20 - Cocktails und Geschwisterliebe

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"Und dann?", fragte Jule mit besorgtem Gesichtsausdruck, während Paul nachdenklich schwieg.

"Als der Postbote wieder weg war, hat er mir gesagt, dass es einfach nicht geht und ... dass ich gehen soll", erklärte ich leise, meine Stimme von Enttäuschung durchzogen.

Die beiden sahen mich wortlos an und für einen Moment lag eine unerträglich schwere Stille über uns.

"Habe ich mir jetzt mein Eis verdient?" Ein leichtes Grinsen huschte über mein Gesicht, um mich vor Selbstmitleid zu schützen.

"So viel, wie du willst, Kleines", erwiderte Paul und stand auf, um in die Küche zu gehen. Wenig später kehrte er mit einer großen Packung Eis zurück und verteilte drei Löffel auf dem Tisch.

"Und jetzt?", fragte Paul, während er sich einen großen Löffel Schokoladeneis in den Mund schob und dabei nachdenklich in meine Augen blickte.

Ich zuckte mit den Schultern, meine Gedanken immer noch bei dem, was gerade geschehen war. "Wir sind Nachbarn und unsere Geschwister werden heiraten. Ansonsten ... offenbar nichts."

"Wie traurig", bemerkte Jule und legte ihre Hand auf meine, um mich zu trösten.

"Ja, aber es ist, wie es ist", seufzte ich resigniert. "Er möchte sich nicht so schnell auf etwas Neues einlassen. Das, was er erlebt hat, kann man nicht einfach so vergessen. Ich kann mir gut vorstellen, dass es ihm schwer fällt, je wieder einer Frau zu vertrauen."

Die beiden hatten von vornherein akzeptiert, dass ich mit ihnen nicht über das spreche, was Max erlebt hat und darüber war ich wirklich dankbar. Wir schwiegen einen Moment lang, jeder von uns vertieft in seine eigenen Gedanken, bevor Paul meinte, dass er zurück in den Laden müsse.

Jule und ich machten es uns auf dem gemütlichen Sofa bequem, sahen uns einen dieser Herzschmerz-Filme an und leerten gemeinsam den gesamten Eis-Vorrat. Die süße Köstlichkeit auf meiner Zunge war eine willkommene Ablenkung von den bitteren Geschmäckern meines Liebeslebens.

***

Die nächsten Tage vergingen fast genauso wie in den turbulenten Kapiteln meines Lieblingsromans. Ich fühlte mich wie Ella, die Protagonistin, die sich mutig durch die Höhen und Tiefen der Liebe kämpfte. Jeden Morgen wachte ich mit einem schweren Herzen auf, nur um mich dann von dem Alltag überrollen zu lassen. Ich hasste den Sonntag, weil der Laden geschlossen war und ich mich nicht ablenken konnte. Gleichzeitig verfluchte ich jeden Moment in meinem Blumengeschäft, weil ich immer wieder nach draußen sah. Vielleicht würde ich Max sehen und vielleicht würde ich erkennen, dass es ihm genauso schlecht ging.

Jeder Blick in den Spiegel verriet mir die Geschichten meines eigenen Lebens, geprägt von Zweifeln und Sehnsucht. Doch trotz aller Wirren und Turbulenzen war da auch ein Funken Hoffnung, der in mir loderte wie eine Flamme in der Dunkelheit. Denn ich wusste, dass das Leben unvorhersehbar war und dass die schönsten Geschichten oft die unerwartetsten Wendungen nahmen. Und so ließ ich mich von den Wellen des Schicksals tragen, voller Zuversicht, dass am Ende alles gut werden würde.

Heute hatte ich mir wieder einmal Pauls Auto ausgeliehen, um zu meiner Schwester zu fahren. Sie hatte mich eingeladen, angeblich um über die Hochzeit zu sprechen, doch ich wusste, dass es ihre eigentliche Intention war, zu sehen, wie es mir wirklich ging. In der letzten Woche hatte sie ungewöhnlich oft vor meiner Tür gestanden, was mir aber zeigte, dass sie sich um mich sorgte. So war das nun mal bei Geschwistern.

Es brachte nichts, den ganzen Abend im Selbstmitleid zu versinken, also beschloss ich, ihre Einladung anzunehmen. Als ich das Auto in ihrer großen Einfahrt parkte, erinnerte ich mich an den Moment, als Max mich auf seinem Motorrad mitgenommen hatte. Auch damals hatten wir, wie so oft, diskutiert, doch es war alles noch anders zwischen uns.

Seitenwechsel (ONC 2024)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt