14 - Nebenrolle im eigenen Film

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Es vergehen Monate, in denen ich nicht wirklich da bin. Liz meinte einmal, ich würde nur noch eine Nebenrolle in meinem eigenen Leben spielen. Vermutlich hat sie recht. Alles dreht sich nur noch um Frau Hartmann, die in den letzten Wochen immer nachdenklicher geworden ist. ich fragte mich oft, wie wohl ihre Scheidung verläuft und mit was für Sorgen sie sich sonst noch herumquält. Flüchtige Berührungen von ihr passieren immer noch; das eine Mal berührte sie meine Hand sehr auffällig, als ich kurz neben ihr stand. Sie zog ihre Hand nicht ruckartig zurück, was man eigentlich erwartet hätte. Stattdessen hielt sie den Körperkontakt einige Sekunden und ich spürte eine fast schon unangenehme Wärme, die von meiner Hand aus durch meinen ganzen Körper strömte. Bis heute kann ich diesen Moment nicht vergessen. Leider hat dies niemand mitbekommen, nicht mal Liz kann ihre Meinung dazu abgeben. Es ist wie eine Folter, sich jeden Tag zu fragen, was man einem Menschen bedeutet. Ich machte mir viele Gedanken darüber, wie ich mein Herz erleichtern könnte. Natürlich legt mir Liz weiterhin nahe, mich jemandem Professionelles anzuvertrauen. In meinem Gedankenchaos wirkte das tatsächlich manchmal wie der einzige Ausweg - auch wenn ich viel lieber mit Frau Hartmann darüber sprechen würde, um mich zu entlasten und ihr automatisch emotional näher kommen zu können, möchte ich kein Risiko eingehen...


Und jetzt sitze ich im Schulflur neben dem Büro unserer Schulsozialarbeiterin, an die sich Mitarbeiter und Schüler wenden dürfen, wenn es Probleme gibt. Ich wippe mit meinem Fuß, da ich meine Nervosität sonst nicht unter Kontrolle halten kann. In meinem Kopf fliegen soviele Gedanken umher; Was erzähle ich? Wie halte ich währenddessen meine Emotionen in Schach? Laut Uhr hätte das Gespräch vor fünf Minuten beginnen müssen. Mein Blick wandert immer wieder zu den Fenstern, die mir gegenüber liegen. Es ist dunkel und es schneit. Das ist ein seltener Anblick, der mich leicht lächeln lässt. Im selben Moment öffnet sich dann die Tür des Büros neben mir und Frau Schmidt begrüßt mich lächelnd, bittet mich herein und schließt die Tür hinter uns. Ich erblicke einen gemütlichen, kleinen Raum, der gerade noch genug Platz für einen Schreibtisch und eine Sitzecke hergibt. Einige warmweiße Lampen sorgen für eine gemütliche, entspannte Stimmung. Ich suche mir einen der drei bequemen-ausschauenden Sessel aus und gebe mir die größte Mühe, mein aufgeregtes Atmen so leise zu halten, dass Frau Schmidt es nicht wahrnehmen kann. Sie nimmt sich ihre Kaffeetasse und setzt sich mir gegenüber, lächelt mich noch einmal an und fängt dann an, mit mir zu sprechen: "Entschuldige bitte, dass du ein bisschen warten musstest - ich habe gerade noch einen Bericht zu Ende geschrieben." Ich nicke lächelnd und höre ihr weiterhin aufmerksam zu: "Du hattest mir ja eine E-Mail geschrieben, in der du beschrieben hast, dass du schon seit einiger Zeit Probleme hast, abzuschalten. Wenn du magst, kannst du ja erstmal damit anfangen, mir genaueres dazu zu erzählen?" Meine Atmung wird wieder schneller, ich spiele nervös mit meinen Händen und schlucke laut: "Ja... es fällt mir sehr schwer, das zu erklären, da ich bisher nur meiner besten Freundin und ein wenig meinen Eltern davon erzählt habe..", ich atme einmal tief durch, "... ich weiß nicht, ob Sie Ihre Kollegen und Kolleginnen hier alle beim Namen kennen, aber es geht eigentlich um Frau Hartmann. Sie ist meine Deutschlehrerin und übernimmt häufig als Vertretung andere Fächer, wenn es nötig ist..." Frau Schmidt schaut mich etwas nachdenklich, aber trotzdem freundlich zugewandt an. "Und naja.. also... Ich habe Angst, das jetzt auszusprechen...", gebe ich ehrlich zu. Mein Herz rast ununterbrochen und ich schaffe es nicht, den Blickkontakt zu Frau Schmidt aufrechtzuerhalten. Stattdessen schaue ich immer wieder voller Scham und Unsicherheit auf den Teppich, der von dem angenehmen Licht angestrahlt wird. Eine kurze Stille entsteht, in der ich hoffe, dass sie diese durchbrechen wird. Ich fühle mich gerade nicht in der Lage, meinen eben gesprochenen Worten noch etwas hinzuzufügen. "Du brauchst keinerlei Angst haben, alles was du erzählst, wird unter uns bleiben. Und ich werde dich für nichts verurteilen, das ist auch gar nicht meine Absicht - ich möchte lediglich da sein, wenn ich gebraucht werde und mein Bestes tun, damit es dir besser gehen kann." Ich schaue Frau Schmidt an und erkenne ein zuversichtliches Lächeln, das mir sicherlich Mut machen soll. Zugegebenermaßen beruhigt es mich ein wenig, dass sie Verständnis zeigt, obwohl sie ja nicht mal weiß, was los ist. "Es gab eine private, zufällige Begegnung mit Frau Hartmann, bevor sie meine Lehrerin wurde. Ich hatte sie an einem Abend beim Joggen getroffen und wir sprachen einige Worte miteinander. Es soll nicht komisch klingen, aber aus meiner Sicht flirteten wir miteinander. Und dann ging sie mir nicht mehr aus dem Kopf. Knapp eine Woche später stellte sie sich dann als unsere neue Lehrerin vor...". Mein ganzer Körper zittert, ein normales - auch wenn sehr schnelles - Atmen ist nicht mehr möglich. Ich ziehe immer wieder unregelmäßig scharf die Luft ein und puste sie aufgebracht heraus. Meine Augen suchen sich hektisch einen Punkt, den sie anvisieren können, um wieder runterzukommen. "Nimm' dir ruhig die Zeit, die du brauchst, um weiter zu erzählen. Ich habe heute keinen Termin mehr nach dir", ermutigt mich meine Sozialarbeiterin. Auch wenn ich noch nicht viel los geworden bin, bin ich jetzt schon froh, sie kontaktiert zu haben. Ich glaube, dass ich mich hier fallen lassen kann - und hoffentlich wird die Erleichterung für eine bessere Kontrolle meiner Gefühle sorgen. "Ich habe einfach sehr früh gemerkt, dass ich Frau Hartmann viel interessanter finde, als ich sollte. Da ist halt etwas in mir entstanden, das mir bis heute Angst macht. Ich bin recht schnell an meine persönlichen Grenzen gestoßen und habe mir viele Gedanken gemacht, was ich tun kann, um mich zu entlasten und kam auf die Idee, einen Brief zu verfassen. Diesen Brief wollte ich Frau Hartmann vorerst auch gar nicht geben, er ist mir dann aber aus meiner Tasche gefallen und sie hat ihn gefunden und gelesen...", ich spüre, dass ich den Tränen nahe bin. All' das Revue passieren zu lassen tut unglaublich doll weh. Vieles habe ich in letzter Zeit auch gar nicht mehr im Kopf gehabt, vermutlich hatte ich das verdrängt. "Ich merke, das geht dir wirklich nahe. Es ist nicht schlimm, du kannst weinen, wenn du das musst. Vielleicht hilft es dir, wenn ich dir mit ein paar Fragen entgegen komme?" Ich nicke und muss die erste herunterlaufende Träne von meiner Wange wischen. "Du sagtest, dass Frau Hartmann den Brief gefunden und auch gelesen hat. Wie hast du das denn herausgefunden?" Auch wenn es schmerzhaft ist, erinnere ich mich an das Gespräch mit Frau Hartmann. An ihren vorwurfsvollen Ton und ihr fehlendes Verständnis. "Sie hatte mich um ein Gespräch gebeten. Dort hat sie mir dann recht wütend und kühl zu verstehen gegeben, dass das nicht geht und ich mit dem Brief alles aufs Spiel gesetzt habe - ihren Beruf, meinen beruflichen Werdegang. Ich wollte ihr erklären, dass es nicht meine Absicht war, den Brief so unachtsam liegen zu lassen, aber es kam mir so vor, als würde sie das gar nicht interessieren." Frau Schmidt legt ihren Kopf schief und schaut mich verständnisvoll an. Sie geht kurz zu ihrem Schreibtisch und bringt mir eine Packung Taschentücher, für die ich mich schamvoll lachend bedanke. "Da hat deine Lehrerin wirklich schroff reagiert. Ich vermute aber, dass das nichts mit dir persönlich zutun hatte, sondern eher mit ihrer eigenen Angst vor Konsequenzen. Auch wenn es wahrscheinlich schwer ist, das zu glauben." Ich nicke und denke nach. Es war natürlich gefährlich und auch okay, mir das zu erklären. Aber die Art und Weise wie sie es getan hat, habe ich bis heute noch nicht verstehen und verarbeiten können. "Und wie ging es danach weiter? Vermutlich wurde es dann noch schwerer für dich, deine Gefühle zu sortieren?" Ich erkläre ihr, dass Frau Hartmann einige Zeit später nochmal mit mir sprechen wollte und einen anderen Grund als Vorwand angab: "Und dann hatte sie mich aus dem Nichts gefragt, ob ich den Brief wirklich ausversehen liegen gelassen habe, was ich natürlich bejahte. Dann wurde sie ganz komisch.. Sie hat sich für ihre Reaktion entschuldigt und erklärt, dass sie selbst überfordert damit sei. Sie hat sich gewünscht, dass ich mir einen anderen Ansprechpartner dafür suche, weil sie es nicht sein könne. Und dann hat sie auf einmal erzählt, dass sie wüsste, wie es mir gehe. Dass sie sich damals in der Uni in ihre Dozentin verliebt hätte, da einige Dinge passiert sind, die wohl für die beiden schlimm waren...", ich runzle die Stirn und spüre, dass sich mein Herzschlag etwas beruhigt, "... und dass es ein Wunder wäre, dass sie trotzdem Lehrerin werden durfte." Anschließend erwähne ich noch, wie sie mich immer anschaut und die Berührungen, die keinesfalls mehr ausversehen sein können. Dann muss ich erstmal Luft holen und versinke etwas erschöpft und aufgebracht im Sessel. "Sophie, ich kann dich total verstehen. Deine Verwirrung und Unsicherheiten. Frau Hartmann hat sich in einigen Punkten wohl selbst von ihren Gefühlen leiten lassen - sei es bei dem ersten Gespräch, wo sie so sauer wurde, oder auch dann, als sie dir beichtete, in einer ähnlichen Situation gewesen zu sein wie du es jetzt bist. Dieses Hin-und-Her ist aber natürlich nicht gut, um Abstand zu gewinnen und sortieren kannst du damit auch nichts. Ich verstehe daher vollkommen, dass die letzten Monate so schwer für dich waren." Etwas sprachlos muss ich leicht lächeln, da ich mich gerade sehr wertgeschätzt und vor allem verstanden fühle. Meine Eltern und auch Liz sind zwar auch für mich da und halten zu mir. Aber solche Worte von jemandem aus der Schule zu hören ist nochmal was ganz anderes. "Sie hat mir auch von ihrer Scheidung erzählt. Es kommt mir manchmal so vor, als würde sie mir das alles nicht grundlos sagen. Ich möchte ihr nicht unterstellen, dass sie so fühlt wie ich, aber das zwischen uns... das ist keine normale Beziehung zwischen Schülern und Lehrern....", meine Aufregung und die damitverbundenen Zappeleien werden wieder stärker, "...und wenn das doch ganz normal ist, dann muss ich wohl verrückt sein." Meine Aufmerksamkeit gehört jetzt nur Frau Schmidt und ihrer Reaktion darauf. Auch sie atmet einmal tief durch und versucht, die richtigen Worte zu finden: "Ich bin natürlich nicht dabei und kann das alles deswegen nur aus deiner Sicht beurteilen. Aber wenn alles so war, wie du es beschrieben hast - wovon ich ausgehe - dann stimme ich dir zu. Womöglich hast du vielleicht einen Beschützerinstinkt in Frau Hartmann ausgelöst? Zumindest scheint ihr wichtig zu sein, dass du mit deinen Gefühlen nicht alleine klarkommen musst. Und die ganzen Blicke, die komisch auf dich wirkten - möglicherweise möchte sie damit sichergehen, dass es dir ok geht? Vielleicht muss sie auch ihr Gewissen beruhigen, wie sie es bereits im zweiten Entschuldigungs-Gespräch versucht hat, zu tun?" Wir philosophieren weiter über die Gründe ihres Verhaltens. Frau Schmidt hält sich dabei etwas bedeckt und nimmt nicht einmal das Wort "erwiderte Gefühle" in den Mund. Ich frage mich, ob das wirklich so abwegig wäre. "Mir ist bewusst, wie merkwürdig das klingen mag, aber all' diese Signale, die ich wahrnehme, verraten für mich nichts Anderes als... als dass Frau Hartmann Gefühle für mich hegt, sie die verstecken möchte." Frau Schmidt nickt zwar, widerspricht mir dann aber vorsichtig: "Ich kann deine Gedankengänge und Gefühle dazu nachvollziehen, aber Frau Hartmann weiß, wie alle Lehrer und Lehrerinnen, was solche Gefühle mit sich bringen würden. Deshalb versuche, dich nicht so sehr darauf zu konzentrieren. Denn selbst wenn Gefühle da wären, würde das Ganze ja nicht funktionieren können - und es tut mir sehr leid, dass ich das sagen muss. Das hat aber nichts mit dir zutun und ich stimme dir trotzdem zu, dass Frau Hartmann ihr Verhalten etwas besser anpassen muss. Da sie weiß, was du fühlst, sollte sie sich Mühe geben, möglichst professionell mit dir umzugehen... Hast du denn einen Wunsch, den ich dir erfüllen kann? Sehnst du dich vielleicht nach einem Klärungsgespräch mit Frau Hartmann?" Ich schüttele den Kopf und bitte sie um einen weiteren Gesprächstermin, damit ich nochmal meine Gedanken sortieren und dann vielleicht an einer möglichen Lösung mit ihr arbeiten kann. Auch wenn ich nicht wüsste, wie man da helfen kann, ist mir natürlich auch wichtig, mich erstmal weiter ausweinen zu können. "Sie scheinen Frau Hartmann aber zu kennen?", möchte ich mich vergewissern. Frau Schmidt beantwortet meine Frage mit einem Nicken. "Sagen Sie ihr bitte nicht, dass ich bei Ihnen war." Sie deutet noch einmal auf ihre Schweigepflicht hin und gibt mir dann einen neuen Termin für die nächste Woche. Bedankend verabschiede ich mich von ihr, nehme meinen Rucksack und verlasse das Büro.

That's not the love I had in mind. (TxS) (GxG)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt