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William:


Sobald Liam einen Job hatte, verging die Zeit für ihn viel schneller. Sein Bewerbungsgespräch war gut verlaufen, sein neuer Chef war ein netter, junger Mann mit leuchtenden braunen Augen und einem neugierigen Gesicht, er hatte ihn quasi sofort eingestellt. William mochte den Job als Barkeeper. Er mochte es, Kunden zu bedienen, mochte die Stammgäste, die immer ein großzügiges Trinkgeld daließen und ihn komplimentierten. Wenn er seine Haare mal anders trug, fiel es sofort auf, wenn er sich etwas anderes anzog, sich die Nägel lackierte oder einen Ring mehr trug, wurde es sofort angesprochen und zu einem Kompliment gemacht. Es war angenehm, ihnen allen Cocktails zu machen oder ihnen anderes zu reichen. Er mochte die Gespräche, die er führen konnte, trank gerne mal einen Shot mit und fühlte sich endlich angekommen. Es war ein Job, bei dem er sich mit den Handgriffen nach kurzer Zeit so sicher war, dass er sich nicht mehr ständig beobachtet und kritisiert fühlte. Und dein Chef bezahlte ihn gut, richtig gut.

Fünf Monate und siebzehn Tage waren vergangen, seit Enrico weg war - ja, er zählte die Tage, es ließ ihn sich gut fühlen, als ob er bei Enrico selbst damit wäre. Als er an diesem Tag in die Bar ging, war es noch seltsam still. Er war wie immer um 19:50 Uhr gekommen, obwohl seine Schicht erst um 20 Uhr beginnen würde, doch normalerweise tummelten sich jetzt schon die ersten Gäste draußen oder hier drinnen. Er hing verwirrt seine Jacke auf und ging in den Pausenraum. Einige seiner Kollegen da, er gab ihnen mit seinem verwirrten Blick zu verstehen, dass er die Situation nicht verstand, Bastian - ein circa vierzig jähriger Typ mit langsam ergrauenden, braunen Haaren und meistens in schlabberigen Klamotten - nickte zum Männerklo.

William ging auf dieses zu, öffnete die Tür und hörte, dass sich jemand in einer Kabine übergab. Lin stand vor der Tür, sie sahen sich an und die etwas ältere Frau gab ihm zu verstehen, dass es ihrem Chef nicht gut ging. Dennis wurde häufig krank, wovon alle fanden, dass er es nicht verdient hatte. Er war einer der gütigsten Menschen, ließ sie alle, die ansonsten keine Zukunft hätten, hier arbeiten und konnte ihnen genug Geld geben, um über die Runden zu kommen - dies ging über den Mindestlohn heraus.

Vorsichtig ging Liam in die nun stille Kabine, hockte sich neben seinen Chef und zog die Toilette ab. »Hi, Dennis«, murmelte er leise und er sah ihn aus müden, kränklichen Augen an. Das Leuchten in seinem Gesicht war verschwunden, dort war kränkliche leere neben der blassen Haut. »Du musst nach Hause«, war seine nächste Feststellung, Dennis lächelte müde, ließ sich von ihm aufhelfen und stützte sich an der Kabinenwand ab. Sie warteten kurz, bis sich sein Kreislauf erholt hatte, Liam bat Lin darum, ihm ein Glas Wasser zu holen. Langsam traten sie aus der Kabine, arbeiteten sich zum Waschbecken, der Chef wusch sich das Gesicht und spülte sich den Mund aus.

»Du könntest auch einfach gehen, Liam.« »Könnte, werde ich aber nicht, solange du mich nicht dazu aufforderst.« Er lächelte seinen Arbeitnehmer schief an, fuhr sich durch die in seiner Stirn klebenden Haare und richtete sie ein wenig. Es war offensichtlich, dass er sich Mühe gab, nicht allzu krank auszusehen. Dennis war es unangenehm, wenn man ihn krank sah, das wussten sie alle. Genau das war der Grund dafür, dass sie ihn normalerweise in Ruhe ließen, sobald er sich nicht gut fühlte. »Geht das schon den ganzen Tag so?«, fragte William besorgt und stützte ihn ein wenig, sodass sie aus dem Badezimmer raus konnten. »Ne, hat erst vorhin angefangen.« Er nickte, ließ den anderen auf dem erstbesten Stuhl Platz nehmen und Lin reichte ihm das Wasser.

Nachdem Dennis getrunken und sich einige Minuten Zeit zum Regenerieren gelassen hatte, bot Sammy ihm an, dass er ihn nach Hause fahren könnte. Ihr Chef nickte zustimmend, er sah inzwischen scheinbar selbst ein, dass er nicht weiterarbeiten könnte. »Schließt ihr den Laden ab? Heute kommt sowieso kaum jemand, ist nicht tragisch. Basti, schaffst du es, morgen meine Schicht zu übernehmen?« Alle nickten, Bastian zögerte kurz, stimmte dann jedoch auch zu. Niemand von ihnen würde es sich mit Dennis verscherzen, denn auch wenn er immer nett zu ihnen war, wussten sie, dass er bei manchen Dingen richtig ausrasten konnte. Logischerweise forderte diese Aggression niemand von ihnen heraus, wenn sie sich umgehen ließ.

Nachdem Dennis in Sammys Auto manövriert war und die beiden abfuhren, wurde der Laden abgeschlossen. Einer der Stammgäste wollte rein, einen trinken, doch Lin erklärte ihm die Situation und er gab seufzend nach. Als der Laden abgeschlossen war, tranken sie noch alle abschließend einen Shot Tequila, so wie eigentlich immer, und machten sich an die Reste des Abwasches. Ein paar wenige gingen bereits wieder, diejenigen, die jetzt eigentlich Schicht gehabt hätten, blieben und wuschen mit ab. Sie ließen sich Zeit, plapperten und lachten, bis es 21:11 Uhr war und sie sich voneinander verabschiedeten. Irgendwann war der Tag eben auch rum.

William zog sich seine Jacke über, winkte grinsend seinen Kollegen zum Abschied und trat heraus in die kalte, ruhige Abendluft. Es war ein schöner Abend, dunkel und frostig zwar, doch irgendwie schön. Dass er im Dunkeln nach Hause laufen musste, machte ihm bei weitem nicht mehr so viel aus, wie früher - heute hängte er sogar noch einen Umweg hinten dran, um nicht allzu früh wieder in der WG aufzutauchen. Er hatte in den Monaten, in denen er arbeitete, gelernt, mit der Dunkelheit umzugehen und ihre guten Seiten, beispielsweise die völlige Ruhe, zu genießen. Und solange er seine Medikamente nahm, fühlte er sich auch nicht allzu beobachtet und verfolgt. Er genoss dieses Gefühl nun nahezu; das Prickeln in seinem Rücken, die Gänsehaut und das Wissen, dass es eigentlich nicht so war, dass niemand ihn verfolgte und/oder beobachtete. Er genoss es, einfach draußen zu sein, kaum Autos an sich vorbei fahren zu sehen und frische Luft in seine Lungen zu saugen. Auch auf das Rauchen versuchte er nun zu verzichten, auch wenn dies noch immer ziemlich schwer für ihn war.

Trotz des Umweges kam er um 22:37 Uhr an der Wohnung an, schloss die Haustüre auf, und dann die Wohnungstüre. Das gelbliche Licht des Flures und die Wärme hier, empfingen ihn wie mit offenen Armen, nur hatten sie diesmal einen merkwürdigen Beigeschmack. Er hatte ein merkwürdiges Gefühl, hier herein zu treten. Irgendwas stimmte nicht, mit wem auch immer. Leise, als ob er keine Geräusche machen dürfte, hängte er seine Jacke auf und legte seinen Schlüssel auf das Schlüsselbrett, dann schlüpfte er aus seinen Schuhen, pfefferte sie in eine Ecke und ging ins Wohnzimmer. Timothy saß dort, sah besorgt auf einen Punkt an der Wand und hatte sein Kommen anscheinend nicht bemerkt, was durchaus ungewöhnlich für ihn war. Er bemerkte alles, jeden noch so kleinen Mucks, und machte sie manchmal auf Dinge aufmerksam, die niemand zuvor aufgefallen waren.

»Timothy? Alles gut mit dir?« Er sah Liam an, überrascht und erschrocken, danach verwirrt. »So früh wieder da? Da ist die Frage ja wohl eher, ob alles gut mit dir ist?!« William grinste - das tat er in letzter Zeit echt verdammt oft, quasi beängstigend oft. »Ja, mit mir ist alles gut. Dennis ist nur krank und er meinte, dass wir den Laden schließen könnten, da heute sowieso kaum jemand kommen würde.« Timothy nickte nachdenklich. »Ich mach mir Sorgen um Jules. Sie hat getrunken.« »Moment, was? Jules, unsere Jules? Jules, das Mädchen, was mir immer sagt, dass ich mit dem Trinken und Rauchen aufhören soll? Unsere Jules, die sich so ziemlich nur an alkoholfreie Getränke hält und nicht mal Alkohol mag?« Er hatte das Gefühl, er hätte sich verhört. Jules sollte getrunken haben? Alkohol und Jules? Das war wie Handys und Großeltern - quasi undenkbar.

»Jap, unsere Jules. Sie will nicht reden, hat sich besoffen in ihr Bett gelegt und schläft jetzt erstmal ihren Rausch aus.« William nickte verdutzt, in der Tat war das etwas, was besorgniserregend war. Jules war kein Mensch, der redete. Sie redete nie, nicht über ihre Probleme. Er ließ sich auf die Couch neben Timothy fallen, legte den Kopf auf dessen Schulter und Timothy's Kopf wanderte wie automatisch auf seinen. Und so dachten sie stillschweigend über ihre Jules nach.

Lost Souls | boy×boyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt