Kapitel 43

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Miran

Ein Tag zuvor

Es bringt nichts, mir bewusst zu sein, dass mein Vorhaben unsinnig ist. Ich weiß, wie sie reagieren werden und doch stehe ich vor den großen, schwarzen Haustüren, die in mein Elternhaus führen. In meine Kindheit. An jenen Ort der verpassten Anerkennung und der emotionalen Vernachlässigung. Es brennt mir zu stark in der Seele, als dass ich Shirin nicht voller Hingabe vorstelle und kundgebe, dass ich sie heiraten werde. Ich mache es für mein Gewissen. Nicht für ihren Segen. Meine Mutter hebt Augenbrauen, als sie die Tür für mich öffnet, sichtlich überrascht, mich unangekündigt zu empfangen. Ich nehme die gesitteten Küsschen links und rechts stumm hin, während ich gedanklich an Shirins innigen, warmen und nahezu knochenbrechenden Umarmungen denke. Ich vermisse sie jetzt schon. "Was führt dich zu uns?" So vornehm. Als wäre ich nicht ihr Sohn. Shirin hat schon umgangssprachlich mit mir gesprochen, als sie zum ersten Mal in mein Büro gepurzelt ist und realisiert hat, dass ich ihr Vorgesetzter bin. "Eine Ansprache", antworte ich distanziert. Es zerrt dennoch an den Ansätzen meines Nackens. Ich weiß, wie sie reagieren werden. Ich spüre ihre neugierigen Blicke auf meinem Rücken. Die entstehende Hitze fließt wie Wasser über meinen Rücken. Fast bin ich dazu versucht, sie anzuschreien, weil ich abgeneigt von jeglicher Interaktion bin. Ich reagiere nicht gut auf etwas derart Triviales, weil es mir als Kind verwehrt wurde.

Mein Weg führt mich ins große, feudale Wohnzimmer. Shirin würde es als Palast bezeichnen und ihre brauen Augen würden sofort auf die große Pflanze in der Ecke vor der Terrassentür fallen. Sie würde sich sofort zu den Blättern stellen und mir die Gattung nennen. Es ist eine Strelitzie. Mich besetzt eine erneute Wut, weil ich die Natur mit ihr verbinde und sie nicht in ein solch kaltes Haus gehört. Als ich seinen miserablen Zustand vorfinde, spüre ich einen leichten Druck auf meiner Brust. Es ist ein sadistisches Gemisch aus Zufrieden- und Überlegenheit, getränkt in Trauer und Wut. Es ist die Strafe Gottes, dass er schwach vor mir liegt und zu mir aufschaut. Früher war es andersherum, aber er wird diese Erde nicht verlassen, bis er das Leid zu spüren bekommt, welches er anderen zugefügt hat. "Wie laufen die Geschäfte?" Ich spüre ein Zittern in meinen Fingern. Am liebsten würde ich meine Faust gegen den Monitor rasen lassen, an den er angeschlossen ist für diese erbärmliche Frage. Einzig und allein Gott weiß, wie viele Atemzüge dieser Mann vom Tod entfernt ist und doch ist das einzig Essenzielle für ihn, wie es um die Wirtschaft steht. Es ist nahezu bemitleidenswert, wenn man den Fakt ignoriert, dass er mein Erzeuger ist.

"Ich werde heiraten." Hinter mir zieht meine Mutter überrascht die Luft ein, nur um daraufhin entzückte Laute von sich zu geben. Meine Mundwinkel verziehen sich unbefriedigt. Es stört mich, dass sie glücklich ist. Jegliche positive Assoziation und Berührung ihrerseits bringt mich an jene Grenze, ihre Hand von mir zu reißen und sie anzuschreien, doch ich bewahre meine Contenance und schreite einen subtilen Schritt zu Seite, als sie sich vor mich stellt. "Sehr schön! Ist es Fadilas Tochter?" Mein Gesicht verzieht sich verachtend. Keine Ahnung, wer Fadila und ihre Tochter sind. Es könnte mich nicht weniger tangieren. "Nein." Nach meiner kühlen Antwort trete ich einen weiteren Schritt zurück. Ich ertrage meine eigene Mutter nicht. Ich ekele mich vor ihren Versuchen, mit mir zu agieren. Schau mich nicht an. Ignoriere mich, wie du damals die Misshandlung ignoriert hast. "Wer?" "Shirin", antworte ich ihm. Seine grauen Augenbrauen ziehen sich zusammen. Er nimmt noch einen tiefen Atemzug durch die Sauerstoffmaske, ehe er sie absetzt und sich langsam vom schwarzen Sofa aufsetzt. "Welche Shirin?" Es gibt nur eine Shirin. Meine Shirin. Ich könnte wieder die Fassung verlieren, als er ihren Namen in den Mund nimmt und diese Frage stellt. Er verdient es nicht, auch nur eine einzige Verbindung zu ihr zu haben. Ich sehe mich gezwungen, sie zu verteidigen.

"Meine Verlobte." Es war nicht anders zu erwarten, dass dieser verbitterte Mann verächtlich auflacht. Meine Brust zieht sich zusammen, weil ich es nicht akzeptiere, wie man bei Shirin reagiert. Sie ersetzt jeden Sonnenstrahl, den ich in meiner Kindheit nur aus dem Fenster betrachten durfte. "Eine Namenlose?" Ich weiche vorsichtshalber einen Schritt nach links. Ansonsten besteht das Risiko, dass ich den Monitor umtrete oder die Sauerstoffflasche dagegen werfe. "Eine würdevolle Frau mit Persönlichkeit. Fremdwörter für dich." Seine eingefallenen Wangen zucken empört. Meine Mutter schaut einmal zu ihm und dann bedenkend zu mir. Widersetze dich deinem Vater nicht. Er weiß, was richtig und was falsch für dich ist. Ich atme tief ein. "Dir fehlt jede Vernunft. Natürlich nimmst du eine Frau von der Straße." Ich trete seinen Gehstock schneller weg, als ich denken kann. Ich muss ruhig bleiben. Er will doch genau diese Bestätigung, aber ich kann es nicht tolerieren, wie er über Shirin spricht. Ich verurteile mich selbst dafür, dass ich ihren Namen in dieses verdreckte Haus gebracht habe. Andererseits schreit mein inneres Kind nach Gerechtigkeit und Freiheit. Mein vergangenes Ich gibt mir die Kraft, hier zu stehen und mich einmal durchzusetzen. Endlich. Final.

Tollpatschige LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt