen, haben Sie wohl Stunden vor dem Spiegel gestanden und reden geübt, vermutlich ist ihr YouTubeverlauf voll mit Videos von Kanälen, die Kontersprüche hochladen..", die Klasse bricht in Gelächter aus und auch ich muss ziemlich grinsen - sie ist die erste, die ihm die Meinung sagt, ".. Doch das funktioniert bei mir nicht. In meinem Unterricht bin ich die einzige, die spricht, es sei denn, ich fordere Sie dazu auf, etwas zum Unterricht beizutragen. Haben Sie das verstanden? Wenn nicht, lassen Sie es sich doch von Ihren Mitschülern in der Pause erklären!"
Daraufhin grinst sie ihn frech an und Martin weiß augenscheinlich gar nicht, wie er reagieren soll und bleibt einfach stumm.
"Gut, dann wünsche ich Ihnen einen guten Morgen!", lächelt sie herzlich durch die Klasse. Als sich unsere Blicke treffen, spüre ich ein plötzliches Kribbeln im Bauch. Auf einmal schießen mir Erinnerungen in den Kopf und mir wird klar, wer diese Frau ist. Ich erinnere mich noch genau an ihre Frage, wer denn so spät noch Fußball spielt. Aber vor allem erinnere ich mich an ihre dunklen, wunderschönen Augen. Ich schlucke einmal fest und versuche, möglichst unauffällig zu wirken.
"Mein Name ist Hartmann. Ich werde auf jeden Fall die nächsten 12 Monate Deutsch bei euch unterrichten. Ich kann mir vorstellen, dass es erstmal ungewohnt ist für Sie, hier jemand anderes stehen zu sehen, doch ich denke, dass wir die Zeit gut überbrücken werden. Haben Sie Fragen?"
Hartmann heißt sie also.. Ich bin irgendwie immer noch ein wenig geschockt von der Tatsache, dass ich meine zukünftige Deutschlehrerin vor wenigen Tagen joggen gesehen habe und noch Stunden danach an sie denken musste. Es fühlt sich nicht gut an und ehrlich gesagt, weiss ich auch gar nicht, ob sie mich überhaupt erkennt. Es war ja auch dunkel, aber ich würde mir schon irgendwie wünschen, dass ich ihr im Gedächtnis geblieben bin. Aber das ist eher unwahrscheinlich, da dieses kurze Gespräch eigentlich nichts besonderes war - für mich zwar schon, aber ich würde sowieso behaupten, dass ich seit dieser Begegnung mit ihr etwas durcheinander bin. Wieso? Das kann ich selbst noch nicht genau sagen.Da niemand seine Hand hebt, um zu fragen, was mit Frau Piersch ist, nehme ich meinen Mut zusammen und lasse meinen Finger in die Höhe steigen. Frau Hartmann nimmt meine Meldung recht schnell wahr und nickt mir neugierig zu.
"Wahrscheinlich nervt Sie diese Frage, aber wir wussten nicht mal, dass wir Frau Piersch nicht mehr haben. Wissen Sie vielleicht, warum diese Änderung vorgenommen wurde?"
Sie nickt verständnisvoll und lächelt: "Ihre Verwirrung kann ich natürlich gut verstehen, aber genaues kann ich Ihnen nicht sagen und bevor ich etwas falsches weitergebe, fragen Sie lieber mal einen Lehrer oder eine Lehrerin, die schon länger hier unterrichtet.", zwinkert sie mir selbstbewusst zu.
Mir bleibt perplex der Mund leicht offen und ich versuche noch irgendwie, nett zu nicken, doch dieses Zwinkern macht mich gerade etwas unsicher. Ich frage mich, was das zu bedeuten hat. Mit einem verspielten Gesichtsausdruck, den ich ebenfalls nicht erklären kann, schaut sie wieder weg. Sie erklärt noch den Ablauf des Schuljahres und beendet fünf Minuten früher die Stunde.Sie packt ihre Sachen ein und ich mustere jede ihrer Bewegungen.
"Die hat uns ja jetzt schon ganz schön unter Kontrolle..", flüstert Liz. Doch leider bin ich so konzentriert dabei, unsere neue Lehrerin zu beobachten, dass ich es nicht mal in Erwägung ziehe, meiner besten Freundin zu antworten. Plötzlich spüre ich ein Pieksen in meinem Oberarm und drehe mich zur Seite, um Liz anzuschauen. "Oder nicht??", fragt sie mich abwartend. Ich nicke nur eifrig und wende mich wieder meiner Lehrerin zu, die bereits fertig damit ist, ihre Sachen zu verstauen. Sie bewegt sich mit selbstbewussten, leichten Schritten zur Tür des Klassenraumes, schaut mir als einzige lächelnd in die Augen und legt ihren Kopf dabei schief. Dann verlässt sie den Raum und hinterlässt ein großes Fragezeichen in meinem Kopf, das sich auch die nächsten Tage nicht wegradieren lassen wird...
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That's not the love I had in mind. (TxS) (GxG)
RomanceNachdem ich die Hand, die mich zwei Jahre lang festhielt, loslassen musste, begann für mich der Weg der Selbstfindung - Ich erfuhr, was ich wirklich will und was ich tatsächlich benötige: Nähe, Zuneigung, Vertrauen und Ehrlichkeit. Es verging eine...