„Ist dir aufgefallen, wie ich auf körperlichen Kontakt reagiere?" Allein diese Worte schnürten mir meine Kehle zusammen.
Erik nickte.
Als ich nichts mehr hinzufügte, meinte er vorsichtig: „Ich bin davon ausgegangen, dass das darin liegt, dass du mich nicht gut kennst und bei deinen Freunden anders bist. Wenn das das Problem ist, kann ich dir versprechen, dass ich ganz an der Bettkante liegen werde."
Monate lang durfte mich niemand umarmen und bei jeder Berührung reagierte ich gereizt. Noch immer fühlte ich mich schlecht, wenn ich daran dachte, wir kompliziert und anstrengend ich gewesen sein musste.
„Ja, ich meine ich bin bei meinen Freunden anders, aber ich habe auch bei ihnen Momente, an denen ich das Gefühl habe, nie genug Abstand zu haben."
Meine Stimme war so leise, dass ich Schwierigkeiten hatte mich selbst zu verstehen.
Ich hatte genug erzählt. Was brachte es mir, wenn ich ihm mehr erklärte? Er musste nicht wissen, wie schwach ich gewesen war. Er hielt mich vermutlich sowieso schon für eine schlechte Agentin, die ihn nie zum Problem geworden wäre, wenn ich noch Teil der Rostovas wäre.
Du warst neun.
Es war nicht meine Schuld. Immer wieder wiederholte ich den Gedanken, bis die aufsteigende Panik verflog. Es war nicht meine Schuld.
Aber genau das war es. Wenn ich mich im Unterricht besser konzentriert hätte, wenn ich nur ein bisschen weniger leichtsinnig gewesen wäre, wäre das alles nicht passiert.
Was hatte ich davon, es ihm nicht zu erzählen?
Er würde denken, ich würde ihm vertrauen.
Sei nicht lächerlich.
Ich wollte mit ihm darüber reden, wollte, dass er wusste, warum ich manchmal so war wie ich war. Es ging mir nicht darum, ihn zu manipulieren. Das Wissen, wer er war und was er schon alles getan hatte machte mir Angst und gab mir genug Gründe ihm nichts Persönliches anzuvertrauen. Dennoch wollte ich mich ihm öffnen, ihn von mir erzählen und ihn beweisen, dass es nicht an ihm lag. Noch nie hatte ich mich so sehr danach gesehnt von jemanden verstanden zu werden.
„Als die Lóngs noch hier waren, also bevor sie verbannt wurden, wäre ich fast von ihnen entführt geworden. Also, ich meine, sie haben mich entführt, aber nicht lange, dann wurde ich befreit."
„Du musst mir nicht davon erzählen, wenn du es nicht möchtest. Aber ich glaube, es würde dir guttun und ich würde es auch keinem weitererzählen."
Ich nickte und ich wollte aufhören. Aufhören zu denken und meine Erinnerungen stoppen. Doch es ging nicht. Die Bilder überfluteten mich, wie eine Lawine, die unaufhaltsam auf mich zukam. Ich schmeckte den Staub, als ich auf den Boden gedrückt wurde, als belege es meinen gesamten Hals und nehme mir den Atem. Ich hörte das Echo von jedem Schritt und jedem Wort, so oft, bis ich nicht mehr wusste, ob es wirklich zum Hören gewesen war, oder ob ich es mir nur einbildete. Aber am schlimmsten war, dass ich diesmal wusste, was mich erwartete.
„Erik ich habe Angst, dass es wieder passiert", schluchzte ich.
„Es mag vielleicht viele Seiten geben, die ich noch nicht an dir kenne, aber ich bin überzeugt, dass du eine beeindruckend starke mentale Stärke besitzt. Solltest du je wieder in diese Situation kommen, wirst du sie rechtzeitig vorhersehen und etwas dagegen unternehmen."
„Aber allein bin ich ihnen ausgeliefert. Sie sind weit in der Überzahl."
„Du wirst nicht allein sein", meinte er, „und heute waren wir auch in der Unterzahl."
„Zuerst waren ihre Hände in meinem Gesicht." Ich dachte sie wollten mich schlagen, aber sie waren zärtlich und vorsichtig. „Dann griffen sie unter mein T-Shirt und ich schlug panisch um mich." Aber es hatte nichts gebracht, ich war nicht stark genug gewesen. „Also drückten sie mich auf den Boden der leerstehenden Garage." Es roch nach Benzin. „Sie haben gelacht, als ich anfing zu schreien." Ich konnte mich nicht mehr bewegen, keiner meiner Muskeln reagierten auf meine Befehle. Sie hatten meine gesamte Kontrolle genommen. „Und dann griffen sie zu meiner Hose, während sich selbst auszogen.
Drei Personen, die mich festhielten. Und dann waren da noch zwei andere, die abseitsstanden und über die Arbeit redeten, als wäre ich nicht anwesend gewesen. Es war ihnen einfach egal."
Erik runzelte leicht die Stirn.
„Du kannst gerne fragen, wenn du etwas nicht verstehst."
„Woher wusstest du worüber sie reden, wenn sie weiter entfernt von dir standen?" Er redete vorsichtig, als habe er Angst etwas Falsches zu sagen, oder mir das Gefühl zu geben an meiner Geschichte zu zweifeln.
„Schwer zu sagen. Du musst wissen, ich habe keine Ahnung was ich ab dem Moment gefühlt oder gedacht habe. Ich sah mich selbst, als wäre ich eine externe Person. Als hätte ich eine Nahtoterfahrung."
Kurz hielt ich inne bevor ich weitersprach: „Sie wollten meine Unterwäsche ausziehen, aber dann wurde an der Tür gerissen und wenige Sekunden später aufgebrochen. Es waren James und ein paar andere von den Rostovas, und die Lóngs flohen durch eine weitere Tür. Zu dem Zeitpunkt war ich wieder angezogen und ich habe es bis heute nicht geschafft jemanden davon zu erzählen. Ich war viel zu geschockt gewesen und es war mir sehr unangenehm."
„So geht es vielen die Ähnliches erlebt haben, aber das braucht es dir nicht."
„Nicht?", ich lachte bitter.
„Nein."
„Im Gegensatz zu den anderen mit der gleichen Erfahrung, bekam ich eine spezielle Ausbildung gegen andere zu kämpfen. Regel Nummer eins ist nicht vor Schock gelähmt zu sein."
„Das kann man nicht kontrollieren. Schon gar nicht in dem Alter in dem du warst!"
Erschrocken schüttelte ich den Kopf, als ich merkte, dass er wütend wurde.
„Cataleya hör mir bitte ganz gut zu. Was du erlebt hast ist fürchterlich und komm mir nicht mit andere haben es schwerer, das mindert nicht die Schrecklichkeit von den Lóngs. Es ist okay zu fühlen, egal welche Gefühle es sind, aber du brauchst diese nicht gegen dich richten. Wenn du dir die neunjährige Cataleya bildlich vorstellst, schaffst du es wirklich ihr die Schuld zu geben?"
Meine Augen brannten, als ich an ein Foto von mir im rosa Kleid mit zwei süßen Zöpfen dachte. Nein es war nicht meine Schuld gewesen. Die anderen Agenten hätten besser auf mich aufpassen müssen, James hätte merken müssen, dass ich mich anders verhielt als bei den wenigen Entführungen davor.
Erik nahm mein Stillschweigen als Antwort und starrte in den Himmel.
Einzig Jonah hatte mich gelegentlich gefragt, ob mich etwas belastete, doch ich wollte nie darüber reden, bis er eines Tages aufhörte nachzufragen. Eine Weile hatte ich sogar nicht mehr an das Ereignis gedacht, bis ich mit vierzehn am Strand war und eine Gruppe von Jugendlichen es witzig fanden mir nachzupfeifen. Innerhalb weniger Sekunden hatte ich alles ein weiteres Mal durchlebt, dabei stand ich in Wirklichkeit einfach nur stocksteif da und wurde von Jonah ausgelacht, der dachte, ich würde die Oberkörper der anderen bewundern.
Vielleicht hätte ich es ihm erzählen sollen.
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It's a Secret
ActionIhr Leben lang trainierte Cataleya für die Rostovas. Eine Agentengruppe, die versucht der Polizei Mafiamitglieder zu liefern, um so Menschenleben zu retten. Mit diesem Ziel wächst sie auf und würde alles dafür tun. Denn dafür kämpft sie. Dafür lebt...