»KENO?«, rief sie. »VEIT? WO SEID IHR?«
Da schlurfte Keno ins Büro. Er war noch im Schlafanzug, was irgendwie süß aussah, da er an seine Hawaiihemden erinnerte. Er war dunkelblau und darauf waren gelbe Mondsicheln gedruckt.
»Hey! Was schreist du so?« Mit den Händen griff er sich an die Schläfen.
»Na?«, neckte sie ihn. »Hast du einen Kater.«
Er ging zum Kaffeeautomaten und schmiss ihn an.
»Das kannst du laut sagen.«
Nun betrat auch Veit das Büro und er sah mindestens genau so schlecht aus wie sein Bruder. Er hatte zerzauste Haare und trug nur ein Unterhemd und eine Jogginghose. Seine Augen hatte er schmerzverzerrt zusammengepresst.
»Guten Morgen«, begrüßte ihn Alea überschwenglich. Sie kaute schmatzend auf ihrem Kaugummi herum. »Gut geschlafen?«
Als Antwort bekam sie nur ein Grummeln, was sie etwas verärgerte. Schnaufend setzte sie sich auf einen Stuhl und verschränkte die Arme.
Keno schlurfte an seinem Kaffee und setzte sich ihr gegenüber an den Schreibtisch.
»Es tut uns leid«, sagte er schließlich. »Wir haben gestern ein bisschen übertrieben.«
»Ein bisschen?«, echauffierte sich die Rothaarige. »Wir haben einen wichtigen Fall zu lösen und ihr besauft euch mitten in der Woche am helllichten Tag. Ich wusste gar nicht, was ich machen soll. Und jetzt rennt hier in der Stadt ein dämonisches Kleinkind herum.«
»Was sagst du da?«, hakte Veit nach, der plötzlich hellhörig wurde.
»Du hast schon richtig gehört. Ich war gestern noch mal bei Herrn Jahn. Carlo hat mir geholfen, weil ihr ja anderweitig beschäftigt wart. Und so konnten wir uns Zutritt ins Haus verschaffen. Der kleine Bengel wütete wie ein kleines Monster an uns vorbei und rannte nach draußen. Seitdem ist er nicht wieder aufgetaucht.«
»Was ist denn mit dem Kind?«, wollte nun Keno wissen.
»Der Vater hat mir erzählt, dass seine Frau eigentlich eine Totgeburt erwartete. Doch Herr Gruber konnte das verhindern. Das Baby kam lebendig zur Welt, wobei die Mutter sterben musste. Seither benimmt es sich wie ein wildes Tier. Es knurrt und beißt, sodass sein Vater es zuhause einsperrt.«
»Und wegen euch konnte das Kind jetzt ausbüchsen«, stellte Veit fest. »Das hast du ja super gemacht«, fügte er mit Sarkasmus an.
»Spar dir das!«, forderte sie ihren Chef auf. »Wärt ihr nicht in der SonderBar zugange gewesen und hättet ihr mir stattdessen geholfen, hätte ich vielleicht anders gehandelt. Ich wusste ja nicht, dass das Kind das Böse in Person ist. Ich dachte, der Vater sei das Monster, was das unschuldige Kind einsperrt.«
»Vorhaltungen bringen uns jetzt nichts«, beschwichtigte Keno die Situation. »Aber natürlich hast du recht, Alea. Eigentlich ist es Veits und meine Aufgabe, uns um so etwas zu kümmern. Entschuldige bitte, dass wir gestern so aus der Reihe getanzt sind.«
»Ja, mir tut es auch leid«, fügte Veit kleinlaut hinzu. »Meine Reaktion war nicht okay, ich bin noch nicht ganz wach. Ich war gestern völlig neben der Spur, aber jetzt bin ich wieder da und bereit.«
So einsichtig kannte sie Veit ja noch gar nicht, musste Alea verwundert feststellen, aber das hebte ihre Laune wieder etwas.
»Gut«, sprach sie freundlich. »Habt ihr aber jetzt eine Idee, wie wir das Kind finden oder wie wir herausfinden, was mit ihm überhaupt los ist?«
Keno kam sofort ein Einfall:
»Frau Pechsteins Antiquariat hat wohl eine Fülle an okkulter Literatur. Vielleicht können wir dort recherchieren und finden etwas Nützliches heraus.«
»Du willst doch nur einen Grund, warum wir dahin gehen«, bemerkte die Schauspielstudentin süffisant.
»So schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe«, gab Keno zu. »Aber ich muss mich erst einmal frisch machen.«
Bevor er sich erheben konnte, rief Veit:
»Aber ich bin zuerst dran!« Mit diesem Satz rannte er auch schon ins Bad.
»Dein Bruder kann ja richtig kindisch werden«, stellte Alea überrascht fest.
»Restalkohol«, behauptete Keno lachend. »Einfach nur Restalkohol.«
Etwa eine Stunde später machten sie sich auf den Weg ins Antiquariat. Als sie dort ankamen, war der Laden allerdings noch geschlossen, was Keno wunderte.
»Er hätte eigentlich schon längst geöffnet sein müssen. Irgendwas stimmt hier nicht.«
»Vielleicht waren die Ghule wieder hier«, vermutete Veit.
Das ließ Keno aufschrecken. Er wusste, dass das gut möglich war und deshalb machte er sich Sorgen um Frau Pechstein.
»Und was machen wir jetzt?«, wollte Alea verzweifelt wissen, da sie nur an Herrn Jahn und den Jungen dachte. »Wie kommen wir jetzt an die Bücher?«
»Ich komme sowieso nicht da hinein«, gab Veit zu bedenken. »Deshalb sollte ich vielleicht nach Frau Pechstein suchen. Zwar habe ich keine Anhaltspunkte, wo sie sich befinden könnte, aber tatenlos rumsitzen kann ich sowieso nicht.«
»Ja, da wirst du recht haben«, stimmte Keno zu. »Dann versuchen Alea und ich, in den Laden zu kommen.«
»Willst du etwa einbrechen?«, hakte die junge Studentin nach.
»Fällt dir was Besseres ein?«
Sie schüttelte den Kopf und schaute dann aber entschlossen.
»Dann machen wir es«, beschloss Veit und ging los.
Alea und Keno gingen zur Tür und schauten sie sich an. Das Problem war nicht nur die Tür, sondern auch eine Art Gitter, welches heruntergelassen war und das Geschäft vor Einbrechern schützte.
»Ohne Gewalt anzuwenden, werden wir es wohl nicht darein schaffen«, vermutete Alea.
»Ja, scheint so«, gab Keno zu. »Wir sind Dämonenjäger und leider keine professionellen Einbrecher. So ein Mist aber auch.«
»Was tun wir jetzt?«
»Lass mich nachdenken.« Er setzte sich an den Bordstein und überlegte angestrengt. Alea setzte sich neben ihn. Es schien so, als ob sie an einer Sackgasse angekommen waren. Die Hexe war wahrscheinlich von den Ghulen an einen Ort verschleppt worden, den sie nicht kannten. Ein dämonisches Kind lief frei in der Stadt herum und auch da wussten sie nicht, wo sie es finden konnten. Hinzu kam, dass sie nicht einmal wussten, was es für ein Dämon war und welche Kräfte eventuell noch in ihm steckten. Es war zum Verzweifeln.
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Mission Schicksal - 1.3 Rufe der Verzweiflung
Mystery / ThrillerDie Dämonenjagd geht weiter und führt Veit, Alea und Keno in ein Antiquariat mit okkulten Büchern. Wer ist die Inhaberin Frau Pechstein? Woher hat sie derartige Schriften? Welche Geheimnisse verbirgt sie? Und wenn das noch nicht genug ist, warten we...