Kapitel 9

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Doch sofort stellte er fest, dass sein Bruder schon wieder aufgestanden sein musste, denn er war nicht mehr an seinem Schlafplatz. Zuerst streckte er sich, gähnte lautstark und erhob sich von seinem Bett. Er ging hinaus in den Flur und hörte aber nichts. Er seuftze und dachte, dass sein Bruder wahrscheinlich, so wie immer, am Fenster stand, hinausstarrte und nachdachte. Daher entschied Keno sich, sich erst einmal frisch zu machen. Er ging ins kleine Badezimmer, duschte sich und putzte sich die Zähne. Dann ging er zurück ins Schlafzimmer, wo sich auch ihr Kleiderschrank befand und suchte sich die Klamotten für den Tag heraus. Unter den zahlreichen Hawaiihemden, die er besaß, wählte er ein dunkelgrünes mit hellgrünen Strichen aus, die sich wie Tannennadeln über den ganzen Stoff verteilten. Dann ging er ins Büro und erhoffte sich, nun auf Veit zu treffen.

»Guten Mo...«, begann er und blieb mitten im Wort stecken. Sein Bruder war nicht da. Das fand er seltsam. Er schaute auf sein Handy, aber Veit hatte ihm nicht geschrieben.

In diesem Augenblick klopfte es an der Tür.

»Veit?«, rief er, obwohl er eigentlich hätte wissen müssen, dass sein Bruder nicht anklopfen würde.

Da betrat Arko den Raum.

»Nein, ich bin nicht Veit. Aber ich wollte zu ihm. Ist er nicht da?«

»Seltsamerweise nicht«, entgegnete ihm Keno. »Ich bin eben erst aufgestanden und ich dachte, er sei hier im Büro. Aber er ist nicht hier.«

»Ist er bei einem Fall?«

Keno dachte kurz nach, bevor er antwortete:

»Eigentlich nicht, weil wir uns nicht mal besprochen haben. Außerdem hätte er mir dann eine Nachricht hinterlassen.«

»Seit wann ist er denn schon weg?«, hakte der Musikstudent mit dem langen Haar nach.

»Wenn ich das wüsste...«, antwortete Keno und dabei fiel ihm ein, dass Veit schon länger weg sein könnte. Keno war vor seinem Bruder eingeschlafen, weswegen er nicht einmal sicher sein konnte, dass Veit überhaupt geschlafen hatte. Vielleicht war er mitten in der Nacht wieder abgehauen. »Warte, ich rufe ihn einfach an.« Er holte sein Handy heraus und wählte Veits Nummer. Es klingelte ein paar Mal, bis die Mailbox ansprang.

»Geht er nicht heran?«, fragte Arko nach.

»Nein...«

»Das ist seltsam. Ich habe mich schon gewundert. Ich habe ihm nämlich geschrieben, dass ich heute Morgen vorbeikommen wollte, aber jetzt ist er nicht da. Und er hatte auch nicht auf meine Nachricht reagiert.«

»Ich frage mal Alea, ob sie was weiß.« Er tippte eine Nachricht an seine junge Kollegin und wartete auf ihre Antwort, die nicht lange auf sich warten ließ. »Sie weiß auch nicht, wo er ist.«

»Dein Bruder ist ganz schön melodramatisch, oder?«

Keno seufzte.

»Ja, er macht sich gerade viele Gedanken. Gestern hatten wir einen Fall bei einem Antiquariat. Die Ghule befanden sich dort und Veit hat sie verscheucht. Sie wollten eigentlich ein Zauberbuch aus dem Laden, aber der Laden ist vor dämonischen Kräften geschützt. Sie können ihn nicht betreten. Tja... Leider kann Veit ihn auch nicht betreten und das hat ihn getroffen.«

»Glaubt er, er ist ein Dämon?«

»Er hatte sowieso schon ein schlechtes Gefühl, weil er ja so komische Kräfte besitzt, falls du dich erinnern kannst.«

Arko nickte. Dunkle, nebelartige Energien kamen aus Veits Händen, als sie auf dem Friedhof gegen Ghule gekämpft hatten. Da war er dabei und sah es mit eigenen Augen.

»Jetzt hat ihn die Tatsache,« fuhr Keno fort, »dem Schutzzauber des Antiquariats zu unterliegen, noch tiefer in ein mentales Loch geschubst. Wir haben letzte Nacht viel darüber gesprochen, aber scheinbar kriegt er es nicht aus seinem Kopf.«

»Das ist echt übel. Dabei sollte er doch wissen, dass er trotztdem ein guter Mann ist, egal was da für Kräfte in ihm stecken.«

»Das habe ich ihm auch gesagt«, bestätigte Keno und setzte sich resigniert auf seinen Schreibtischstuhl. »Was machen wir jetzt?«

In diesem Augenblick klingelte Kenos Handy und er dachte sofort, dass es sein Bruder war, doch es war lediglich Alea, die sich erneut meldete.

»Weißt du mittlerweile, wo Veit ist?«

»Nein, er meldet sich nicht.«

Man hörte, wie Alea mit den Zähnen knirschte.

»Das ist blöd. Trotzdem wollte ich Bescheid geben, dass ich jetzt mit Carlo zu diesem Herrn Jahn gehe und noch mal schaue, ob wir etwas erreichen können.«

»Seid bitte vorsichtig«, warnte Keno seine junge Kollegin. »Arko ist hier und wir beide versuchen, Veit ausfindig zu machen. Falls er sich dennoch bei dir meldet, sag uns bitte Bescheid.«

»Natürlich«, bestätigte Alea und legte auf.

»Meinst du, wir müssen uns Sorgen machen?«, wollte Arko von Keno wissen.

»Nein, eigentlich nicht. Veit ist stark und kommt alleine gut zurecht.« Überzeugt klang er bei dieser Aussage aber nicht, was sein Gegenüber natürlich registrierte.

»Wir können hier nicht untätig rumsitzen und Däumchen drehen. Lass ihn uns suchen. Wo könnte er stecken?«

Keno dachte nach. Sie wohnten noch nicht so lange in Frankfurt, als dass Veit seine Stammorte hatte, wo er sich gerne befand. Eigentlich war er nur im Büro, wenn er gerade keinen Fall zu lösen hatte. Er war nicht der Typ, der einfach so spazieren ging oder sich mit Freunden zum Kegeln traf. Daher konnten sie einfach nur durch die Gegend laufen und alles auf gut Glück absuchen. Eine andere Wahl hatten sie nicht.

»Wir durchforsten zunächst einmal die Innenstadt«, schlug Keno vor. »Dann sehen wir weiter.«


Mission Schicksal - 1.3 Rufe der VerzweiflungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt