Kageyama PoV
Ich hatte mein altes Zimmer im Haus meiner Eltern nie so richtig gemocht. Und erst recht nicht jetzt, wo selbst die wenigen persönlichen Sachen, die ich besaß nicht mehr hier sondern in meinem Wohnheimzimmer waren.
Ich ließ mich auf mein Bett fallen, welches trotz meiner Abwesenheit akkurat gemacht und sauber war. Ich hatte noch nicht richtig verarbeitet, was in der letzten halben Stunde passiert war. Mit einem dumpfen Pochen in meinem Kopf hatte ich meine Tasche zusammen gepackt und war mit meiner Mutter aus dem Wohnheim gestürmt, als die ersten verschlafenen Studierenden aus ihren Räumen kamen. Oikawa hatte sich die Worte meiner Mutter zu Herzen genommen und war nicht mehr da, was meinem Herzen einen enormen Stich versetzt hatte, auch wenn ich wusste, dass er keine andere Wahl hatte.
Ich musste all meine Fassung zusammen nehmen, um nicht auf dem Gang in hysterische Tränen auszubrechen. Die Autofahrt ist verschwommen an mir vorbei gezogen, ebenso die Belehrungen meiner Mutter. Als wir auf dem Grundstück vorgefahren sind, hat sie mir knapp zu verstehen gegeben, dass man mich beim Mittagessen erwarten wird und mich auf mein Zimmer geschickt, wo ich nun saß und nicht wusste, wohin ich meine Gefühle stecken sollte.
Ein leises Klopfen ließ mich zusammenzucken und fast schon erwartete ich, dass meine Mutter doch entschieden hatte, mich jetzt schon weiter zu belehren, statt auf das Mittagessen zu warten, doch es war Miwa, meine Schwester, die ihren schwarzhaarigen Schopf durch meine Tür steckte. "Hey, Bruderherz. Darf ich reinkommen?", fragte sie leise und ich nickte stumm, woraufhin sie sich durch den schmalen Spalt schob und die Tür leise hinter sich schloss.
Miwa sah so aus, wie ich mich fühlte, wenn nicht sogar schlimmer. Ihre Augen waren blutunterlaufen und ihr Gesicht fleckig vom vielen Weinen. Wortlos ließ sie sich neben mir auf das Bett fallen und kurze Zeit hingen wir beide unseren Gedanken nach.
"Es tut mir leid, dass ich dich nicht warnen konnte", sagte sie irgendwann, doch ich schüttelte den Kopf. "Dafür kannst du nichts, es war nur eine Frage der Zeit, bis sie dahinter gekommen wären", antwortete ich und sie seufzte schwer. "Ich hatte die Hoffnung, dass es noch ein wenig länger dauern würde. Ich konnte Hina noch nicht einmal Bescheid geben. Sicherlich denkt sie, ich ghoste sie, weil der Sex so schlecht war." Ich verdrehte die Augen und sagte: "Zu viel Informationen, Miwa." Sie lachte hell auf. "Derweil war er nicht einmal schlecht. Im Gegenteil, er war viel zu gut. So gut, dass ich-" - "Miwa! Ernsthaft, ich will es nicht wissen."
Sie drehte den Kopf und auch ich schaute sie an. Ihr Lächeln war traurig. "Sie wird nichts dergleichen denken", sagte ich eindringlich zu ihr, "bald ist wieder alles beim alten und du kannst dich wieder mit ihr treffen." Ihr Lachen klang hohl und freudlos.
"Ich glaube, dieses Mal habe ich kein Glück, was das angeht, Tobio", erwiderte sie und ihr Blick wurde ernst und hoffnungslos. "Sie wollen mich verheiraten. Und ich soll schon bald schwanger werden", flüsterte sie beinahe und die Angst, die sich auf ihrem Gesicht ausbreitete, war so echt, dass ich mich zu ihr drehte und sie fest in die Arme nahm.
"Wie wollen sie das denn anstellen? Sie können dich schlecht hier einsperren", murmelte ich an ihrem Haarschopf, doch ich ahnte die Antwort bereits. Meine Eltern sprachen nie leere Drohungen aus. "Sie wissen von Hina. Sie haben das Haus gekauft, in dem sie ihre Wohnung und ihr kleines Café hat und drohen jetzt, sie rauszuschmeißen, wenn ich nicht mitspiele. Sie hat nichts anderes. Sie hat keine Eltern mehr, die sie unterstützen könnte, geschweige denn eine Bleibe, in der sie wohnen könnte. Sie würde auf der Straße landen. Das konnte ich nicht zulassen", flüsterte sie und ein Schluchzen erschütterte ihre schmale Gestalt, als sie sich an mich klammerte und ihren Tränen freien Lauf ließ.
Eine alte, ungeheure Wut auf meine Eltern ließ meinen Brustkorb zusammenziehen und automatisch schob sich das Gesicht von Oikawa vor mein inneres Auge. Was dachte er nur von mir? Ich hatte kampflos zugelassen, dass meine Mutter uns auseinander riss und nichts gesagt, als sie ihn mit Anschuldigungen überschüttet hatte. Er musste denken, mir sei das alles nichts wert.
Wir lagen einige Minuten so da, bis Miwas Schluchzen einem Schniefen gewichen war und sie irgendwann wieder ihren Blick hob. "Wissen sie von Oikawa?", fragte sie und ich nickte grimmig. "Er hat darauf bestanden, mit mir mitzukommen, als Mutter mich angerufen hat. Er dachte, er könnte ihr alles erklären", antwortete ich und sie schnaubte. "Idiot", kicherte sie und ich musste unwillkürlich grinsen.
"Er wollte sich für mich einsetzen. Ich hätte es besser wissen müssen... aber ich hatte Hoffnung, weißt du?", erklärte ich ihr und sie nickte an meiner Brust. "Er scheint ein guter Kerl zu sein", sagte sie. "Das ist er", antwortete ich und schluckte den dicken Kloß in meinem Hals herunter.
Sie wollte gerade erneut zum sprechen ansetzen, als ein erneutes Klopfen uns zusammenzucken ließ. Da meine Eltern nie klopften, war ich kurz verwirrt, bis Miwa sagte: "Das ist sicher Mei." Ich hatte mich schon so an das befreite Leben ohne eine Haushälterin gewöhnt, dass ich mich kurz schämte, Mei einfach vergessen zu haben. Schließlich kannte sie mich schon seit ich ein Baby war, hat Miwa und mir Süßigkeiten zugesteckt, wenn wir allein waren, hatte mit mir gebastelt und Miwa bei ihrem Klavierunterricht geholfen und war stets freundlich und nett gewesen. Eine nette Abwechslung zum Verhalten meiner Eltern.
"Herein", rief ich und tatsächlich steckte wenige Sekunden später eine ältere Frau mit schlohweißem Haar ihren Kopf durch die Tür. "Tobio-kun. Schön dich wiederzusehen", sagte sie freundlich und neigte den Kopf. Unwillkürlich stahl sich ein Lächeln auf mein Gesicht und ich antwortete: "Ebenfalls, Mei-san. Ich hoffe es geht Ihnen gut." Sie zuckte nur mit den Schultern. "Das Alter macht sich so langsam bemerkbar, aber ich kann mich nicht beklagen." Ihre Miene wurde ernster. "Ihr beide sollten so langsam herunter kommen und mit euren Eltern speisen."
Ich schaute Miwa an, die so aussah, wie ich mich fühlte: als ob ich einfach hier oben bleiben wollte und dieses Zimmer nie wieder verlassen wollte. Sie richtete sich auf und wischte sich energisch die Tränenspuren von ihren Wangen. "Also los, bringen wir es hinter uns."
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Drowning in your pheromones || Oikawa x Kageyama
FanfictionInhalt: Seit er sich als Omega manifestiert hatte und die lange Linie an Alphas in seiner Familie unterbrochen hat, versucht Kageyama, mit dieser unerwarteten Wendung in seinem Leben klarzukommen. Er bleibt gern unter dem Radar, fällt nicht sonderli...