Mein Wecker klingelt und ich fühle mich wie erschlagen. Die ganze Nacht habe ich kein Auge zugemacht. Immer wieder habe ich versucht, Wincent anzurufen oder ihm Nachrichten zu schicken, doch keine Reaktion. Ich fühle mich hilflos und irgendwie auch dafür verantwortlich, dass das alles passiert ist. Ich meine, als er mich am Beginn des Abends abgeholt hat, hat er mir doch erzählt, wie oft irgendwelche Paparazzifotos von ihm gemacht werden. Warum habe ich nicht besser aufgepasst? Dieser Kuss hätte einfach nie passieren dürfen. Meine Gedanken kreisen wild in meinem Kopf herum, also beschließe ich, erstmal unter die Dusche zu gehen, um mich ein bisschen zu beruhigen.
Auf dem Weg ins Studio hole ich mir beim Bäcker lediglich einen Kaffee, der mich hoffentlich wach hält und meine Laune etwas hebt. Ein Frühstück würde ich vermutlich sowieso nicht runterbringen gerade. Heute stehen die Coach-Interviews auf dem Programm und ich habe keine Ahnung, was mich da erwarten wird, geschweige denn, ob Wincent überhaupt auftauchen wird. Aber, er muss doch, oder? Als mir der Tagesplan in die Hand gedrückt wird, checke ich sofort, wann er an der Reihe ist. Wincent ist der letzte von allen. Gut.
Da ich noch etwas Zeit bis zum ersten Interview mit Michi und Smudo habe, gehe ich nochmal ins Crew-Catering und setze mich dort an einen Tisch. Außer mir ist niemand hier, denn außerhalb der offiziellen TV-Aufzeichnungen ist das Team im Studio ziemlich klein. Gut so, dann kann ich wenigstens nochmal in Ruhe meine Gedanken sortieren, bevor es losgeht. Diese Rechnung habe ich aber wohl leider ohne Stefanie gemacht. „Hey, du bist ja auch hier. Alles klar?" Ist das Coach-Catering wirklich so mies oder warum müssen die alle immer hierher ins Team-Catering kommen? Ich bringe nur ein erzwungenes „Hey" heraus und starre weiterhin auf meine Hände, die auf dem Tisch liegen. Ich bin gerade echt nicht in der Laune, belanglosen Smalltalk zu führen. Steff kommt mit einem Kaffee in der Hand zu meinem Tisch und setzt sich mir gegenüber. Was macht sie überhaupt schon hier im Studio? Sie ist doch erst in ein paar Stunden an der Reihe. „Lina?" „Äh-was?" Anscheinend hat sie gerade etwas gesagt, na toll. „Ich hab dich gefragt, ob alles in Ordnung ist mit dir. Du siehst ziemlich fertig aus." Ich lache erschöpft. „Na danke auch." „Ne, versteh' mich nicht falsch, das meine ich nicht böse. Ich mache mir nur Sorgen. Du warst auf der Party gestern auch schon ziemlich abgelenkt. Man könnte fast meinen, du hättest dich mit Wincent zusammengeschlossen", lacht sie. „W-Was?" Verwirrt sehe ich zu ihr auf. „Na, der war doch gestern auch so durch den Wind." „Achso, das meinst du. Nene, ich hab nur schlecht geschlafen, alles gut." Sie nimmt meine Hand und drückt sie leicht. „Na wenn du das sagst. Ich lass dich dann mal wieder alleine. Ich freue mich auf später!" Dann steht sie auf und geht.
Die Drehs mit den Fantas und mit Alvaro waren ziemlich entspannt und witzig, und ich bin froh, dass die Jungs mich ein wenig auf andere Gedanken bringen konnten. Gleich ist Steff an der Reihe und ich warte bereits auf sie, als sie gestresst durch die Tür reinkommt. „Hey, sorry. Ich musste nochmal schnell weg, ein Notfall mit der Band. Musstest du lange warten?" „Nene, alles gut. Alvaro und ich sind gerade erst fertig geworden", versichere ich ihr. „Okay, dann bin ich beruhigt. Lass uns anfangen!" Woher nimmt diese Frau bloß immer ihre Energie? Nach den ganzen langen Drehtagen in der letzten Woche sind wir alle ziemlich geschlaucht, nur Steff lässt sich überhaupt nichts anmerken, und das, obwohl sie gerade mit ihrer Band noch jede Menge um die Ohren und dann auch noch einen kleinen Sohn zuhause hat. Eine richtige Powerfrau. Wir drehen mehrere kurze Videos für Instagram und TikTok und die Arbeit mit ihr macht echt viel Spaß, das Verhältnis zwischen uns könnte schon fast freundschaftlich sein.
