Keno betrat schließlich den Laden und blickte auf Reihen voller Regale, die in dem winzigen Verkaufsraum eng aneinander standen. Die Miete pro Quadratmeter in Frankfurt war sehr hoch, wie er selbst wusste. Da war es kein Wunder, dass man mit wenig Platz auskommen musste, wenn man so einen Laden führte, der wahrscheinlich nicht gerade eine Goldgrube war.
»Guten Tag«, begrüßte ihn eine ältere Frau um die siebzig, die hinter dem Verkaufstresen in der Mitte des Ladens stand.
Keno nickte freundlich und tat so, als ob er sich umschauen wollte. Dabei beobachtete er die Verkäuferin ganz genau. Sie sah aus wie ein Hippie mit ihrem orange-braunem Gewand, ihren langen, gewellten grau-blonden Haaren und den vielen bunten Klunkern am Finger. Typisch Achtundsechzigerin, dachte sich Keno.
Die Frau bemerkte allerdings seine Blicke und fragte daher:
»Kann ich Ihnen irgendwie helfen? Suchen Sie etwas Bestimmtes?«
Ertappt antwortete Keno stockend:
»Äh, nein, nicht wirklich. Aber ich habe etwas für Sie.« Er ging auf den Tresen zu und holte das Buch aus dem Beutel, den er bei sich trug. Dann überreichte er ihr es, worauf sie ihre Augen weit aufriss, als ob sie einen Geist gesehen hätte.
»Woher haben Sie das?«, hakte sie irritiert nach.
»Das habe ich... sagen wir mal... gefunden«, antwortete Keno ausweichend. »Das gehört Ihnen, oder? Ich habe darin Ihren Stempel gefunden.«
»Ja«, antwortete die ältere Frau wahrheitsgemäß. »Danke, dass Sie es mir zurückbringen.«
»Sie sind also die Eigentümerin dieses Ladens?«, fragte Keno freundlich nach.
Sie blickte Keno ebenso freundlich in die Augen.
»Genau, mein Name ist Marie-Luise Pechstein. Ich führe dieses Geschäft seit mehr als 25 Jahren.«
Noch ein Grund, warum sich Keno wunderte, dass er es zuvor noch nie gesehen hatte. Aber so lange wohnte er ja noch nicht in Frankfurt und in dieser Gegend war er selten unterwegs, obwohl die Straßen mit all ihren kleinen Geschäften und vielen guten Restaurants sehr schön waren.
»Darf ich fragen, wem Sie dieses Buch verkauft hatten?«
Verwirrt blickte sie den jungen Mann im bunten Hawaiihemd an und entgegnete:
»Niemanden. Das Buch ist eigentlich unverkäuflich. Es wurde mir gestohlen.«
»Und wissen Sie, wer es Ihnen gestohlen hat?«
»Nein...«, gab sie schnell zurück, riss das Buch an sich und drehte sich von Keno weg. Sie legte das Buch unter den Tresen und marschierte dann zu einem Regal, wo sie so tat, als ob sie etwas sortieren müsste. »Also nochmals danke, dass Sie es mir zurückgebracht haben. Ich muss jetzt weiterarbeiten.«
Keno ließ sich nicht so schnell abspeisen und folgte Frau Pechstein zum Regal.
»Bitte verzeihen Sie mir meine Direktheit, aber ich glaube schon, dass Sie wissen, wer es Ihnen gestohlen hat. Es waren drei Punker.« Er wollte nicht sofort verraten, dass die drei Punker eigentlich bösartige Ghule waren, da er nicht einschätzen konnte, ob Frau Pechstein über paranormale Phänomene Bescheid wusste.
Sie sortierte stur weiter und antwortete wieder sehr kurz:
»Richtig, das waren so rüpelhafte Punker. Unglaublich sowas.«
Keno wusste, dass er so nicht weiterkam und so musste er etwas forscher werden. Daher fragte er sie:
»Haben Sie noch mehr solcher Bücher?«
»Nein«, sagte sie schnell und lief zu einem anderen Regal, um dort nun die Bücher zu sortieren und neu auszurichten.
Keno glaubte ihr nicht und er behielt das Gefühl, dass sie ihm ausweichen wollte.
»Das ist sehr schade, denn ich bin auf der Suche nach derartiger Literatur. Also, wenn Sie noch einmal auf solche Werke stoßen, dann würde ich mich freuen, wenn Sie mir Bescheid geben würden.«
»Solche Bücher führe ich normalerweise nicht. Hier kann man nur seriöse Literatur kaufen. Wenn Sie nicht zufällig an der Erstausgabe von Brechts Der gute Mensch von Sezuan interessiert sind, dann bitte ich Sie mit aller Freundlichkeit, mein Geschäft zu verlassen.«
Keno fühlte sich wie vor den Kopf gestoßen. Die alte Frau schaute ihn nun mit strengem Blick an, sodass er wusste, dass er bei ihr auf Granit stoßen würde. Also gab er nach und verabschiedete sich mit aller Höflichkeit von Frau Pechstein. Als er wieder vor dem Laden stand, nahm er sich allerdings vor, nicht so leicht aufzugeben. Er würde das Antiquariat im Auge behalten, denn er war sich nun fast sicher, dass Frau Pechstein noch mehr solcher Werke besaß und auch wusste, was es mit ihnen auf sich hatte. Vielleicht war sie sogar eine Hexe, die sich lediglich als Händlerin von alten Büchern ausgab. Vielleicht vermachte sie das Buch sogar freiwillig den Ghulen oder arbeitete gar mit ihnen zusammen. Ihm war diese Dame nicht ganz geheuer und daher musste er mehr erfahren.
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Mission Schicksal - 1.3 Rufe der Verzweiflung
Mystery / ThrillerDie Dämonenjagd geht weiter und führt Veit, Alea und Keno in ein Antiquariat mit okkulten Büchern. Wer ist die Inhaberin Frau Pechstein? Woher hat sie derartige Schriften? Welche Geheimnisse verbirgt sie? Und wenn das noch nicht genug ist, warten we...