Kapitel 48

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"Du siehst wunderschön aus, Shirin." Narin fächert sich mit ihrer Hand Luft zu, als sie den Make-up-Pinsel zur Seite legt. Mama sitzt schon weinen und schniefend auf dem Bett. Ich habe ihre Blutdrucktabletten provisorisch bei Narin verstaut, falls es ihr doch zu viel wird. Heute heiraten Miran und ich. Der Imam sitzt schon draußen und philosophiert mit meinem Vater. Ich bin Miran die gesamte Woche aus dem Weg gegangen, damit die Sehnsucht zum heutigen Tag steigt - und als Strafe. Er hat wirklich nicht gelogen, als er meinte, dass er mich heiraten wird, sobald die erste Blume im Garten blüht. Ich hatte nur 8 Tage Zeit, um alles fertigzustellen. Am dritten Tag bin ich verzweifelt und bin mit Mirans Karte in den Baumarkt gefahren, um den Stand selbst zusammenzustellen. Miran durfte das Haus nicht betreten. Wäre er gekommen, hätte ich wahrscheinlich die Polizei gerufen, aber ich habe es ihm erlaubt, mir Blumen vor die Haustür zu legen. Miran macht sich gerade im Zimmer am Ende des Flurs fertig. An der Tür steht mein ältester Bruder Akram, damit Miran es auch ja nicht wagt, in unser Schlafzimmer zu treten, bevor ich es ihm erlaube. Ich habe die letzten acht Tage auch nur das Nötigste mit ihm ausgetauscht via WhatsApp. Gib mir deine Karte, ich möchte Sushi, ich kann nicht mehr.

Ich fahre mir aufgeregt über das getrocknete Henna-Kunstwerk auf meinen Händen, das ich selbst gezogen habe. Bei Kurden ist ein so schönes Muster unüblich, aber damit konnte ich meinem kleinen Bollywoodherzen einen Traum erfüllen können. Meine Mutter schnäuzt lautstark in ihr Taschentuch. Wenn sie sich nicht beruhigt, muss ich ihr eine große Flasche Wasser hinstellen, ansonsten dehydriert sie. Es ist am Ende doch ein oranges jilê kurdî geworden und ich kann nicht zufriedener mit der wunderschönen, wenn auch schweren, Verzierungen aus Perlen und Kristallen ab meinen Schienbeinen ringsherum. Es ist ein kleines, funkelndes Naturspiel aus Blumen und kleinen Schmetterlingen an der Unterkante. Miran weiß nicht, dass ich mich dafür entschieden habe. Ihm habe ich erzählt, dass es grün wird und dass er als Gegenstück dazu die orange Krawatte anziehen muss, die der Schneider aus dem übrig gebliebenen Stoff angefertigt hat. Es ist ein sanftes Orange, das ins Beige geht. Ich kann es selbst kaum abwarten, ihn zu sehen und habe das Gefühl, dass meine Ohren sich bewegen, sobald ich eine männliche Stimme wahrnehme.

Ich fahre nervös über den samtigen Stoff der Übergangsjacke. Bei ihr hatte ich meinen zweiten mentalen Zusammenbruch, weil ich mich nicht für einen Ton entscheiden konnte. Zum Glück hat mir meine Mutter, Narin und der Schneider die Entscheidung abgenommen, sodass es am Ende ein dunklerer Beigeton wurde. Vor Verzweiflung wollte ich grün wählen und war sogar anfangs sehr überzeugt davon, doch keiner der drei Personen war auf meiner Seite. Ich hickse seit gut einer halben Stunde nicht mehr. Das ist ein sehr gutes Zeichen ... würde es nicht an der Tür klopfen. Ich springe sofort auf, zu überfordert und nervös und oh Gott, was ist, wenn ich schwitze und stinke und was ist, wenn meine Haare ganz buschig werden, was bei meinem Volumen nicht auffallen sollte, aber was ist, wenn der Schweiß meine Lockenstruktur verändert und sie dann komisch aussehen und die Bilder nicht gut werden und diese dann bearbeitet werden müssen und – "Durchatmen, Shirin", beruhigt mich Narin. Sie hält mich schmunzelnd an meinen Oberarmen fest, während meine Mutter – ich bemerke sie erst jetzt – hinter mir steht und meine Tracht richtet. "Atme mit mir ein." Okay ... aber ich hickse dabei immer. Bei jedem Ein- und Ausatmen. 

Er steht vor der Tür, wie soll ich normal atmen? Ja, es ist nicht das erste Mal, dass er vor der Tür steht, aber gerade fühle ich mich in einen Raum versetzt, in denen alle peinlichen Momente mit ihm auf mich einprasseln. Ich habe sogar Angst, dass er mich kündigt, anstatt an unsere Heirat zu denken. "Ich muss die Kamera nehmen. Schaffst du es, nicht umzukippen?" "Ich weiß es nicht", murmele ich wahrheitsgemäß. Zum Glück hält meine Mutter mich an den Schultern fest. Er steht vor der Tür. Ich muss jetzt zur Tür. Meine Hand zittert und zuckt, als ich hickse und oh Gott, mein Bauch kribbelt, als ich ihn deswegen hinter der Tür leise lachen höre. Meine Nervosität vermischt sich mit der Ungeduld, ihn endlich zu sehen, sodass ich mutiger werde und seine sanften, blauen Augen erblicken darf. Keiner spricht. Einzig und allein unsere Augen kommunizieren. Stolz, Erleichterung, Zufriedenheit. Und dann folgen die Tränen. Seinetwegen. Mirans Augen füllen sich und lösen eine Kettenreaktion aus sowie sein sanftes Lächeln. Er nähert sich mir einen Schritt, als er mir den wunderschönen Blumenstrauß übergibt, der farblich auf mein Kleid abgestimmt ist. "Du siehst wunderschön aus, Shirin." Als Dank entweicht meinen Lippen ein Hickser. Es ist ungewohnt, dass meine Familie diesen intimen Moment mitbekommt.

Tollpatschige LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt