15 - Mut zur Verletzlichkeit

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Das Wochenende an der Ostsee verging wie im Flug und bevor ich es realisierte, stand ich schon wieder in meinem Blumengeschäft, bereit für einen neuen Arbeitstag. Trotzdem fühlte ich mich glücklich und erholt von meiner kleinen Auszeit.

Als ich gerade dabei war, einer Kundin bei der Auswahl eines schönen Straußes zu helfen, erklang das vertraute Klingeln des Türglöckchens und Max betrat den Laden.

Mein Herzschlag beschleunigte sich sofort, als ich ihn sah und ein Gefühlscocktail aus Freude und Nervosität durchströmte mich. Mit einem Blick signalisierte ich ihm, dass er kurz warten sollte und wandte mich dann wieder meiner Kundin zu, um sie zu beraten.

Als wir schließlich alleine waren, trat Max mit einem schiefen Lächeln auf mich zu. "Danke", sagte er leise, seine Augen voller Wertschätzung. "Aber das war wirklich nicht nötig."

"Natürlich war es das", erwiderte ich mit einem Lächeln, das die leichte Verlegenheit in mir verstecken sollte. "Es war mir wichtig, mich bei dir zu entschuldigen."

Ein leises Schnauben entwich seiner Kehle und er atmete tief ein, als ob er die Anspannung der vergangenen Tage von sich ablassen wollte. "Du warst weg?" Seine Worte klangen mehr wie eine Feststellung als eine Frage.

"Ich war übers Wochenende an der Ostsee", antwortete ich und spürte, wie die Erinnerungen an die entspannten Stunden am Strand und im Wellnessbereich wieder lebendig wurden. "Es war wirklich erholsam. Und du? Ich hab dein Motorrad schon lange nicht mehr gehört", lachte ich leise.

"Ich war letzte Woche geschäftlich in Frankfurt", erklärte er.

"Also nochmal, es tut mir leid. Und ich möchte mich auch bedanken", begann ich, meine Worte sorgfältig abwägend, während sich mein Herzschlag beschleunigte und meine Hände vor Nervosität leicht zitterten. Um mich abzulenken, begann ich automatisch, mit meinen Fingern zu spielen. "Du hast mir wirklich geholfen in der Nacht. Und danke dafür ... dass du meinen betrunkenen Zustand nicht ausgenutzt hast."

Ein skeptischer Ausdruck huschte über sein Gesicht und er runzelte die Stirn, als ob er meine Worte nicht recht verstehen konnte. "Warum sollte ich das ausnutzen?"

Die Frage traf mich unerwartet und für einen Moment war ich sprachlos. "Naja ... weil ..." Ich stockte, unfähig, meine Gedanken in Worte zu fassen.

"Sag jetzt nicht, weil das Badboys machen", unterbrach er mich mit einem trockenen Lächeln und schüttelte den Kopf. "Lina, mal ganz ehrlich, du solltest wirklich mal über deine Vorurteile Männern gegenüber nachdenken."

Mit diesen Worten drehte er sich um und verließ den Laden, und ich blieb alleine zurück, tief in Gedanken versunken über seine Worte und die Bedeutung dahinter.

Gefrustet sah ich Max nach, wie er sich mit seiner lässigen Art davonmachte. Vielleicht hatte er wirklich recht. Vielleicht hatte ich ihn zu schnell in eine Schublade gesteckt und mit Jake Rivers verglichen, einem fiktiven Charakter eines Romans, der nicht mal wirklich existierte.

Ich verzog meinen Mund, verärgert über mich selbst. Max hatte mir nie wirklich einen Grund gegeben, so über ihn zu denken. Nur weil er gerne Motorrad fuhr und manchmal ein wenig zu selbstbewusst und eingebildet wirkte, hieß das noch lange nicht, dass er ein schlechter Kerl war.

***

Nach meiner Schicht im Laden traf ich mich mit Paul und Jule in unserem Lieblingsrestaurant, um von meinem Wochenende zu erzählen. Doch auch die Begegnung mit Max musste ich einfach loswerden.

"Ich glaube, er hat recht", sagte ich, meine Gedanken immer noch um Max kreisend.

Paul und Jule tauschten einen bedeutungsvollen Blick aus, bevor Jule sich räusperte und antwortete: "Naja, du hattest von Anfang an ein spezielles Bild von ihm, ohne ihn wirklich zu kennen."

Paul nickte zustimmend. "Du hast ihn auf das reduziert, was du siehst, Kleines."

Ja, verdammt, das hatte ich. "Ich weiß", gestand ich zögernd. Aber wenn ich ehrlich war, lag es nicht nur an dem Buch und an Jake Rivers. Ich hatte einfach Angst davor, dass er mir gefiel und dann am Ende mit einem gebrochenen Herzen dazustehen.

Doch Paul und Jule erfuhren nichts von meinen inneren Gedanken. Ich konnte nicht einmal sicher sein, ob Max überhaupt Interesse an mir hatte, nur weil er meinem Typ Mann entsprach.

Dennoch war eine weitere Entschuldigung fällig und diesmal wollte ich persönlich mit ihm sprechen.

Nachdem wir etwas gegessen hatten, gingen Jule und ich zu unserer Wohnung zurück. Es war bereits dunkel, als wir dort ankamen, doch das Licht in Max' Wohnung brannte noch.

"Ich muss noch etwas erledigen", sagte ich zu meiner Freundin, die mich wissend anlächelte und dann ins Treppenhaus verschwand.

Ich atmete tief durch, drängte meine Angst vor einer möglichen Zurückweisung beiseite und überquerte die Straße. Vor Max' Tür angekommen, drückte ich auf die Klingel und wartete, bis das Geräusch des Türöffners erklang. Als ich den Flur betrat, stand Max bereits in der Haustür und sah mir direkt in die Augen.

"Hey", begrüßte ich ihn und ein schiefes Lächeln spielte um seine Lippen. "Hey", erwiderte er. "Willst du reinkommen?"

Nervös nickte ich und stieg die wenigen Stufen hinauf in seine Wohnung. Diese war eher spärlich eingerichtet. Ein paar Möbel standen herum, aber es fehlte an persönlichen Akzenten oder Dekorationen. Kein Wunder, er war ja gerade erst eingezogen.

"Schön hast du es hier", sagte ich höflich, während ich mich auf das graue Sofa setzte. Doch Max kam direkt auf den Punkt.

"Was willst du hier, Lina?", fragte er emotionslos und strich sich durch seine Haare.

Ich seufzte und atmete tief durch. "Mich entschuldigen", begann ich zögernd. "Mal wieder."

"Schön. Angenommen", antwortete er knapp und wirkte dabei ungerührt. "Sonst noch was?", fragte er weiter und ich spürte, wie sich mein Magen zusammenzog. Es war schwerer als ich gedacht hatte, diese Worte auszusprechen.

"Ich meine es wirklich ernst, Max. Ich hätte dich nicht so vorschnell in eine Schublade stecken dürfen", sagte ich mit fester Stimme, mein Blick fest auf seinen gerichtet.

Langsam nickte er, ohne etwas zu erwidern und ich konnte seine Gedanken nicht lesen, was mich ärgerte.

"Es ist nur ...", begann ich, bevor ich innehielt und einen Moment lang zögerte. "Ich wollte mich einfach schützen."

Max lachte trocken. "Verstehe schon. Badboys sind eben so", kommentierte er mit einem spöttischen Unterton, doch ich unterbrach ihn sofort.

"Ich hatte Angst, du könntest mir gefallen", gestand ich leise, meine Stimme kaum mehr als ein Flüstern.

Seine Miene veränderte sich und ich konnte sehen, wie seine Augen einen Moment lang weicher wurden. Doch dann trat er einen Schritt zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.

"Lina, das ist nett von dir, aber du solltest wirklich gehen. Es ist spät, und ich bin müde", sagte er kühl. All meine Hoffnungen fielen in sich zusammen, wie ein Kartenhaus. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals und ich zwang mich, aufzustehen und zur Tür zu gehen. Doch bevor ich ging, drehte ich mich noch einmal zu ihm um.

"Danke, dass du mir zugehört hast, Max. Es tut mir leid, wenn ich dich gestört habe", sagte ich leise, bevor ich die Wohnung verließ und die Tür hinter mir schloss.

Die Kälte der Nacht umhüllte mich, als ich die Straße entlangging und ich wusste nicht, ob ich jemals den Mut finden würde, mich wieder so verletzlich vor ihm zu zeigen.

Die Kälte der Nacht umhüllte mich, als ich die Straße entlangging und ich wusste nicht, ob ich jemals den Mut finden würde, mich wieder so verletzlich vor ihm zu zeigen

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