Die ersten dreieinhalb Monate meiner Schwangerschaft vergingen harmonisch und ruhig, doch jetzt terrorisiere ich Miran, als sei ich dafür befördert worden. Ich will nachts immer duschen, weil ich verschwitzt aufwache, aber nicht allein. Als Miran eines Nachts jedoch so müde war, dass er sich nicht bewegen wollte, habe ich einsam in der Wanne geweint. Immerhin kam er dann nach und so konnte ich zu Frieden baden. Ein Problem, das sich entwickelt hat, ist meine Abneigung zu Fleisch. Ich kann es weder sehen noch anfassen. Mir wird schlecht, weshalb ich aktuell vegetarisch lebe. Miran muss sich daher selbst um sein Fleisch kümmern und das am besten im Garten, denn ich reagiere sehr empfindlich auf den Geruch. Auch auf seinen. Die letzten Wochen konnte ich nämlich seinen Geruch nicht ausstehen, habe aber dann geweint und mich mit einer aufgesetzten Mundschutzmaske bei ihm entschuldigt. Jetzt trägt er aber ein neues Parfüm und nun bin ich dauerrollig. Außerdem habe ich eine Obsession mit Zwiebeln in jeder Form entwickelt. Ich liebe es! Es ist so dynamisch. Meine Arbeit leidet hin und wieder darunter, aber das ist nichts, was ich nicht dennoch schaffe! Susi strickt fleißig Handschuhe und Mützen, Narin betet, dass es ein Mädchen wird, damit sie ihr eine Handtasche kaufen kann und ich trinke weiterhin fleißig meinen Zwiebelsaft, damit Mirans blaue Augen weitergegeben werden.
Ich parke Toto um 12:00 Uhr neben Mirans Auto und steige seufzend aus. Mir ist unfassbar warm, sodass ich nie mit meinem Mantel zur Arbeit gehe. Miran und ich haben uns anfangs deshalb in die Haare bekommen, weil er nicht möchte, dass ich friere und mir nicht geglaubt hat, dass ein T-Shirt reicht. Erst, als ich in Tränen ausgebrochen bin, hat er mir die Chance gegeben, es zu beweisen und siehe da: Ich trage im November bei Schnee nur eine Jeans und ein dreiviertel Oberteil. In der Lobby begrüße ich Yasmin an der Rezeption, die mir sofort die Tüte Salzstangen hinhält. Ich habe nur in der Lobby Lust auf Salzstangen, wovon ich mir eine Handvoll greife und sie futtere, bis der Aufzug kommt. Durch die Salzstangen bekomme ich schnell durch, aber Miran stellt täglich sicher, dass eine Flasche Orangensaft im Kühlschrank steht – aus der er mindestens zwei Schlucke getrunken hat. Ich mag es. Es schmeckt besser, wenn mein hübscher Mann aus der Flasche getrunken hat. Narin grinst mich an, als ich aus dem Aufzug trete. "Und? Ausgeschlafen?" Ich nicke zufrieden, ehe ich mein heißersehntes Getränk aus dem Kühlschrank fische. Jetzt muss ich mir meinen Mittagskuss von Miran abholen und dann kann ich auch mit meiner Arbeit beginnen.
***
Ich habe zwei Kunden per Videokonferenz beraten, alle E-Mails gelesen und bearbeitet sowie die Termine für die kommenden Wochen strukturiert. Jetzt bin ich schläfrig und trete in Mirans Büro, um mich auf sein Sofa zu legen. "Willst du nicht nach Hause?", fragt er mich, doch ich verneine es. "Hier ist es auch schön." Ich gähne einmal. "Hab alles für heute erledigt." "Schon?", fragt er überrascht. "Klar", murmele ich. Es war ja nicht mehr als sonst. Die Firma legt Wert auf wenige, dafür einflussreiche Kunden. In der alten Firma wirkte es oft wie in einer Massenproduktion. Es ist wie Urlaub für mich, seitdem ich bei Miran arbeite. "Was hältst du von einem temporären Ersatz?" Ich reiße augenblicklich meine Augen auf und entschuldige mich innerlich bei unserem Kind dafür, dass ich ihn wahrscheinlich in meinem Bauch herumschleudere, als ich mich abrupt aufsetze. Was für ein Ersatz? Er wagt es wirklich, mich ersetzen zu wollen?!
Miran hebt abwehrend seine Hände. "Shirin, ganz ruhig." "Du willst mich ersetzen?" "Ich möchte dich schonen. Du musst in Zukunft so oder so in Mutterschutz." "Ich kann im Home-Office arbeiten!" "Ich lasse dich nicht hochschwanger arbeiten", entgegnet er nun strenger und ich ziehe sofort meine Schultern an. Mich beeinflusst sein Ton seit der Schwangerschaft besonders. "Schrei mich nicht an", flüstere ich. Miran seufzt nur überfordert. "Möchtest du Kakao?" "Nein, ich will eine Avocado", schniefe ich. Und eine neue Decke. Mir gefällt die dunkelblaue nicht mehr. Die ist hässlich. Miran kommt auf mich zu, um mich tröstend in den Arm zu nehmen. "Dein Kontrolltermin steht bald an. Dann können wir das Geschlecht erfahren." Seine Hand zeichnet Kreise auf meinen Rücken. "Möchtest du es erfahren?" "Unbedingt." Ich habe schon eine Vorahnung. "Was denkst du, wird es?", frage ich ihn. "Ich kann das überhaupt nicht einschätzen, du?" "Ein Mädchen." Es wird ein Mädchen, ich weiß es. "Das heißt, ich muss expandieren, um den Lebensstil meiner Frauen finanzieren zu können." "Ich muss es sofort meiner Mutter erzählen, damit sie ganz viele Sachen strickt." Meine Mutter war ganz aus dem Häuschen, als sie von der Schwangerschaft erfahren hat. Ich bin mir sicher, die Nachbarn haben ihr Geschrei mitbekommen.
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Tollpatschige Liebe
RomanceShirin ist auf dem Weg einen neuen Abschnitt in ihrem Leben zu beginnen. Weg aus der Kleinstadt, welche man schon als Dorf bezeichnen kann. Mit ihren 25 Jahren ist Shirin bereit für die Großstadt und will in einem Unternehmen tätig werden. Sie ist v...