Frei

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Sorry für das späte Update, aber dafür ein etwas längeres Kapitel.

Einige Tage vergingen. Ian brachte Mickey das Frühstück ans Bett, behandelte ihn gut. Pflegte seine Wunden, half ihm beim Duschen und anziehen. So wie Mickey es vor so vielen Jahren tat, als Ian eine depressive Phase hatte. Er machte ihm essen und ja, er las ihm sogar aus einem Roman vor, nur dass Mickey seine Stimme hörte. Er schlief neben ihm ein und nahm den Schwarzhaarigen in den Arm. Die Klamotten hingen im nur so am Leib und Hosen begannen zu rutschen. Seine Knöchel traten weiß unter der dünnen Haut hervor und sein blasser Taint schien undurchsichtig. Dunkellila Augenringe standen in seinem Gesicht. Mickey sah schlimm aus. Ian war kurz davor seinen Mann ins Krankenhaus zu bringen da er sich Sorgen um sein Untergewicht machte, aber als einige Wochen vergingen wurde es langsam besser. Mickey begann über Ians Witze zu lächeln und ging alleine duschen. Er begann mehr zu essen, öffnete regelmäßig das Fenster und begann sogar fern zu sehen. Es wurde besser. Stück für Stück. Ian wollte einen Schritt weiter gehen.
„Was hältst du von einem Spatziergang?“ Fragte der Rothaarige.
Mickey sah ihn an und nickte. Wortlos stand er auf und zog sich an. Ian war nicht sicher, ob er zu weit gegangen war. „Wenn du nicht willst, oder nicht bereit bist….“ Begann er, wurde aber unterbrochen „Doch. Ist okay. In den Park?“ Fragte Mick. Doch irgendwie war es nicht Mick. Nicht sein Mick. Er war wie eine leere Hülle. Eine leere Hülle die sprechen und laufen konnte. Sein Mick hätte sowas wie ‚Halts Maul Gallagher‘ oder ‚ich bin keine Pussy‘ geantwortet. Das hier war anders. War das der neue Mickey? Der neue Mickey, der mit ihm in den Park ging und Enten fütterte? Ein kleiner Teil in Ians Kopf hoffte, dass der alte Mickey irgendwann wieder kommen würde.
Sie gingen im Park nebeneinander her. Schweigend. Die Hände in den Taschen. Sie gingen und sagten nichts, bis sie wieder zu Hause waren. Und ein kleiner Teil in Ians Kopf fürchtete, dass der alte Mick nicht wiederkommen würde.

Es vergingen nun weitere zwei Monate und von Woche zu Woche wurde es besser. Mickey aß mit den anderen Gallaghers in der Küche und fing an, zuzunehmen. Aber Mickey war immernoch diese leere Hülle. Mickey war nicht Mickey. Er war still geworden. Antwortete nur wenn er etwas gefragt wurde, lachte selten und war einfach nicht mehr er selbst. Eines Abends, als Ian von der Arbeit nach Hause kam, saß Mickey in ihrem großen Bett und hatte Kopfhörer auf. Er sah zum Fenster hinaus und hörte Musik. Draußen war es schon dunkel und Mickey hörte nicht dass Ian bereits im Raum stand. Für einen Moment sah der Rothaarige seinen Mann an. Nachdenklich. Er schloss die Tür und riss Mickey aus seinen Gedanken. „Hey. Wie geht’s dir?“ Fragte Ian
„Gut. Wie war die Arbeit?“ eine leere Phrase die Ian jeden Abend hörte. Als würde Mickey das fragen müssen um interessiert zu wirken. Nicht weil es ihn wirklich interessierte, sonder nur, weil er das ja jeden Abend fragte.
„Anstrenend“ Sagte Ian, so wie jedes Mal auf diese Frage. Damit war ihr Gespräch normalerweise beendet. Normalerweise ging Ian jetzt duschen und legte sich mit einem Buch ins Bett, bis er das Licht ausmachte und schlief. Doch heute … Ian fühlte sich beschissen. Nicht, weil die Arbeit so anstrengend war oder weil er krank wurde, er fühlte sich beschissen, weil sein Herz weh tat. Tief darin wusste er, dass das jetzt sein Leben war. Er wusste, dass der alte Mickey nicht wieder kommen würde. Er wusste, dass die Liebe seines Lebens eine leere Hülle war und immer bleiben wird, dass er seinen Mick nie wieder bekommen würde. Tränen stiegen in seine Augen. Mickey sah noch immer zum Fenster hinaus, Ian stand noch immer am Bettrand und sah seinen Ehemann an. Er begann zu schluchzen und seinen Kopf in die Hände zu legen. Versuchte, die Tränen zurück zu halten, die unkontrolliert aus seinen Augen strömten. Seine Beine zitterten und gaben unter ihm nach. Er brach auf seine Knie und weinte. Mickey drehte sich, sah ihn an und warf ihm einen entschuldigenden Blick zu. Als würde er genau wissen warum Ian weinte und könne nichts dagegen machen. Und ja. Er hatte es versucht. Er hatte versucht sich nichts anmerken zu lassen und er hatte versucht der alte Mickey zu sein. Aber es klappte nicht. Er konnte nicht. Und Ian wusste es. Ian wusste, dass Mickey es nicht konnte. Er konnte nicht so sein, als wäre nie etwas passiert. Er war gebrochen. Er wurde vergewaltigt, verprügelt und schlimmer gequält, als Terry es je hätte tun können. Und Mickey konnte nicht so tun, als wäre nichts passiert und Ian wusste es. Und genau das war das schlimme für Ian. Nicht zu wissen ob Mickey je wieder so sein würde wie er früher war und ihn auch nicht zu verlassen weil er diesen Mann so sehr liebte und ihm versprochen hatte, in guten wie in schlechten Zeiten zu ihm zu stehen. Und das machte Ian fertig. Diese Hilflosigkeit...
Plötzlich lagen Mickeys Arme um Ian. Seit Monaten die erste Zuneigung von seiner Seite. Seit Monaten hatten sie sich nicht geküsst, geschweige denn mehr gehabt und wenn Ian seinen Mann umarmte, war es einseitig gewesen. Als hätte Mickey es ertragen und nicht genossen oder gebraucht. Es war seit Monaten das erste mal, dass von Mickeys Seite etwas kam. Ian hob den Kopf von seinen Händen und vergrub ihn an Mickeys Hals.
„Es tut mir leid“ flüsterte Mickey in Ians Ohr. „Ich weiß wie schwer das sein muss und…. Und ich gebe dich frei Ian.“ Es dauerte einen Moment, bis die Worte in Ians Kopf angekommen waren.
„Was?“ Fragte er, nur um sicher zu gehen
„Ich gebe dich frei Ian. Wenn ich gehen soll… dann gehe ich. Ohne dir etwas nachzutragen. Ohne dir ein schlechtes Gewissen zu machen. Ich gebe dich frei.“ Mickey sah in Ians Augen. Trotz allem, dass Mickey nur noch eine leere Hülle zu sein schien, konnte Ian einen Funken Trauer erkennen.
„Was zum Teufel Mickey? Warum um alles in der Welt, sollte ich dich verlassen? Ich habe gesagt ich bleibe. Also bleibe ich. Ich lass dich damit nicht alleine.“ In Ian Flamme ein klein bisschen Wut auf. Wie konnte er nur denken er würde ihn verlassen?
„Ian, es ist in Ordnung. Du bist jung. Du… du kannst jemanden finden…“
„MICK! Ich will keinen anderen. Ich will dich!“
„Ian.“ Seine Stimme wurde weich und er nahm Ians Hände in seine. Beide auf dem Boden sitzend sahen sie sich an. „Als du damals deine erste Depression bekommen hattest… als du in meinem Bett lagst… da hätte ich… Ich hätte dich beinahe verlassen. Ich war krank vor Sorge um dich. Ich wusste nicht, was du hattest. Ich wusste nicht, wie ich dir helfen sollte… Ich… Ich wollte gehen. Ich wollte dich verlassen.“ Mickey schluckte. „Stop“ Sagte Ian flehend, doch Mickey fuhr fort. „Ich wollte dich verlassen, weil ich nicht wusste, ob du je wieder mein Ian sein würdest. Ich hab es nicht getan. Dann waren wir eine kurze Zeit glücklich. Du warst wieder der alte. Bis… bis du durchgedreht bist. Als du manisch warst, hatte ich wieder das Gefühl der hilflosigkeit. Ich wollte dich wieder verlassen. Ich… ich wusste nicht ob du je wieder der alte sein würdest.“ „Stop Mickey“ Sagte Ian, diesmal lauter. „Nein Ian, du sollst verstehen… Als du deine Diagnose bekommen hast… Ich war fix und alle. Ich hatte mir hundert Szenarien ausgedacht wie unser Leben laufen würde. Und ich konnte mir keine ausmalen, in der wir beide glücklich sein würden. Keine, in der du nicht manisch oder depressiv sein würdest und mir nicht das Herz brechen würdest. Ich hatte so angst um uns. Angst dass wir beide daran zerbrechen.  Dann hast du deine Medikamente bekommen. Und ich weiß noch, wie du dich gefühlt hast. Leer. Als würde jedes Gefühl betäubt sein. Als würdest du unter einer nassen Decke liegen. Aber dann… später… als ich aus dem Knast geflohen bin und dich beobachtet hatte… Ich hatte so Angst, als ich dich damals angerufen habe. Nicht weil du mich vielleicht nicht mehr lieben würdest. Ich hatte Angst, dass du nicht mehr mein Ian sein würdest. Dass du immer noch unter dieser nassen Decke liegen würdest. Dass du nicht du selbst wärst. Dass du nach all den Jahren nicht mehr du selbst wärst. Davor hatte ich die meiste Angst.“ Ian sah ihn nicht an. Er schämte sich für die Zeit, in der er Mickey so verletzt hatte. „Ian, was ich sagen will ist, ich hätte damals gerne die Möglichkeit gehabt zu gehen. Ich hätte es nicht getan. Ich hätte dich nie verlassen, aber die Möglichkeit zu wissen, man kann gehen, wenn es zu heftig wird hätte mir geholfen. Es hätte mir einen Ausweg gegeben. Ich hätte mich nicht gefangen gefühlt. Ich wäre nicht verpflichtet gewesen. Du weißt ich hätte dich nie verlassen oder wäre gegangen. Nie, dafür liebe ich dich zu sehr, aber die Möglichkeit, die Option, hätte es erträglicher gemacht.“
„Mick. Du weißt, ich würde dich nie verlassen. Wir sind verheiratet. Wir stehen das zusammen durch.“
„Ich weiß nicht, ob es je wieder so sein wird wie vorher“
„Es wird nicht wieder so sein. Es wird anders sein. Es wird für immer anders sein. Du wirst für immer anders sein. Und mein verdammter Job als dein Mann ist es, damit umzugehen und damit zu leben und zu versuchen, dass du wieder glücklich sein kannst.“ Flüsterte Ian.
„Und mein Job als dein Mann ist, jeden Tag aufs Neue zu versuchen es besser zu machen und zu versuchen dich wieder glücklich zu machen.“ Mickey lächelte etwas. Ian sah ihm in die Augen. Er konnte ein kleines bisschen Hoffnung in den leeren Augen erkennen. Beide saßen auf dem kalten Boden und sahen sich an.
„Kann ich dich küssen?“ Fragte Ian vorsichtig. Es wäre der erste Kuss seit… seit mehreren Monaten. Es war so lange her, dass sich Ian schon garnicht mehr an den letzten erinnern konnte. Mickey nickte.
„Ian legte eine Hand an seine Wange. Vorsichtig und zärtlich, als würde er ein rohes Ei halten. Er beugte sich langsam vor und legte seine Lippen auf Mickeys. Es was anders. Es war zart, ohne Zunge, liebevoll, vertraut. Und doch spürten beide, dass es eine Art Neuanfang war. Ian beendete den Kuss nach wenigen Augenblicken. Er wollte Mickey nicht überfordern. Es nicht ausreizen. „Ich liebe dich“ flüsterte Mickey und lehnte seine Stirn an Ians. „Ich liebe dich auch“ flüsterte Ian.



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