Als wir fertig sind, beginne ich langsam wieder nervös zu werden, denn gleich sollte Wincent kommen. Gedankenverloren schaue ich aus dem Fenster und versuche, tief durchzuatmen, während Steff hinter mir ihre Sachen zusammenpackt. „Hey." Sie tritt zu mir ans Fenster und legt mir eine Hand auf die Schulter. „Ich weiß, ich hab dich das schon gefragt und du kennst mich praktisch garnicht, aber ist wirklich alles in Ordnung bei dir? Es sieht nicht so aus, als hättest du bloß schlecht geschlafen." Ich schaue sie an und weiß nicht, was ich ihr antworten soll. „Ich hab gern ein offenes Ohr für dich, wenn du möchtest." Möchte ich das? Ich kenne sie doch kaum, obwohl wir eigentlich in den letzten Tagen immer jede Menge Spaß zusammen hatten. Doch eigentlich müsste sie solche Situationen doch auch kennen, oder? Sie hat doch bestimmt auch schon mal das ein oder andere Foto von sich in der Klatschpresse ertragen müssen. Wortlos greife ich nach meinem Handy in der Hosentasche und tippe auf den Screenshot, den mir Emma gestern Abend geschickt hat. Mit zittrigen Händen halte ich Steff mein Telefon vor die Nase. Anscheinend kann sie die Informationen noch nicht ganz zusammenfügen, denn sie starrt einige Sekunden verwirrt auf den Bildschirm. Dann sieht sie zu mir hoch und ihre Augen werden groß, bevor sie mich im nächsten Moment schon fest in den Arm nimmt. „Hey, komm mal her. Alles halb so wild." Eine Träne löst sich aus meinem Augenwinkel und ich versuche, mich zusammenzureißen. „Komm, wir setzen uns erstmal. Und dann erzählst du mir mal alles in Ruhe." Wir gehen zum Sofa und ich beginne zu erzählen. Vom Job, den mir Wincent angeboten hat, von unserem gemeinsamen Abend in der Bar, und wie eins zum anderen führte. Dass er mich gestern eiskalt ignoriert hat und sich bisher immer noch nicht bei mir gemeldet hat. „Irgendwie hab ich schon vermutet, dass da was zwischen euch ist", grinst sie. „W-was? Aber da ist doch überhaupt nichts. Wir haben beide nicht gerade wenig Alkohol getrunken und haben uns bloß einmal geküsst, und dabei bleibt es auch. Ganz besonders nach dieser Geschichte hier jetzt", sage ich und deute auf mein Handy. „Hey, ich weiß, du machst dir Vorwürfe. Aber die Wahrheit ist, Wincent hätte es besser wissen müssen als du. Er weiß, wie es ist, in der Öffentlichkeit zu stehen. Es ist sein eigener Fehler und dass er dir bisher nichts gesagt hat, ist sicher nur deshalb, weil er dich schützen wollte." Sie hat Recht. Er hat mich genauso geküsst wie ich ihn. „Ich fühle mich trotzdem schlecht." „Ich weiß. Das ist auch in Ordnung, aber gib dir nicht die Schuld dafür. Und du musst mit ihm reden." „Naja, das würde ich ja, aber er ignoriert mich. Und ich bin mir sicher, er kommt auch nicht zu dem Dreh gleich, er sollte eigentlich eh schon längst hier sein." „Hey, er wird kommen. Und dann sprichst du mit ihm über alles. Erzähl ihm, wie es dir dabei geht, dass er dir nichts gesagt hat. Aber du musst ihn auch verstehen. Solche Schlagzeilen sind im ersten Moment immer sehr überfordernd und man versucht erstmal, weitere solche Artikel zu verhindern. Glaub mir, ich spreche da aus Erfahrung. Er hat es bestimmt nicht böse gemeint", versucht sie mich zu beruhigen. Ich seufze. „Danke, Steff, wirklich. Ich bin froh, dass ich mit dir da drüber sprechen kann." Sie drückt mich nochmal fest und sagt: „Immer gerne. Ich geh dann jetzt mal, aber ich bin morgen auch nochmal hier im Studio, falls du nochmal mit jemandem reden willst. Mach dir nicht zu viele Gedanken, alles wird gut." Ich lächle sie dankbar an und bin gerade echt ziemlich froh, dass ich mit jemandem darüber reden konnte, der diese Situation versteht. Sie nimmt ihre Tasche und gerade, als sie zum Gehen ansetzt, klopft es an der Tür. Noch bevor wir etwas sagen können öffnet sie sich langsam und Wincent steht im Türrahmen. Und scheiße, sieht er mitgenommen aus. Er muss die gleiche schlaflose Nacht gehabt haben wie ich. Steff dreht sich nochmal zu mir, gibt mir eine kurze Umarmung und flüstert mir ins Ohr: „Ihr schafft das." Danach dreht sie sich um und geht.
DU LIEST GERADE
wenn ich grad nicht träum'
Hayran Kurgu» wenn ich grad nicht träum, dann will ich nie mehr schlafen « Stell dir vor, du bist Lina. Du hast dir gerade deinen Traum erfüllt und einen Job bei einer Fernsehproduktionsfirma bekommen. Für deine erste Produktion reist du extra nach Berlin, denn...