Kapitel 18

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Am darauffolgenden Tag betrat Alea erst gegen Mittag das Büro von AZUPP. Sie gönnte es sich nach den ganzen Vorfällen, mal so richtig auszuschlafen. Eigentlich hätte sie ein Seminar in der Schauspielschule gehabt, aber das hat sie geschwänzt. Sie konnte sich sowieso nicht konzentrieren, da ihr der Fall mit dem Bajang noch im Nacken saß.

Im Büro fand sie allerdings nur Veit vor, der im Buch des Teufels herumblätterte.

»Hallo Veit«, begrüßte sie ihn. »Was machst du da? Suchst du schon nach dem nächsten Namen? Du kannst wohl nicht genug kriegen. Ich muss erst mal die Sache mit Herrn Jahn verarbeiten.«

Er blickte auf und schaute sie entschuldigend an.

»Mir tun diese Leute nur unheimlich leid. Jeder von ihnen hatte irgendwelche Hoffnungen. Sie glaubten daran, ihr Leben zu verbessern, aber in Wirklichkeit haben sie sich ins Unglück gestürzt.«

»Ja, das ist schlimm«, bestätigte Alea. »Wenn Herr Jahn nicht unterschrieben hätte, wäre die Sache mit der Totgeburt zwar noch immer gewesen, aber seine Frau würde noch leben, mit der er das hätte durchstehen können. Und vielleicht hätten sie beiden es ja doch noch einmal versucht, ein Kind zu bekommen.«

»Außerdem wäre seine Seele nicht verdammt gewesen«, fügte Veit resigniert hinzu.

Alea warf sich auf einen Stuhl und stöhnte:

»Wir haben echt einen harten Job. Das ist wirklich nicht ohne.«

»Ich hatte dich gewarnt. Du hast dir das freiwillig ausgesucht, aber ich könnte es auch verstehen, wenn du wieder aussteigen willst. Schließlich bezahlen wir dich nicht einmal.«

»Nein!«, erwiderte die rothaarige Studentin schnell. »So war das nicht gemeint. Obwohl das alles nicht einfach ist, bin ich froh, dass ich Menschen helfen kann. So habe ich einen Sinn im Leben und das fühlt sich auf eine sehr seltsame Art und Weise gut an. Das ist verrückt, oder?«

Veit schüttelte den Kopf.

»Das ist nicht verrückt. Wir alle suchen nach etwas, das uns im Leben ausfüllt. Außerdem ist die Welt der Geister und Monster faszinierend, vor allem, wenn man erfährt, dass es sie wirklich gibt.«

»Ich befürchte, dass wir ein wenig sadistisch sind«, grinste sie ironisch.

»Da wirst du wohl recht haben«, entgegnete Veit mit einem zaghaften Lächeln.

Ein paar Minuten später betrat Keno das Büro. Er begrüßte Alea und seinen Bruder mit einer betroffenen Miene.

»Was ist los mit dir? Du siehst ja aus wie sieben Tage Regenwetter«, bemerkte die junge Praktikantin.

»Ich wollte Frau Pechstein im Krankenhaus besuchen, aber da erfuhr ich, dass sie letzte Nacht verstorben ist.« Er ließ den Kopf hängen. »Sie hat es nicht überlebt.«

»Oh nein!«, rief Alea entsetzt aus. »Das darf nicht wahr sein.«

Auch Veit schien betroffen, ging zu seinem Bruder hinüber und legte seinen Arm um ihn. Dann sagte er mit einer gewissen Wut in der Stimme:

»Und diese miesen Ghule sind uns schon wieder entkommen. Wenn ich sie erwische...«

»Das ist alles so schrecklich«, ergänzte Alea. »Also dieses Mal enden die Fälle wohl nicht mit einem Happy End. Erst muss Herr Jahn erkennen, dass sein Sohn ein Dämon ist, um ihn dann komplett zu verlieren. Danach kommt noch hinzu, dass Frau Pechstein ihr Leben lassen musste.« Sie seufzte.

»Es ist furchtbar«, sprach Keno frustriert. »Das hätte nicht geschehen dürfen. Ich hätte besser auf sie aufpassen müssen, sie nicht aus den Augen lassen dürfen.«

»So darfst du nicht denken«, unterbrach ihn sein Bruder. »Wir tun schon unser Möglichstes, aber wir sind nicht für alles verantwortlich. Wir können nur Schadensbegrenzung betreiben und versuchen, ein paar Menschen zu retten. Wir können nicht allen helfen.«

»Zumal war es doch auch so, dass sie euch wegschickte, oder? Du konntest sie nicht zu ihrem Glück zwingen.«

»Ich weiß, dass ihr recht habt«, gab Keno kleinlaut zu, »aber dennoch ärgert es mich. Die Frau war trotz ihrer schroffen Art eine Gute, sonst hätte sie dir nicht kurz vor ihrem Tod noch geholfen, Alea.«

»Das stimmt. Ohne sie wären wir nicht so schnell auf den Bajang gekommen und hätten vielleicht noch länger im Dunkeln getappt.«

»Hast du eigentlich das Buch noch?«, wollte Veit plötzlich wissen.

»Ja«, sagte sie, »es ist in meinem Zimmer im Wohnheim. Ich wollte es heute wieder zurückbringen. Ich habe auch noch den Schlüssel.«

Veit schaute nachdenklich und lief im Büro auf und ab.

»Worüber denkst du nach?«, hakte Keno nach.

»Wenn Frau Pechstein nicht mehr lebt, gehört ihr das Antiquariat auch nicht mehr. Es wird wahrscheinlich aufgelöst. Ich überlege gerade, ob wir uns die Bücher noch schnell herausholen sollen.«

»Das können wir nicht machen«, entgegnete Keno sofort. »Sie gehören uns nicht. Außerdem würde es auffallen, wenn sie in den Regalen fehlen. Dann werden sie eventuell nach Dieben fahnden.«

»Ich befürchte, dieses Büro bietet auch nicht genug Platz für die ganzen Werke«, fügte Alea hinzu.

»Und wenn wir nur ein paar ausgewählte Bände nehmen?«, fragte Veit erneut nach.

Keno schüttelte den Kopf und sprach:

»Ich weiß, dass der Gedanke daran lukrativ ist und uns diese Werke in Zukunft sicherlich gute Dienste erweisen würden. Aber ich hätte dabei ein schlechtes Gewissen. Für mich wäre es Diebstahl.«

»Wir haben Herrn Gruber doch auch was gestohlen«, warf Veit ein.

»Gruber war böse«, antwortete Keno abwehrend. »Vielleicht gibt es eine legale Möglichkeit, an die Bücher zu kommen.«

»Du bist doch unser Finanzverwalter«, entgegnete Veit scharf. »Du müsstest am besten wissen, dass wir uns das nicht leisten können, falls du daran denken solltest, sie einem möglichen neuen Besitzer abzukaufen.«

Keno seufzte, da er wusste, dass sein Bruder recht hatte.

»Vielleicht schauen wir uns einfach mal im Laden um und entscheiden dort.«

»Ich kann es ja leider wegen des Schutzzaubers nicht betreten«, bemerkte Veit. »Ihr müsst das alleine tun.«


Mission Schicksal - 1.3 Rufe der VerzweiflungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt