Es war jetzt drei Wochen her, dass Mickey ihm den letzten Brief geschrieben hatte und Mickey war sich schon sicher, dass er nicht kommen würde. Sollte er hier weg? Wenn die Bullen seinen Brief abfingen? Mexico lieferte ihn zwar nicht wegen seinem Gefängnisausbruch aus, aber dennoch war er illegal hier. Er hatte mittlerweile einen gefälschten Pass und ein gefälschtes Visum, aber er wollte nichts riskieren. Aber wenn er hier weg ging und Ian würde doch kommen? Wenn er nicht nur auf einen Besuch kommen würde, sondern hier bleiben wollte? Dann musste er erst seinen Job kündigen und so weiter... er würde Zeit brauchen. Mickey musste ihm Zeit geben. Er musste hier bleiben. Er musste auf ihn warten. Er musste die Hoffnung haben, dass Ian kommen würde, sonst würde er in ein dunkles Loch fallen und er wusste nicht ob er je wieder herauskommen würde.
Natürlich wusste Mickey, dass Ian keine andere Wahl hatte. Er musste an der Grenze umdrehen. Aber er hatte es sich so sehr gewünscht als sie zusammen unterwegs waren. Er hatte es sich mehr gewünscht, als alles andere. Er hatte immer mit Ian zusammen sein wollen. Er war immer bei ihm. An seiner Seite. Seit Mickey Ian kannte wollte er mit ihm sein. Anfangs konnte er es kaum zugeben, aber dann... in guten und in miesen Zeiten, in Krankheit und Gesundheit in ärmeren oder reicheren Zeiten. Den ganzen Scheiß. Mickey wollte Ian bis... Ja bis der Tod sie beide trennen würde. Und ja, verdammt. Mickey würde Ian dafür sogar heiraten wenn es unbedingt notwendig war. Aber... Ian war nicht hier. Ian hatte ihn verlassen. Und egal wie sehr Mickey die Gründe verstand. Er hatte in wieder verlassen. So so oft. Und jedes Mal, tat es weh. Als Ian zur Army ging, hatte er Mickey verlassen. Als er ihn gezwungen hatte sich zu outen, hatte er ihn fast verlassen. Mehrmals in seiner bipolaren Phase hatte er Mickey verlassen und schließlich als er schon unter Medikamenten stand und er dachte, er sei es nicht wert geliebt zu werden, hatte er ihn verlassen. Und jetzt, an der Grenze Mexicos. Jedes verfickte mal, sprang Mickeys Herz in tausend Teile. Und jedes Mal, kam Ian zurück und versuchte zu reparieren was er kaputt gemacht hatte. Würde es diesmal funktionieren wenn er zurück kam? Würde Mickey repariert werden können? Oder war sein Herz zu kaputt? Würde Ian zurück kommen?
Mickey wusste es nicht. Er hoffte es aber er wusste es nicht. Und so beschloss er, in dem Versteck zu bleiben. Er hoffte, Ian würde kommen, bevor die Mexikanische Polizei ihn finden würde. Er war nie länger als zwei Wochen am selben Ort und nachdem er schon an der Küste entlang gelebt hatte, wollte er nun das Landesinnere erkunden. In jeder Stadt in der er ankam, nahm er aus dem Touristenshop eine Karte und sammelte einige Souvenirs. Er würde sie Ian zeigen, wenn er ihn besuchte. Irgendwann. Möglicherweise.
Eine weitere Woche verging und Mickey hatte kaum noch Hoffnung. Ian würde nicht mehr kommen. Mickey war sich sicher. Er hatte es gehofft, aber er rechnete nicht mehr damit. Schweren Herzens traf Mickey eine Entscheidung. Eine Entscheidung, die sein Herz ein letztes mal in tausend Teile springen lassen würde. Und er wusste. Er konnte nicht mehr repariert werden. Von niemandem. Nie wieder.
Mickey setzte sich an den Esstisch und holte einen Umschlag und einen Zettel heraus. Unter Tränen begann zu schreiben:
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Ian,
Das wird mein letzter Brief. Ich kann das nicht länger. Ich muss versuchen dich zu vergessen. Und du musst mich vergessen. Danke für die schöne Zeit. Du hast einen Platz in meinem Herzen Freckles.
Ich kann nicht beschreiben wie sehr du mich verändert hast. Dafür danke ich dir. Ich verzeihe dir. Ich verzeihe dir alles und ich hoffe du tust es genauso.
Bye M.
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Er klebte den Umschlag zu und adressierte ihn. Dann legte er ihn hin und zündete sich eine Zigarette an. Würde er ihn weg schicken? Könnte er das? Könnte er Ian vergessen? Nein. Er würde ihn nie vergessen können. Aber Ian hatte eine Chance ihn zu vergessen. Zu versuchen ein Leben ohne Mickey Milkovich zu leben. Eine Chance auf ein glückliches Leben ohne Kriminalität.
Es war weit nach Mitternacht als Mickey aufstand und alle Fenster öffnete. Die kühlere Nachtluft strömte in die Zimmer. Sein Mitbewohner lag auf dem Sofa und schlief seit Stunden. Morgen früh, würde er den Brief einwerfen und dann würde er verschwinden. Er stand in Boxershorts auf dem Balkon und rauchte eine letzte Zigarette vor dem schlafen gehen. Er hörte die Grillen zirpen und auf der Straße redeten Menschen. Er sah in die Nacht und die erleuchtete Kleinstadt die vor ihm lag, war friedlich. Nicht so hektisch wie Chicago. Friedlich. Und Mickey merkte, wie auch er in den letzten Monaten friedlicher geworden war. Er war zwar auf der Flucht aber es war, als würde ein Teil von ihm in Chicago geblieben sein. Der hektische, aggressive, gewalttätige Teil. Mickey war nicht mehr der selbe. Ian hatte ihn verändert. Zum Guten. Ian hatte die softe Seite von ihm zum Vorschein gebracht. Und Mickey gefiel diese Seite. Er hatte im letzten Jahr viel Zeit gehabt darüber nachzudenken. Jetzt wollte er nicht mehr darüber nachdenken. Er drückte die Kippe aus und ging ins Bett. Mit dem Brief in der Hand und Tränen in den Augen schlief Mickey schließlich ein.
