Ein Zebra in der Großen Gießerei

0 0 0
                                    


Wir alle sind eins - Götter, Sterbliche, sogar Scheusale entstammen derselben Quelle."

Bundmeister Ambar Vergrove, Bestimmung des Daseins



Vierter Markttag von Regula, 126 HR

Der Bundmeister der Göttermenschen schlenderte über den Hof der Großen Gießerei, wie er es oft tat, jedoch aus einem Grund, der bislang einmalig war. Ein Traum ... ein merkwürdiger Traum von einem Zebra, verwirrt und so gar nicht in das Bild von Ruß, Metall und Schmiedelärm passend, welches das Hauptquartier prägte. Das Traumbild alleine war ungewöhnlich genug, aber hinzu kam eine merkwürdige Gewissheit, dass es in Zusammenhang mit einer alten Prophezeiung stand. Einen Teil davon hatte er erst kürzlich entdeckt, eine dazu passende Legende war ihm schon länger bekannt. Er tastete nach dem in seinem Ärmel steckenden Pergamentstück. Die darauf stehenden Worte mochten heute an Bedeutung gewinnen - oder aber er bildete sich all das einfach nur ein und hatte lediglich einen wirren Traum gehabt. Doch nein ... etwas sagte ihm, dass mehr dahintersteckte. So hatte er den für nachmittags angesetzten Termin mit Rowan Dunkelwald abgesagt und Ombidias stattdessen geschickt. Als er seinem Stellvertreter den Grund genannt hatte, war dem Voadkyn sein Missfallen durchaus anzumerken gewesen. Er hatte nur die Stirn gerunzelt und nicht viel dazu gesagt, doch Ambar wusste, dass er seinem Freund eine gute Flasche Schwarzbeer-Likör dafür schuldig war, ihn so kurzfristig und unverhofft dem Herzog vorgeworfen zu haben. Dann war er zu Zena gegangen, einer Waldläuferin, die sich um alle Tiere kümmerte, die sie im Areal der Gießerei auflas. Ob es sich um streunende Hunde, Katzen oder Echsen handelte, um Tiere, die durch Portale in den Käfig kamen oder um aus einem Zoo, Stall oder Palastgarten entlaufene Exemplare, Zena war stets zur Stelle.

Sie heilte Verletzungen, suchte Portale in Heimatebenen oder machte Besitzer ausfindig, denen sie die Tiere zurückbrachte (gesetzt sie war der Ansicht, dass diese sich gut genug um sie kümmerten). Zwar war auch Ambar selbst Waldläufer und hatte eine ausgeprägte Affinität zu Tieren, doch ein Zebra im Hof der Großen Gießerei fiel so eindeutig in Zenas Verantwortungsbereich, dass er die Tieflingsfrau ohne zu Zögern hinzu gebeten hatte. Als er die Stelle aus seinem Traum entdeckt hatte, blieb er an eine nahe Hauswand gelehnt stehen und wartete.

Zena sah ihn fragend an. „Verzeihung, Bundmeister, habe ich das richtig verstanden? Ihr sagtet, Ihr hättet davon geträumt, hier ein Zebra zu sehen?"

Er nickte sacht, ein paar Strähnen seines roten Haares fielen ihm dabei in die Stirn. „Ich weiß nicht, ob es prophetisch war oder einfach nur ein Traum. Aber ich dachte mir, sicherzugehen, kann nicht schaden."

Die Waldläuferin nickte lächelnd. „Das stimmt allerdings. Denn für ein Zebra ist das hier wirklich nicht die passende Umgebung. Der Ruß, der Lärm und ... die ganzen Xaositekten, die hier im Moment herumlaufen, machen die Sache auch nicht gerade besser."

Ambar schmunzelte. „Ist das eine versteckte Rüge, dass ich dieses Projekt von Karan angenommen habe?"

„Nein." Sie grinste. „Das ist eine ganz und gar offene und unverhohlene Rüge, Bundmeister."

Der Halbelf musste lachen. Er pflegte ein recht lockeres Verhältnis zu seinen Untergebenen, und ihm war bewusst, dass in den meisten Bünden ein Faktotum sich eine solche Bemerkung gegenüber dem Bundmeister nicht herauszunehmen wagte. Doch Steifheit und übertriebene Autorität lagen nicht in seinem Wesen, weswegen er, wie er wohl wusste, als einer der freundlichsten und zugänglichsten Bundmeister Sigils galt. Und er konnte sich dieses Verhalten erlauben, denn hätte es seiner Autorität Abbruch getan, wäre er nicht seit über zwanzig Jahren das Oberhaupt der Gläubigen der Quelle. So winkte er auf Zenas Bemerkung hin nur scherzend ab.

Schatten von Sigil - Die Ewige GrenzeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt