Kapitel 11

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Die SonderBar öffnete heute am Mittag und daher überlegte Keno, ob er dort nachsehen sollte. Er ging nicht davon aus, dass er seinen Bruder ausgerechnet dort finden würde. Sie waren zwar mittlerweile ein paar Mal dort gewesen, vor allem, weil ihre Praktikantin Alea da arbeitete, aber als Stammlokal sahen sie die Bar trotzdem nicht an. Allerdings hatte Keno keine andere Idee, wo er noch hätte suchen sollen und so machte er sich auf den Weg dahin.

Die SonderBar war nicht nur für ihre genialen Cocktails bekannt, sondern auch für leckere Burger und so war sie bereits mittags gut gefüllt, wenn die Leute in der Stadt Mittagspause machten. Keno betrat das Lokal und schaute sich um. Als er in Richtung der Bar sah, war er vollkommen überrascht, dass sein Bruder tatsächlich dort hockte und an einem Getränk schlürfte.

Mit schnellen Schritten lief er zu ihm und rief:

»Veit! Was machst du nur für Sachen? Wir haben uns Sorgen gemacht!« Er setzte sich neben ihn und schlug ihm mit der Hand auf die Schulter.

Veit hob sein Glas, als wollte er seinem Bruder zuprosten und sprach lallend:

»Des habsch ma' gebraucht.«

»Du bist ja betrunken? Wie hast du das gemacht? Die Bar hat doch erst vor ein paar Minuten geöffnet.«

Veit blickte seinen Bruder mit rotem Kopf und weit geöffneten Pupillen an, als er antwortete:

»Isch war im Supermarkt und hab mir was besorgt. Bis eben habsch am Main gesessen und getrungen...«

»Oh Veit«, seufzte Keno und schüttelte den Kopf. »Warum hast du nicht Bescheid gesagt? Arko und ich haben dich gesucht.«

»S-s-sorry!«, entgegnete Veit und nahm noch einen Schluck seines Getränks.

Keno ahnte, was mit seinem Bruder los war und hatte Mitleid. Schon am Vortag hatte er sich so viele Gedanken gemacht und jetzt wollte er seinen Kummer ersaufen. Er rief den Kellner und bestellte das gleiche Getränk, was sein Bruder hatte.

»Also auch einen Gin Tonic?«, versicherte sich der Kellner.

»Ja, bitte.« Dann blickte Keno wieder seinen Bruder an und versuchte, ihn aufzumuntern:

»Es ist okay, wenn du dich schlecht fühlst, aber du solltest dich nicht von deinen Gefühlen beherrschen lassen. Ich habe vorhin mit Arko gesprochen und er vertraut dir voll und ganz, weil er der Überzeugung ist, dass du ein guter Kerl bist und überhaupt nichts Böses an dir hast.«

Veit schloss die Augen bei diesen Worten und es wirkte so, als ob er kurz überlegen müsste. Dann sagte er:

»Isch war gemein zu ihm. Vielleicht war das auch was B-b-böses. Wie kann er mir da so vertrauen?«

Sofort wehrte Keno seine Worte ab:

»Du hast ihn von dich gestoßen, um ihn zu schützen. Wenn das nicht bedeutet, dass du ein guter Mann bist, dann weiß ich auch nicht. Du hättest schließlich einfach egoistisch sein können und es ignorieren, dass er sich in Gefahr begibt, wenn er mit dir zusammen ist. Du hättest darauf einen Scheiß geben und nur an dich denken können.«

»Du bischt lieb, Brüderschen...«, lallte Veit weiter. »Aber isch hab ständig diese Bilder im Kopf, wie meine leibliche Mudder getötet wurde... U-u-und jetzt habsch ebenfalls diesen Dämon in mir. Wer weiß, wen isch irgendwann töte...«

»Nein, Veit, du wirst nie jemand Unschuldiges töten. Was deiner Mutter passiert ist, ist grausam und wir werden eines Tages dieses Monster finden. Aber du bist kein Monster!«

In diesem Moment stellte der Kellner ihm sein Getränk hin. Er nahm es in die Hand und stieß mit seinem Bruder an, wonach er einen großen Schluck nahm. Es schüttelte ihn und er dachte einen Augenblick darüber nach, dass es noch viel zu früh für Alkohol war. Dann warf er diesen Gedanken wieder ab und sagte sich, dass er seinem Bruder jetzt beistehen musste. Und wenn es sein musste, würde er sich mit ihm mal wieder so richtig schön betrinken. Das letzte Mal war sowieso schon viel zu lange her, weil sie gar keine Zeit dafür hatten. Sie waren ständig nur am Arbeiten und gönnten sich kaum Freizeit. Jetzt durften sie ausnahmsweise einmal über die Stränge schlagen, beschloss Keno eigenmächtig, zumal Veit ja sowieso schon zu betrunken war, um an diesem Tag zu arbeiten.

Da fiel ihm ein, dass er Arko Bescheid geben sollte. Er holte sein Handy heraus und tippte kurz ein, dass er Veit gefunden hatte und dass es ihm gut ginge. Er verriet aber nicht, wo sie waren, da er seinen Bruder nicht überfordern wollte. Er wollte sich erst einmal alleine um ihn kümmern.

»Aber so kann man doch nischt leben...«, stieß Veit plötzlich aus und starrte dabei in die Luft.

Keno erschrak bei diesen Worten, weil er sie nicht einordnen konnte. Dann legte er den Arm um die Schulter seines Bruders und sprach:

»Wir schaffen das schon, Veit. Gemeinsam! Ich bin dein Bruder und stehe dir bei. Wir finden den Dämon, der deine Mutter getötet hat und wir werden herausfinden, was das für eine Macht in dir ist. Alles wird gut, das verspreche ich dir.«

Veit lächelte milde und nickte seinem Bruder zu, was Keno ein wenig erleichterte. Er wollte, dass es ihm wieder besser ging, weshalb er noch mal das Glas erhob, mit ihm anstieß und einen weiteren Zug nahm. Heute würden sie die Arbeit Arbeit sein lassen und sich einfach nur zum Spaß betrinken. Vielleicht sähe danach die Welt wieder ein wenig besser aus.

»Komm, lass uns einen Burger bestellen«, schlug Keno vor.

»Gute Idee«, bestätigte Veit und rief den Kellner herbei.

Sie bestellten zwei Cheeseburger mit Pommes, jeweils noch einen Gin Tonic und verwiesen den Kellner an einen Tisch, wohin sie sich sodann begaben.

»Danke!«, sagte Veit schließlich und lächelte seinen Bruder an. Auch wenn er total betrunken war, wusste er zu schätzen, was Keno gerade für ihn tat. Normalerweise war das Geldverdienen oberste Priorität bei seinem Bruder, damit AZUPP laufen konnte. Einen Tag mal einfach nur mit Saufen zu verbringen, war normalerweise nicht drin. Aber heute war alles anders und das wollte er so richtig zelebrieren.

Keno ließ sich voll darauf ein und beschloss ebenfalls, den Alltagsstress für heute zu vergessen. Auch er hatte einen freien Tag nötig.

Sie ließen sich den Burger schmecken und tranken ein paar weitere Long Drinks.


Mission Schicksal - 1.3 Rufe der VerzweiflungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt