„Danke." Felix drückt mir eine weitere Cola in die Hand und verteilt die ganzen vollen Bierflaschen, die er gerade aus dem Kühlschrank geholt hat, an unsere Kollegen. Die SingOffs wurden heute abgedreht und wir alle haben jetzt eine längere Pause, bevor in etwa zwei Monaten die Liveshows stattfinden werden. Ich bin heilfroh, dass ich diese Phase der Produktion nun ebenfalls überstanden habe und alles ohne größere Probleme verlaufen ist.
Zum Abschied, wie sollte es auch anders sein, wurde mal wieder eine Party organisiert. Dieses Mal wird sie allerdings nicht von der Produktionsfirma veranstaltet, sondern war lediglich eine Idee von ein paar Crewmitgliedern, weshalb sie wesentlich kleiner ausfällt, als die Party nach den Blind Auditions damals. Trotzdem sind alle Coaches mit ihren Sidecoaches und eine ganze Menge Mitarbeiter hier, wodurch der Raum, in dem sich normalerweise die Familien und Freunde der Talente aufhalten, ziemlich vollgepackt ist. Im Gegensatz zu meinen Kollegen habe ich beschlossen, heute nur kurz hier zu bleiben und keinen Alkohol zu trinken, da ich morgen früh schon wieder zurück in die Heimat fahren werde. Ich freue mich schon sehr darauf, wenn ich morgen endlich wieder in meinem eigenen Bett schlafen kann.
Felix hat mich vorhin schon ausgequetscht, was denn jetzt nun zwischen Wincent und mir sei. Er hat zum Glück, wie alle anderen hier auch, nichts von dem Kussfoto mitbekommen. Da ich bei Felix allerdings ein gutes Gefühl habe und ihm vertraue, habe ich ihn eingeweiht. Wincent und ich haben vor dem Start der SingOffs noch einmal kurz miteinander gesprochen und uns darauf geeinigt, dass wir uns hier im Studio bestmöglich aus dem Weg gehen werden. Ab und zu haben wir uns aus der Entfernung zugelächelt oder mal „Hallo" gesagt, aber mehr nicht. Bis wir uns dann in ein paar Tagen zu unserer Verabredung in München treffen, werden wir uns wohl nicht mehr sehen. Auch Stefanie hat mich gefragt, ob wir die Sache mittlerweile klären konnten und wieder alles okay ist. Ich habe mich nochmal bei ihr bedankt und sie hat darauf bestanden, dass ich ihr unbedingt alle Neuigkeiten erzählen soll, wenn es ernster zwischen Wincent und mir werden sollte. So neugierig wie Steff war, dachte ich schon kurz, Emma stünde vor mir. Auch sie hat natürlich alles sofort erfahren und mir versichert, es für sich zu behalten.
Wie spät ist es eigentlich schon? Gähnend schaue ich auf die Uhr an meinem Handgelenk. Oh, erst 22:00 Uhr. So früh kann ich wohl noch nicht abhauen. Mein Blick wandert durch den Raum und ich entdecke Wincent ein paar Meter weiter, wie er sich gerade mit seiner Makeup-Artistin unterhält. Es fällt mir schwer, ihm keine Beachtung zu schenken, aber ich weiß, dass wir das Richtige tun. Ich beschließe, kurz frische Luft zu schnappen, damit ich hoffentlich wieder etwas wacher werde. „Hey, ich bin mal kurz vor der Tür. Kann ich dir für ein paar Minuten meine Cola geben?", frage ich an Felix gerichtet. „Klar, solange du auch wieder kommst." Ich drücke ihm die Flasche in die Hand und gehe in Richtung Ausgang.
Als ich durch die Tür trete, schlägt mir sofort die kühle Nachtluft entgegen. Draußen lehne ich mich an die Hausmauer und spiele mit dem Gedanken, kurz noch Emma anzurufen. Dann fällt mir aber ein, dass sie heute ja mit ihrem Freund unterwegs ist, also lasse ich es bleiben. Ich schrecke hoch, als sich neben mir die Tür öffnet. „Hey, ich bin's nur." Anscheinend ist Wincent mir gefolgt. „Ich wollte nur nachsehen, ob bei dir alles in Ordnung ist, weil du so schnell rausgegangen bist gerade." Ich muss lächeln bei dem Gedanken, dass er sich um mich sorgt. „Oh, nein, alles gut. Ich wollte nur kurz an die frische Luft, bin ziemlich müde. Sonst schlafe ich da drin noch ein." Wincent lehnt sich neben mich an die Mauer. „Verstehe ich. Ich bin auch ziemlich müde heute, die letzten Tage waren ganz schön anstrengend." „Mhm." Für ein paar Sekunden gehen wir beide unseren eigenen Gedanken nach, dann dreht Wincent seinen Kopf zu mir.
„War gar nicht so einfach die letzten Tage, so zu tun, als würde ich dich nicht kennen." Dann ging es also nicht nur mir so. „Stimmt. Überhaupt, wenn wir uns ständig über den Weg laufen." Er richtet seinen Blick wieder nach vorne. „Fährst du morgen schon nach Hause?" „Ja, gleich morgen früh. Deshalb werde ich auch nicht mehr lange hierbleiben, denke ich." Wieder ein paar Sekunden Stille zwischen uns. „Hattest du eigentlich noch Probleme wegen dem Foto?", frage ich ihn schließlich. Dann dreht er sich wieder zu mir. „Nein, zum Glück nicht. Ein paar Fans haben mir geschrieben und wollten wissen, ob ich wieder in einer Beziehung bin. Solche Nachrichten ignoriere ich aber, das geht schließlich niemanden etwas an. Ich bin froh, dass das Foto nicht so weit verbreitet wurde." Ob er wieder in einer Beziehung ist? Nur wegen einem einmaligen Foto mit einem fremden Mädchen? Obwohl, wäre ich Fan von ihm, dann würde ich mich das vermutlich auch fragen.
„Was ist mit dir? Hat dich jemand darauf angesprochen?", fragt er nun. „Nein, ich denke, keiner hat mich erkannt. Nur meine beste Freundin weiß davon, sie hat mir das Bild ursprünglich auch geschickt." Er nickt. „Gut." Nach einer kurzen Pause fahre ich fort: „Oh, und Steff." Verwundert schaut er mich an. „Steff?" Ich lache. „Ja, lange Geschichte. Jedenfalls weiß sie davon und ist vielleicht auch ein bisschen daran beteiligt, dass wir die ganze Sache zwischen uns wieder geklärt haben." „Na dann sollte ich mich wohl bei ihr bedanken", grinst er.
„Hey, ist dir nicht kalt? Du hast ja nichtmal eine Jacke dabei", stellt er fest. Es ist wirklich ganz schön frisch hier draußen, aber ich möchte gerade irgendwie nicht schon wieder reingehen. Es fühlt sich gerade gut an, Wincent hier mal kurz neben mir zu haben. „Gib es zu, ich sehe doch, dass du zitterst. Komm, nimm meine Jacke, dann können wir noch ein bisschen hier draußen bleiben." Er hat wohl gerade das Gleiche gedacht wie ich und zieht sich seine Jeansjacke aus. Dann tritt er vor mich und hängt sie mir vorsichtig um. Sein Blick trifft meinen und die Schmetterlinge in meinem Bauch fangen schon wieder an, wie verrückt umher zu fliegen. Seine Hände bleiben am Kragen seiner Jacke liegen und er lächelt mich an. Für einen kurzen Moment schauen wir uns einfach nur an. „Wow, das ist echt schwer", flüstert er leise. Ich lächle zurück. Am liebsten würde ich ihn hier und jetzt küssen, aber ich weiß, dass wir das nicht tun sollten. Sanft streicht er mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und ich habe das Gefühl, dass er mir immer näher kommt. Sein Blick wandert für einen kurzen Augenblick zu meinem Mund, nur um dann wieder meinen Blick zu erwidern. „Wincent", hauche ich. Er schließt seine Augen und presst die Lippen zusammen. „Ich weiß", sagt er mit traurigem Unterton, während er seine Hände von mir nimmt und einen Schritt zurück tritt.
Im selben Moment schwingt neben uns die Studiotür auf. Erschrocken drehen wir beide unsere Köpfe zur Tür und Wincent zieht sich instinktiv die Kapuze seines Hoodies hoch. Ich sehe Felix, wie er mit meiner Cola in der Hand ins Freie tritt. Als er mich sieht, sagt er: „Oh, hier bist du ja. Ich wollte nur mal schauen, ob alles in Ordnung ist bei dir, weil du so lange -." Sein Blick fällt auf Wincent, der sich gerade unauffällig die Kapuze noch weiter ins Gesicht ziehen will. „Oh, sorry, ich wusste nicht -." Scheinbar weiß er auch nicht, wie ein vollständiger Satzbau funktioniert. Felix blickt noch einmal zwischen Wincent und mir hin und her und ich hebe fragend eine Augenbraue. „Ich dachte, du wärst alleine. Aber wie ich sehe, geht es dir mehr als gut. Ich gehe dann mal wieder." Dann dreht er sich ohne ein weiteres Wort um und verschwindet wieder durch die Tür ins Studiogebäude.
„Das war knapp", atmet Wincent hörbar erleichert aus. Er hat Recht, das war wirklich knapp. Wäre das nicht Felix gewesen, sondern jemand anderes, dann hätte er sich nun eins und eins zusammenzählen können. Aber warte, Wincent weiß nicht, dass Felix es weiß. „Oh. Kein Grund zur Sorge. Ich glaube, ich habe vorhin noch jemanden vergessen zu erwähnen. Felix weiß auch Bescheid." „Was?! Dein Ernst?" Sofort plagt mich das schlechte Gewissen, weil ich es Felix erzählt habe. „Hey, das hättest du mir auch früher sagen können. Dann wäre ich jetzt gerade nicht fast gestorben vor Sorge, dass jemand herausfinden könnte, wer das Mädchen auf dem Foto ist", lacht er. Oh, Gott sei Dank. Wincent ist nicht böse deswegen. „Sorry, das hab ich wohl vergessen. Aber Felix wird es für sich behalten, ich vertraue ihm. Außerdem hat er schon davor geahnt, dass da was sein könnte." Ich sehe seinen verwirrten Gesichtsausdruck. „Wie hat er denn was ahnen können, wenn da noch garnichts war?" „Naja, du hast ihn nach meinem Instagram gefragt. Das war für ihn wohl Verdacht genug", lache ich. „Hm, dann war das wohl doch etwas auffällig. Und ich dachte noch, ich mache es geschickt."
Ich nehme seine Jacke von meinen Schultern und reiche sie ihm. „Lass uns lieber wieder reingehen, bevor noch jemand anderes rauskommt. Danke für die Jacke." Als er nach der Jeansjacke greift, berühren sich für einen kurzen Augenblick unsere Hände, und Wincent lächelt mich an. „Hey, ich freue mich wirklich auf unsere Verabredung. Bis dahin übe ich schonmal meine Kochkünste, versprochen." Er geht zur Tür und hält sie mir auf. Als ich an ihm vorbei wieder in das Gebäude gehe, kann ich mir einen weiteren Kommentar nicht verkneifen: „Hey, dachtest du eigentlich wirklich, die Mitarbeiter hier erkennen dich nicht, wenn du dir eine Kapuze ins Gesicht ziehst?" Dann drehe ich mich nochmal grinsend zu ihm um und sehe, wie er lächelnd den Kopf schüttelt. Als ich wieder zu meinen Kollegen dazustoße, drückt mir Felix meine Cola mit einem verschmitzten Grinsen in die Hand. „Na, genug frische Luft geschnappt?" Ich tue so, als wäre nichts gewesen. „Ja, danke", antworte ich unschuldig. Auch Stefanie, die mit ein paar anderen Mitarbeitern direkt neben uns steht und wohl gerade beobachtet hat, wie ich mit Wincent von draußen reingekommen bin, wirft mir einen wissenden Blick zu und lächelt.
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wenn ich grad nicht träum'
Fanfic» wenn ich grad nicht träum, dann will ich nie mehr schlafen « Stell dir vor, du bist Lina. Du hast dir gerade deinen Traum erfüllt und einen Job bei einer Fernsehproduktionsfirma bekommen. Für deine erste Produktion reist du extra nach Berlin, denn...