16. Kapitel: Das Projekt

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Heute steht das Schulprojekt mit Luke an. Als ich gestern mit ihm telefoniert habe, war er übertrieben nett zu mir gewesen und freute sich sogar schon fast auf unser Projekt, was ich sehr seltsam fand. Nach dem Streit mit Tyler war er nicht so gut auf mich zu sprechen. Aber ich glaube, dass er auch versteht, dass wir das Schulzeug zusammen machen müssen und kein Weg daran vorbeiführt. Hauptsache wir bringen es halbwegs mit Spaß hinter uns.

Wir sind bei ihm zuhause verabredet. Er wohnt ein ganzes Stück von mir entfernt, weshalb ich mich rechtzeitig auf den Weg zu ihm nach Hause mache. Dort angekommen nimmt er mich zur Begrüßung in den Arm und bietet mir auch etwas zum Essen und Trinken an.

Unser Projektthema ist extrem langweilig, aber wir versuchen es trotzdem so gut es geht unserer Klasse zu verkaufen. Nachdem wir ein paar Stunden an unserer Power Point gearbeitet haben und mit dem Handout ebenfalls fertig sind, sitzen wir noch ein bisschen auf dem Sofa und üben unseren Text.

Luke ist echt super lieb und gibt sich viel Mühe mit dem Projekt. Was die Partnerarbeit angeht, ist er wirklich fleißig und nicht wie manch andere in unserer Klasse, weshalb ich letztendlich sehr froh bin die Präsentation mit ihm machen zu müssen.

Ich hatte zwar gehofft, dass Luke es nicht noch anspricht, bevor ich gehe, aber eigentlich hätte ich mir dessen bewusst sein müssen.

"Was war das letztens mit Ty?", fragt er mich.

"Er akzeptiert einfach kein "Nein" und lässt mich nicht in Ruhe."

"Ja aber Mia...Ich verstehe das nicht. Ty ist der netteste Mensch, den ich kenne. Wieso willst du, dass er dich in Ruhe lässt? Ist etwas zwischen euch passiert oder hat er irgendwas Blödes gemacht? Du kannst mit mir darüber reden", bietet mir Luke an.

"Luke...Da gibt es nichts zu verstehen. Ich will auch nicht darüber reden. Echt lieb von dir gemeint, aber ich würde dann jetzt auch langsam gehen. Danke, dass ich hier sein durfte."

Ich packe langsam schon einmal meine Schulsachen in meine Tasche, als es an der Haustüre klingelt. Luke geht zur Türe hin, während ich meine Tasche auf den Tisch stelle und meine Schuhe anziehe. Als ich mit dem Kopf wieder nach oben gehe, sehe ich wie Tyler neben Luke steht.

"Was ein Zufall, dass Tyler gerade hierhergekommen ist. Wer hätte das geahnt? Ich lasse euch dann mal alleine", sagt Luke mit einem leichten Grinsen im Gesicht und möchte sich fluchtartig auf den Weg in die Küche machen, als ich ihn aufhalte.

"Ganz sicher nicht. Ist das eigentlich dein scheiß ernst? Hatten wir es nicht gerade erst darüber und jetzt sowas? Was soll das? Das war doch pure Absicht", sage ich schockiert und mir steigen Tränen in die Augen. Wie konnte Luke mich nur so hintergehen? Ich habe ihm vertraut.

"Dieses Nettsein war also nur eine Masche um mich zum Reden zu kriegen oder was?"

Ich bin so enttäuscht von ihm.

"Man Mia. Gib ihm doch noch eine Chance und stoß nicht immer gleich alle weg von dir. Du hättest doch von selbst nie mit ihm geredet. Und nein, es war keine Masche. Ich musste ihn überreden hier her zu kommen. Ich will nur helfen", antwortet Luke.

"Klar, so wie jeder oder? Ihr merkt es doch schon gar nicht mehr, dass jedes Mal wenn ihr mir angeblich helfen wollt, ihr es nur noch schlimmer macht. Ich will nicht mit ihm reden, Luke. Und mit dir auch nicht mehr."

Ich will hier einfach nur noch raus, wenn da nicht Tyler stehen würde, der mich leicht besorgt  vom Türrahmen aus anblickt. "Hab ich dir eigentlich irgendwas getan?", fragt Tyler vorsichtig nach und kommt auf mich zu.

Meine Füße bewegen sich ebenfalls ein paar Schritte nach hinten, bis ich eine Wand hinter mir spüre. Er drängt mich in die Ecke. Wieso tut er das? 

"Ty, bitte. Bleib stehen", bitte ich ihn, doch er kommt mir immer näher.

Er kann es nicht wissen.

"Mia. Komm bleib doch mal hier. Ich will nur reden. Eigentlich war das Lukes Plan, aber er hat ja auch irgendwo recht. Ich verstehe einfach nicht so genau, was ich falsch gemacht habe. Deshalb sag es mir doch bitte einfach."

Ich spüre, wie mein Körper anfängt zu kribbeln. Ich kenne es aus der Vergangenheit zu gut, was es bedeutet, wenn mir Menschen zu nahe kommen. Genau deshalb benötige ich Distanz. Ich ertrage diese Nähe gerade in diesem Moment einfach nicht. 

Mein Kopf warnt mich. 'Er ist zu Nahe. Viel zu Nahe.'

Auch wenn er noch Schritte von mir entfernt ist, bekomme ich Panik. Ich greife nach der Kante des Regals neben mir und kralle meine Nägel in das Holz. Mein Atem wird lauter und immer schneller. Ich muss hier dringend raus.

Tyler spürt, dass etwas mit mir nicht stimmt und bleibt abrupt stehen. Er hat zwar keinen Schimmer davon, was gerade wirklich bei mir los ist, jedoch scheint er zu verstehen, dass die Nähe zu viel war. Tyler geht ein paar Schritte von mir weg und gibt mir mit seinen Augen zu verstehen, dass ich keine Angst vor ihm haben muss.

Ich löse meinen Rücken von der Wand hinter mir, schnappe mir meine Tasche und möchte gerade aus dem Raum stürmen, als Tyler versucht nach meiner Hand zu greifen. Ich möchte sie schwungvoll wegziehen, doch er ist schneller und hält mich am Arm fest.

Offensichtlich hat er das Schnellsein geübt, was mich kurz schmunzeln lässt.

"Mia...Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht irgendwie in Panik versetzen. Ich lasse dich in Zukunft in Ruhe und entschuldige mich für alles, das zwischen uns war. Offensichtlich soll es nicht sein", sagt er in einem sehr ruhigen Ton, als wäre es das natürlichste überhaupt, so etwas zu sagen. Meine Augen treffen seine hellbraunen.

'Er gibt auf', verständigt mir meine innere Stimme.

Ich schüttle meinen Kopf, um wieder klar denken zu können.

"'Entschuldigung Ty, aber ich kann das gerade nicht. Eines Tages wirst du es verstehen. Lass mich jetzt aber bitte los", bitte ich ihn ruhig, aber dennoch ernst.

Es ist eine Trauer und zugleich auch Wut, die ich in mir verspüre. Der bestehende Drang mit ihm über alles zu sprechen, da er es nicht verdient hat, ihn immer nur anzuschweigen, aber auf der anderen Seite ist da diese Stimme, die mir sagt, ich soll mich von ihm fernhalten. Kyle.

Bevor ich hier noch heulend vor Tyler stehe, sollte ich jetzt dringend von hier weg.

"Mia...bitte. Gehe jetzt nicht einfach", fleht er mich an. Für einen kurzen Moment zögere ich, bevor mein Kopf selbst die Kontrolle für mich übernimmt.

"Sofort", sage ich mit sehr ernster Miene und schaue dabei zuerst auf meinen Arm, der immer noch in seinem Griff liegt und dann in seine Augen.

Mit seinem Blick fleht er mich wortlos an, nicht zu gehen und mit ihm zu reden. Er lässt leicht locker, was sich anfühlt, als würde er mich fallen lassen. Es ist wie ein tiefer Stich, der sich durch meinen ganzen Körper zieht. Aber ich muss hier raus, weshalb ich mich aus seinem lockeren Griff reiße und aus dem Haus stürme.

Mein Körper lässt alles los und die Tränen strömen nur so aus meinen Augen heraus. Hinter mir höre ich noch, wie Luke Tyler aufhalten muss, mir nicht hinterherzugehen. Er muss gespürt haben, dass es mir gar nicht gut geht und wollte hinterher.

Von wegen er lässt mich in Ruhe. Aber das konnte er ja noch nie...

Zuhause angekommen, lege ich mich in mein Bett und zerbreche mir den Kopf über die Situation bei Luke zuhause. Was war das eben? Es tut mir leid, für meine heftige Reaktion auf Tylers Nähe. Ich kann ihn gut verstehen. Wie soll er mir gegenüber in solchen Situationen richtig handeln können, wenn er es nicht weiß? Er weiß eigentlich nichts von mir.

Was wenn ich doch mit Tyler hätte sprechen sollen? Es würde mir bestimmt gut tun, aber was ist dann mit Kyle? Ich kann ihn zurzeit nicht hintergehen. Der Fokus sollte momentan nicht auf Tyler, sondern auf Kyle liegen. Er soll sich nicht auch noch um mich sorgen müssen. Also bleibe ich lieber distanziert, zumindest bis sich der ganze Stress mal gelegt hat. 

Und was das Schulprojekt angeht, werde ich es einfach schnell nächste Woche hinter mich bringen und bis dahin vielleicht nochmal mit Luke reden, sodass es nächste Woche keine Vollkatastrophe wird. Wir sollten immerhin nicht gegeneinander sondern miteinander beim Präsentieren arbeiten.

Touching HandsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt