Kapitel 17

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Frustriert schlug Bajarka mit der blanken Faust auf die Keramik des Waschbeckens. Er hatte sich nach diesem Anblick ins Badezimmer zurückgezogen und seinen Vater und diesen Malakai im Wohnzimmer gelassen. Die Schmerzen, die durch den Schlag entstanden waren, ließen sein Inneres zucken, doch sein Gesicht blieb so ernst und wütend wie davor. Seine buschigen Augenbrauen bedeckten beinahe seine Pupillen und gaben seinem Blick diesen gefährlichen Touch, von dem sogar er selbst manchmal erschrocken war. Doch jetzt erschreckte er sich vor gar nichts. Nein, er folterte sich mit diesem Blick in den Spiegel. Er bestrafte sich selbst mit diesem hasserfüllten Blick an sich selbst. An sein eigenes Spiegelbild. Am liebsten würde er sich jetzt einfach in den Hals hineingreifen und sich die eigene Kehle entreißen. Oder sein Herz durch die Brust. Seine Lungen in den Händen halten und sie zerdrücken, bis ihre Funktion unterbunden wurde. Die Muskeln im Kiefer des Alphas zuckten, als er die Zähne zusammenbiss und sich im Spiegel beobachtete. Es war lächerlich. Er war lächerlich. Wieso war er nur immer noch da, während der, den diese Familie wirklich brauchte, weg war? Wieso?
"Fick dich, verdammter Bastard." Fauchte er in sein eigenes Gesicht und wollte nun auch in den Spiegel schlagen, doch dann würde man es hören und wissen, dass er sich hier befand und ihm diese Sache noch immer nah ging. Das durfte er nicht zulassen. Er musste stark sein. Für seine Familie. Für seinen Vater. Aber vorallem für sich, was er jedoch im Moment einfach nicht mehr konnte. Er gab sich die Schuld an allem. Daran, dass diese Familie von einem Tag auf den nächsten zerbrochen ist.
"... warum kannst du nicht einfach darüber hinweg kommen?" Flüsterte er sich frustriert zu und legte seine geballte Faust nur auf die kalte Oberfläche des Spiegels, ohne ihn zu schlagen und senkte den Blick dann wieder. Seinen Anblick im Spiegel zu sehen machte ihn ganz einfach krank. Besonders wenn er mal wieder nur an dieses eine Thema dachte und es ihn so sehr mitnahm, wie es eigentlich normal sein sollte. Doch für ihn, in seinen Augen, war es alles andere als normal. Es war schwach. Lächerlich. Schon Jahre her und trotzdem erlitt er ständig Fehlschläge darin, der große Bruder zu sein und einfach selbst so für seine Familie da zu sein, wie es Arrow getan hätte, nur weil ihm diese Erinnerung noch immer den Geist benebelte, wann immer er sah, wie andere Familienmitglieder deswegen emotional wurden. Zwar musste er selten dadurch mit ihnen weinen, aber das wäre ihm viel lieber gewesen, als sich so elendig darüber aufzuregen, dass er nicht an seinen Pfählungen gestorben war, an Stelle seines Vaters. Die Tränen ließen ihn zumindest seinen Schmerz ausdrücken, sodass er sich nach dem weinen besser fühlte. Aber ohne die Tränen erhielt er keine Linderung. Eher wurde es schlimmer. Nicht viel schlimmer, aber je öfter sich Situationen, wie diese wiederholten, desto kaputter wurde er innerlich. Es war wie ein Fluch. Wie ein Raubtier in ihm, das sich mit jeder Bewegung, mit jedem Empfinden, auf das Herz des Alphas stürzte und es in der Luft zerriss.
Mit einem schweren Atemzug hob er den Kopf wieder, um in sein ihm  abscheuliches Gesicht zu sehen. Am liebsten hätte er es sich mit bloßen Händen ausgerissen. Doch bevor er dazu ansetzte, bemerkte er, dass jemand hinter ihm stand. Er sah die Spiegelung deutlich rechts neben seinem Gesicht und erschreckte stark, denn die Eisblauen Augen desjenigen, der dort stand, sahen aus, als würden sie ihm direkt durch die Seele stechen. Doch als er sich hastig umdrehte, erstarrte er, während er sich innerlich beruhigte. Es war Malakai.
"Hey..." Murmelte er und hob besänftigend die Hände. "Ich- ich wollte dich nicht beobachten... tut mir leid."
Eine erneute Entschuldigung. Anders kannte er es von dem kleineren Alpha gar nicht mehr. Doch sein mitleidiges Gesicht ließ ihn knurren.
"Was willst du dann. Los, geh wieder." Dröhnte er etwas und drehte sich wieder dem Waschbecken zu. Das letzte, was er jetzt brauchte, war ein Beobachter. Schon gar nicht einen wie Kai, von dem er wusste, dass er sich einmischen würde. Es ging ihm gewaltig gegen den Strich, dass dieser Kerl ständig nur daran interessiert war, ihn zu nerven. Auch wenn er es nicht mit Absicht tat, was Bajark natürlich wusste. Dennoch war es Fakt und das ließ sich nicht ändern.
Kai allerdings konnte nicht anders, als zu bleiben. Er ließ es ohne inneren Protest zu, dass Bajarka so mit ihm sprach. Jetzt wusste er ja, wieso er so auf Menschen reagierte. Wahrscheinlich hatten ihn seine Familienmitglieder nach diesem Vorfall in Watte gelegt, ohne dass Bajarka es wollte. Kai hatte wahrscheinlich zu viel von dem mitgehört, was der Andere zu sich selbst gesagt hatte, aber es konnte ihn einfach nicht kalt lassen, ihn so zu sehen. Er sah aus, als wollte er weinen... aber er konnte nicht.
"Hast du nicht gehört?! Du sollst gehen! Piss in den Garten, wenn du deswegen hier bist!" Knurrte Bajarka weiterhin abweisend und hatte sich erneut zu ihm umgedreht. Sein Blick verriet Malakai alles. Dieser Schmerz in seinen Augen war durch sein wütendes Gesicht nicht zu überdecken. Und auch wenn er so bissig zu ihm war, konnte Kai ihn einfach nicht hier lassen, ohne etwas gesagt oder getan zu haben, was ihm signalisierte, dass er helfen wollte.
"Bajarka..." Fing er an zu reden und schaute erneut in sein Gesicht. Sein eigener Blick war gefüllt in Trauer und Mitleid. Ihm tat es so unendlich leid, was mit ihm und seinem anderen Vater passiert war. Je mehr er es sich vorstellte, desto geknickter wurde er. Seinen eigenen Vater neben sich zu sehen, während man selbst um sein Leben rang... kein Wunder, dass Bajarka so geworden war, wie er war. Kalt und unnahbar... nach so einem Ereignis hätte Kai auch niemanden mehr an sich rangelassen.
"Was ist." Murmelte der Andere nun etwas ruhiger und sein Gesicht wurde entspannter. Er flehte ihn stumm mit seinen Blicken an, ihn allein zu lassen. Und Malakai hätte ihm so gern jeden Wunsch erfüllt, aber den konnte er einfach nicht erfüllen. Er tat ihm einfach so unendlich leid.
"... Baj... er... er hätte sicher gewollt, dass du überlebst. Und deine Familie genauso." Sagte Kai nun und offenbarte, dass er ihm zu gehört hatte. Kein schönes Geständnis, aber ändern konnte er es auch nicht mehr.
Bajarka schnaufte. Jetzt nannte dieser Penner ihn auch noch so, wie ihn seine Familie nannte! Irgendwann reicht es doch mal, oder, dachte er sich und schüttelte ungläubisch den Kopf.
"Das geht dich nen scheiß Dreck an! Geh doch einfach wieder und lass mich in Ruhe. Du hättest mir so oder so nicht zuhören sollen!" Klagte er, doch wurde in seiner Tonlage ruhiger. Die Präsenz von diesem Krankenpfleger hatte etwas... beruhigendes für ihn. Dennoch machte es ihn wütend, dass er seine Privatsphäre missachtet- und gelauscht hatte. Aber das Gehörte ließ sich nun auch nicht mehr aus Malakais Kopf verbannen. Bajarka hatte an Arrows Stelle sterben wollen... wie traurig. Nicht nur dass er sich solche schweren Verletzungen zugezogen hatte, an denen er bereits hätte sterben können, nein. Er wollte es so. Er wollte tot sein. Arrow musste eine echte Lücke hinterlassen haben, von der Bajarka glaubte, sie nicht selbst füllen zu können.
"Bajarka..." Murmelte Kai kleinlaut und traurig. Am liebsten wollte er diesen sturen, gebrochenen Alpha in die Arme schließen. Seine Tränen hervorkitzeln, damit er sich endlich ausheulen konnte und ihm eine Schulter dafür anbieten, in die er seine Tränen lassen konnte.
"... es tut mir leid. Ich weiß, ich sage das oft zu dir, aber... es tut mir einfach so unfassbar leid, was dir passiert ist. Was deiner Familie passiert ist. Und ich schäme mich wirklich sehr dafür, dass ich Ace soetwas unterstellt habe." Ließ er es nun raus und hatte dabei den Großteil der Zeit seinen Blick zu Boden gerichtet, hob diesen aber wieder, um die Reaktion des Anderen zu sehen. Dieser sah nur aus den Augenwinkeln zu ihm. Betrachtete ihn wie Schimmel an der Wand und seufzte dann tief. Dabei wand sich sein Gesicht von Kai ab. Es schien Emotionen zu zeigen, die der Kleinere nicht sehen durfte. Einen traurigen Blick vielleicht oder... gar ein Lächeln?
Das Gesicht des Riesen wand sich ihm wieder zu. Anscheinend durfte Kai die Emotionen darauf jetzt doch sehen. Und was er sah, brach ihm fast das Herz: Ein tatsächlich weicherer Blick. Traurige Augen. Ein Mund, in dem die Zähne aufeinandergestellt und zusammengepresst waren, auf dass ihm ein Zahn ausfiel.
"... danke." Kam es so sanft wie noch nie aus seinem Mund, den er so mühevoll geöffnet zu haben schien. Seine buschigen Augenbrauen standen höher als sonst, was dafür sorgte, dass sein Blick nicht mehr so aussah, als wollte er sein Gegenüber aus dem Fenster werfen. Einen so sanften Blick hatte Kai an ihm noch nie erlebt. Selbst nicht an Blade. Oder Weston. Oder... wurde er überhaupt einmal so sanft angesehen? Er fühlte sich regelrecht gestreichelt durch ihn.
Jetzt konnte Kai diesen Drang nicht mehr zurückhalten. Man hätte ihn festhalten sollen, so wie er es im Moment am liebsten wollte, aber das brachte jetzt auch nichts mehr. Kai kam ins Badezimmer hinein, stellte sich direkt vor den Alpha und sah dabei durchgängig in seine Augen. Dann aber wand sich sein Blick langsam ab. Wanderte zur Brust des Alphas und er hob die Arme. Dadurch, dass eine Seite von Bajarka frei war, weil sein Arm auf dem Waschbecken ruhte, war es einfacher, seine Hüfte zu umschlingen und sich ganz vorsichtig und langsam näher zu wagen. Erst wollte er damit nur testen, ob er eine Art Widerstand spürte. Und die bekam er auch. Wie ein scheues Pferd zuckte der Dunkelhaarige zurück, doch es schreckte Kai nicht ab. Im Gegenteil: Er ließ sich gegen Bajarkas Brust fallen und drückte ihn nun mit beiden Armen an sich heran. Was er sich dabei dachte, konnte er sich nicht einmal selbst erklären. Er dachte gar nichts. Gefühlt agierte sein Körper ohne ihn und hatte ihn nun in diese Situation gebracht. In diese warme... angenehme Situation zwischen ihm und dem scheuen Pferd. Denn es war viel angenehmer, als er es sich vorgestellt hatte. In seinem Kopf hatte er sich schon ein Konzept erstellt, wie ruckartig diese Umarmung enden würde und wie beschissen er am Ende dastand. Wie ein Idiot. Aber dem war diesmal nicht so, denn Bajarka ließ diesen engen Körperkontakt zu Kais Überraschung zu. Der kalte Atem hauchte in den Nacken des Kleineren und verschaffte ihm eine Gänsehaut, die ihn automatisch fester an den Größeren drückte. Nach Wärme suchend und sie wohlfühlend an seinem Körper findend. Eigentlich wollte Kai ja dafür sorgen, dass Bajarka sich besser fühlte. Aber langsam und schleichend kam das schöne Gefühl der Heilung stattdessen in ihm auf und seine Hoffnung beruhte einzig und allein auf zwei Dingen.
Erstens, dass Bajarka sich ebenfalls besser fühlen konnte.
Und zweitens dass diese Umarmung noch weiter verweilte. Es fühlte sich einfach richtig an für ihn. Nicht zuletzt deshalb, weil der andere Alpha sich völlig auf diesen wirklich engen Körperkontakt einließ. Bei so einem Typen hatte Kai gedacht, dass er ihn letztlich vollends von sich stieß und doch aus dem Fenster warf. Dass er es aber nicht tat, erfüllte den Krankenpfleger mit Freude. Er entspannte sich ein wenig in dieser Umarmung. Und dasselbe tat Bajarka schließlich auch.

Der Waldarbeiter atmete immer ruhiger je länger er in den Armen des Kleineren stand. Er hatte nicht gedacht, überhaupt noch einmal in seinem Leben von jemandem umarmt zu werden, der nicht zur Familie gehörte. Schon gar nicht von Malakai, dem er schon so vieles angedroht hatte. Dessen Bruder er in die Flucht geschlagen hatte und den er fast jedes Mal, wenn er da war, einfach kalt von der Seite bemusterte. Er war sich ziemlich sicher, den Krankenpfleger nicht ein Mal wie einen Menschen angesehen zu haben. Außer vielleicht in der Situation im Auto. Als er ihm den Milchshake von der Wange wischte. Als sie sich so tief in die Augen gesehen haben und er zum ersten Mal realisiert hatte, wie schön diese Augen waren. So klar. Einfühlend. Und das nicht nur wegen ihrer wunderschönen Farbe. Aber warum nur musste Bajarka ausgerechnet jetzt daran denken?!
Ah, genau. Weil er jetzt die Antwort bekam auf die Frage, wieso er im Blick dieses Anderen so eine Geborgenheit gespürt hatte. Nämlich einfach, weil Kai so war. Ein guter Freund. Ein guter Zuhörer. Aber vor allem einfühlsam wie sein ruhiger Blick, der für kurze Zeit den Orkan in ihm in einen ruhigen Blattregen verwandeln konnte. Und im Moment war Bajarka einfach nur dankbar. Dafür, dass der Kleinere ihn einfach in den Arm nahm und ihm nicht sagte, dass er aufhören sollte, so von sich zu reden und zu denken. Ausdrücken konnte er diese Dankbarkeit allerdings nicht. Noch nie hatte er große Worte gerissen. Er war ein Mann der Tat.
Statt ihm also ein Dankeschön ins Ohr zu flüstern und ihm zu sagen, dass er das jetzt gebraucht hatte, duckte er sich ein Stück hinunter und legte ebenfalls langsam die Arme um Malakai, von dem er spürte, dass er entspannter wurde. Scheinbar fühlte er sich genauso, wie er. Als würde diese Umarmung seine Seele heilen. Alles, was die Tränen kaputt gemacht hatten, sich langsam wieder zusammenbauen. Es tat noch immer weh, doch er konnte es mit jeder Sekunde besser aushalten. Und er vertiefte die Umarmung nochmals. Seine Hände legten sich auf seinen unteren Rücken, während seine Arme die Hüften des Anderen umschlungen und er Kai auch am unteren Körper näher an sich drückte. Den Kopf legte er ganz sanft auf der Schulter des Braunhaarigen ab und atmete dadurch seinen Geruch ein. Er roch tatsächlich gar nicht so sehr nach Schleim, wie er gedacht hatte. Nein im Gegenteil, denn seine Phäromone waren tatsächlich angenehm.

Fast wäre Kai das Herz stehen geblieben. Sobald er Bewegung von Bajarka gespürt hatte, hatte er Angst bekommen, aus dieser innigen Umarmung jetzt doch noch rausgebracht zu werden. Das wollte er nicht. Nicht aus der schönsten Umarmung seit langem rausgedrängt werden. Aber er wollte es für Bajarka gleichzeitig nicht unangenehm machen, weswegen er einfach die Augen schloss und sich darauf einstellte, sie demnächst zu beenden. Trauer erfüllte ihn langsam dadurch, aber er war bereit, den Anderen loszulassen, sobald dieser es wollte. Und so war es umso überraschender, dass sich Bajarka nur zu ihm hinunterbewegt hatte, um ihn zurückzuumarmen.

He fucks my brain- Alpha x Alpha bl story by Rockostic Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt