„Nun, mein Herr, Ihr könntet schon versuchen, aus der Stadt zu reiten. Aber erst müsst Ihr ein Pferd finden - und dann ein Portal, groß genug, dass Ihr auf einem Pferderücken durchpasst."
Geena Mirrathar, Schlepperin in Sigil, zu einem planlosen Neuankömmling
Dritter Untertag von Regula, 126 HR
Sarin begrüßte Terrance wie stets mit einer eher tiefen Verneigung, auch wenn er mit dem Bundmeister der Athar noch so viele politische und religiöse Differenzen hatte. Doch der Mann war Hohepriester, und wenngleich jenes ominösen Unbekannten, das dem Paladin mehr als suspekt war, so stand ihm eine angemessen respektvolle Begrüßung in Sarins Weltverständnis unumstößlich zu. Im Grunde mochte er Terrance. Er hatte sich zwar von seiner Göttin Mishakal abgewandt, sehr zu Sarins Unverständnis, doch er fühlte sich nach wie vor dem Prinzip der Heilung verpflichtet und folgte dem Pfad des Guten. Das war mehr, als er von vielen seiner Bundmeister-Kollegen behaupten konnte. Zudem besaß Terrance eine ruhige und äußerst bescheidene Art, die Sarin anerkennen musste. Dass er es nicht für nötig befand, mit seiner gewiss beträchtlichen Macht hausieren zu gehen, ließ ihn in der Achtung des Paladins steigen. Der leise Zynismus, den er gelegentlich an den Tag legte, reizte Sarin hingegen durchaus, wenn es um religiöse Fragen ging. Doch heute war dies glücklicherweise nicht der Fall. Es ging um etwas anderes ... möglicherweise Schwerwiegenderes. Gerade die Athar waren der einzige ihm bekannte Bund, der auch etwas über jene alte Prophezeiung wusste, über die er mit Terrance reden wollte. Die Verlorenen wären zwar nicht gerade Sarins erste Wahl gewesen, wenn er hätte entscheiden dürfen. Doch es hätte durchaus schlimmer kommen können. Gerade als er mit Terrance an dem langen Besprechungstisch in seinem Büro Platz nehmen wollte, wurde geräuschvoll die Tür aufgerissen. Sein Sigiler Legat, Tonat Shar, stürmte herein, gefolgt von zwei Personen, die jedoch dank des wenig korrekten Auftrittes seines Stellvertreters erst einmal nicht in Sarins Fokus rückten.„Sarin!" schrie Tonat. Dann stockte er, als er Terrance erblickte und blieb auf der Stelle stehen. „Bundmeister, Verzeihung ...", korrigierte er sich und verneigte sich dann hastig vor dem Hohepriester. „Bundmeister Terrance ..." Er atmete einmal tief durch, dann wandte er sich wieder an den Paladin, beherrschter, aber noch immer deutlich aufgekratzt. „Sarin, das ist unfassbar!"
Dieser zog ungehalten die Brauen zusammen. „Das finde ich auch. Was ist denn das bitte für ein Auftritt, Legat Shar?"
Er konnte Terrances Schmunzeln aus dem Augenwinkel erkennen, und er war fast sicher, dass der Hohepriester sich ebenso sehr über seine Verstimmung amüsierte wie über den etwas ungehobelten Auftritt seines Legaten. Tonat indes fuchtelte mit einem Pergament vor ihm herum. Einem Pergament, das er an dem herabhängenden Siegelband sogleich erkannte ...
„Ich weiß", stieß Tonat hervor. „Ich bitte um Verzeihung für mein unangemessenes Verhalten. Aber Bundmeister, ich habe hier jemanden, der das lesen kann!"
„Was?!" entfuhr es Sarin.
Tonat hob die Schriftrolle hoch, eben das Pergament, über das er mit Terrance hatte sprechen wollen. Jenes uralte, rätselhafte Schriftstück, dessen Geheimnisse er von Juliana geerbt hatte und bislang nie hatte entschlüsseln können. „Ja, ja, ja!" bekräftigte Shar in für ihn ganz und gar ungewöhnlicher Erregung, „Er! Er sagt, sein Name sei Kiyoshi!"
Er deutete hinter sich, auf einen jungen Mann, und nun erst fasste Sarin die beiden Personen genauer ins Auge, die mit seinem Legaten den Raum betreten hatten. Eine war eine hübsche, junge Frau mit schulterlangem, blondem Haar. Der andere, auf den Tonat nun zeigte, ein junger Mann, den er auf Anfang bis Mitte zwanzig schätzte. Er hatte relativ kurzes, tiefschwarzes Haar, mandelförmige Augen und einen gebräunten, leicht bronzenen Teint. Sarin starrte ihn an, und ihm war bewusst, dass es wirken musste, als hielte er ihn für eine Erscheinung. Die junge Frau ging auch rasch ein paar Schritte von ihm weg. Terrance neben ihm wirkte ruhiger, aber nicht weniger überrascht - wenngleich wohl eher über Sarins Verhalten und das seines Legaten.
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Schatten von Sigil - Die Ewige Grenze
FantastikDie Abenteuer eines Tieflings, eines Halb-Elfen, einer Wertigerin, einer Hexe und eines jungen Kriegers aus Kamigawa in Sigil, der Stadt der Türen, basiernd auf dem Planescape-Abenteuer Die Ewige Grenze. Find the english version here: https://www.wa...