23 - Im Auge des Sturms

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Die Sonne strahlte bereits früh am Himmel, als ich an diesem Montagmorgen aus meiner Wohnung trat. Eine neue Woche, neue Vorsätze, dachte ich mir, während ich meinen Schlüsselbund fest umklammerte und die Tür abschloss. Ich hatte mir vorgenommen, weniger an Max zu denken und mich stattdessen wieder voll und ganz in die Arbeit zu stürzen. Außerdem wollte ich für meine Schwester als Trauzeugin da sein und mich öfter mit ihr treffen, um gemeinsam die Stadt zu erkunden und die unzähligen Möglichkeiten zu entdecken, die Berlin zu bieten hatte.

Paul, mein chaotischer Freund und treuer Mitarbeiter, wartete bereits im Laden auf mich. Sein Auto stand gestern wie vereinbart vollgetankt vor seiner Haustür.

"Hey Lina, hast du zufällig gesehen, wo ich meine Brille hingelegt habe?" rief Paul, während er hektisch und mit zusammengekniffenen Augen zwischen den Regalen umherblickte. Nur selten trug er seine Brille, die er sonst nicht mochte, doch ich vermutete, dass seine Kontaktlinsen mal wieder aufgebraucht waren und konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. "Vielleicht auf deinem Kopf?", schlug ich vor und deutete auf das Gestell, welches er tatsächlich dort trug.

Paul berührte seine Haare und lachte erleichtert. "Oh, da ist sie ja! Danke. Da sollte ich wohl öfter mal nachschauen, bevor ich in Panik gerate."

Wir beide lachten, während Paul sich an die Arbeit machte. Doch schon bald darauf hörte ich einen lauten Knall von draußen.

Mein Herz machte einen Satz und gemeinsam mit Paul eilte ich hinaus, um zu sehen, was passiert war. Vor uns stand Max, sein Gesicht verärgert, während er sein Motorrad trat, das offenbar eine Fehlzündung hatte. Ich beobachtete ihn, während Paul minimal grinsend neben mir stand. Er verschränkte die Arme vor seiner Brust und lehnte sich lässig und leicht gegen mich. "Karma?"

Doch ich schüttelte nur den Kopf. "Mir doch egal."

Wir kehrten in den Laden zurück und Paul bemerkte den Verband an meiner Hand. "Was hast du gemacht?"

"Scherben", murmelte ich nur und seufzte. Ich nahm den Besen zur Hand und begann, den Boden zu fegen, während Paul einen Kaffee für uns machte. Mein Blick glitt nach draußen zu Max, der nun sein Handy an sein Ohr hielt. Er sah immer noch verärgert aus. Vielleicht musste sein Motorrad in die Werkstatt. Doch ich konnte ihm nicht helfen, auch wenn ich es gerne würde. Er brauchte Zeit, um das Geschehene zu verarbeiten und ich musste das akzeptieren. Er war nun am Zug, auf mich zuzukommen, sollte er seine Meinung ändern ...

Paul kam mit Kaffee und einer Schachtel Donuts aus dem Lagerraum zurück und meine Augen verwandelten sich in leuchtende Sterne. Sie sahen köstlich aus, mit ihren bunten Glasuren und den verführerischen Verzierungen aus Zuckerstreuseln und Schokolade. Ein breites Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus, als Paul mir eine der süßen Versuchungen anbot.

"Wow, die sehen ja fantastisch aus!" rief ich begeistert aus und griff sofort nach einem der Donuts. "Wo hast du die denn her?", fragte ich kauend.

"Haben mich heute früh schon angelächelt", erklärte er mit einem Lächeln im Gesicht und Brille auf der Nase. "Außerdem wollte ich Dankeschön sagen ... für das vollgetankte Auto. Das war eigentlich nur ein Witz."

Ich zog eine Augenbraue hoch. "Das war meine Art, Danke zu sagen. Wenn das so weitergeht, sind wir uns ja nur noch am Bedanken", scherzte ich.

Paul lachte. "Ist doch selbstverständlich."

Mochte sein, dass es für ihn so war. Doch ich wusste es zu schätzen und schüttelte den Kopf. "Du bist in letzter Zeit so oft für mich eingesprungen."

"Ach weißt du? Gegen mehr Geld hätte ich auch nichts einzuwenden", entgegnete er grinsend.

Die Erwähnung einer Gehaltserhöhung brachte mich zum Nachdenken und ich versprach Paul tatsächlich eine, sobald wir ein wenig mehr Umsatz machen würden. Er hatte es mehr als verdient und ich war froh, ihn als Mitarbeiter bei mir zu haben.

Seitenwechsel (ONC 2024)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt