4 - Selbstfindung

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Je länger ich darüber nachdenke, wie komisch diese Gefühle und Gedanken in meinem Körper sind seitdem ich Frau Hartmann getroffen habe, desto verrückter werde ich. Mittlerweile ist es Sonntag, ich habe das Wochenende also fast hinter mir und morgen beginnt wieder die Schule. Das heißt, ich werde Frau Hartmann wiedersehen - vermutlich werde ich wieder einmal durchdrehen. Ich kann jetzt schon sagen, dass sich wieder unendlich viele Gedanken in meinem Kopf sammeln werden, die es mir unmöglich machen werden, mich auf den Unterricht zu konzentrieren. Die letzten zwei, drei Tage habe ich noch mal über das Angebot von Frau Hartmann nachgedacht: dass ich gerne zu ihr kommen kann, wenn ich doch über meine Probleme sprechen möchte. Und eigentlich wäre es schon sehr gut, wirklich mit jemandem darüber zu sprechen, doch ein Lehrer oder eine Lehrerin ist, glaube ich, nicht der richtige Ansprechpartner. Dazu ist Frau Hartmann ja auch der Grund für meine Verwirrung, meine Überforderung. Da wäre sie ja wohl die letzte Person, die wissen sollte, was sich in mir abspielt. Ich bin zwar schon 18 Jahre alt und habe den größten Teil meiner Pubertät und meiner Findungsphase hinter mir, doch diese komischen Gefühle und Gedanken verwirren mich unglaublich. Sie verwirren mich sogar so sehr, dass ich im Internet gegoogelt habe, was da in mir los ist. Natürlich stößt man auf Google auf viele verschiedene Ergebnisse, doch das am meisten auftretende war eigentlich, dass ich mich wohl in meine Lehrerin verliebt habe. Doch ich bin da etwas skeptisch, denn ich kenne sie ja gar nicht. Sicher reden immer viele von Liebe auf den ersten Blick, doch ich weiß nicht, ob es das wirklich gibt. Jedenfalls weiß ich immer noch nicht genau, was das alles soll und ich kann nachts überhaupt nicht schlafen, weil ich mir Gedanken darüber mache, was es zu bedeuten hat. Man könnte schon fast sagen, dass ich in kürzester Zeit, also in diesen mittlerweile sieben Tagen, so überfordert mit dieser Sache bin, dass ich kurz davor bin durchzudrehen.
Auch Liz habe ich noch nicht von diesem Gedanken erzählt. Sie hat mir zwar auf WhatsApp geschrieben und ich hatte ab und zu die Möglichkeit dazu, ihr das zu erklären, aber es ist für mich selbst einfach schon zu kompliziert. Da werden es die anderen doch noch weniger verstehen können..

Es ist Montagmorgen und als wäre es nicht schon schlimm genug, dass ich um 5:30 Uhr aufstehen muss, quält mich jetzt schon der Gedanke daran, dass ich Frau Hartmann heute einen erneuten Block im Unterricht habe. Auch wenn es noch knappe zwei Stunden hin ist, dass ich sie sehe wiedersehe, spüre ich schon die Nervosität, die sich in meinem Körper bereit macht und mich weitestgehend lähmt. Auch als ich im Bus sitze und wie immer meine Kopfhörer in den Ohren gesteckt habe, werde ich einfach nicht abgelenkt. Egal, welches Lied ich höre, das mich sonst immer aufheitern kann - nichts hilft. Ich weiß nicht genau, wie ich den Tag heute überstehen soll. Ich habe in der Nacht auch überhaupt nicht schlafen können, eben durch die vielen Gedanken in meinem Kopf, die immer wieder herumtrampeln, als wären es Elefanten. Gott sei Dank treffe ich Liz vor der Schule, die mich zwar wieder zu quatscht, doch es ist gerade wirklich das einzige, das mich irgendwie ablenken kann. Daher genieße ich ihr kindisches Lästern und ihr Schwärmen.

Es dauert auch nicht lange, da sitzen wir schon in unserem Klassenraum und warten darauf, dass unsere Deutschlehrerin auch ankommt. Ich spüre die immer noch tobende Anspannung in meinem Körper und schaue immer wieder zur Tür. Als sich die Klinke dann wirklich nach unten bewegt und sich die Tür öffnet, sackt mein Herz kurz in die Hose. Ich entdecke, wie erwartet, unsere Lehrerin Frau Hartmann. Sie bewegt sich mit sanften, selbstbewussten Schritt nach vorne und begrüßt uns wie jeden Morgen. Dann erinnert sie uns noch einmal daran, dass wir ab jetzt den richtigen Unterricht anfangen werden und, dass dieser etwas anders sein wird, als wir es vermutlich von anderen Lehrern kennen. Ich und die anderen wissen nicht genau, was uns erwartet, doch den meisten hat die Übung von Freitag gefallen. Daher sind die meisten eher positiv gestimmt und freuen sich darauf, herauszufinden, welche Art von Unterricht Frau Hartmann führen wird. Und so gut es mir eben gelang, Frau Hartmann zuzuhören, desto schwerer ist es jetzt, mich weiterhin zu konzentrieren. Denn ich beginne irgendwie ganz automatisch, sie zu mustern. Ich beobachte jede ihrer Bewegungen und lasse mich von ihren fast schwarzen Augen in den Bann ziehen. Als ich bemerke, dass sie meine Unaufmerksamkeit mitbekommt, indem sie eine Augenbraue hochzieht und mich fragend anguckt, schüttel ich einmal ruckartig den Kopf und entschuldige mich für mein träumen.

That's not the love I had in mind. (TxS) (GxG)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt