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Ich renne sehr schnell durch die dunklen Gassen. Das Atmen fällt mir nach jedem Schritt immer schwerer und geht nur noch stoßweise. Hinter mir sind drei meiner Klassenkameraden dicht auf den Fersen, die auf mich eine Hetzjagd veranstalten.

"Bleib stehen, du scheiß Schwuchtel!", schreit einer von ihnen.

Nein, das werde ich bestimmt nicht tun, denn wenn ich stehen bleibe, werde ich nur wieder zusammengeschlagen. Das ist leider zur wöchentlichen Routine geworden, seit unfreiwillig bekannt gegeben worden ist, dass ich auf Männer stehe. Normalerweise bin ich ein unscheinbarer Junge. Sozusagen unsichtbar für alle. Ich bin für meine 17 Jahre recht klein. Meine Größe beträgt gerade mal 160 cm. Damit könnte ich mich echt mit Levi Ackermann aus Attack on Titan messen.

Hätte ich damals nur nicht den Fehler gemacht, mein Hausaufgabenheft im Klassenraum offen liegen zu lassen. Damals war ich in einen meiner Klassenkameraden verliebt und hatte in mein Heft viele Herzchen mit seinem Namen gezeichnet. Nachdem er einmal zufälligerweise einen Blick darauf geworfen hatte, als ich unaufmerksam war, heizte er seitdem seine Freunde gegen mich auf. Mit Erfolg. Sie tun alles was er sagt. Sie sind wie Hirnlose Marionetten!

Inzwischen ist meine Zuneigung zu ihm stark abgekühlt und hat einem starken Gefühl des Hasses gegen ihn und seine Gruppe Platz gemacht. Gleiches gilt für die anderen, die nur zuschauen und sich darüber lustig machen.

Nun renne ich vor ihnen weg und merke, wie meine Kondition immer mehr nachlässt. Plötzlich spüre ich einen Ruck nach hinten. Ich werde von hinten gegriffen und auf den Boden geschmissen.

"Na? Jetzt rennst du nicht mehr weg mit deinen kurzen Beinen", grölt einer, und die anderen lachen lautstark. Als wären die Worte ein Startzeichen gewesen, treten sie auf mich ein.

Mit Händen und Füßen versuche ich ihre Tritte abzuwehren. "Bitte kann mir einer helfen? Ich brauche Hilfe", denke ich verzweifelt. Die Tränen fließen unaufhaltsam meine Wangen hinunter. Doch die Hilfe, die ich im Moment sehr gebraucht hätte, ist leider nicht gekommen. Warum auch? Für ein Stück Dreck wie mich? Niemals...

Meine Welt verhüllt sich in angenehme Dunkelheit, und ich spüre und höre nichts mehr.

Die Dunkelheit weicht dem Licht, und das nächste, was ich höre, ist: 'piep, piep, piep.'

Verwirrt öffne ich schwerfällig meine Augen. Das Erste, was ich sehe, ist eine weiße Bettdecke, weiße Wände und weiße Möbel. Ich liege wohl im Krankenhaus. Mal wieder bin ich hier, seufze ich gedanklich. Das kann nicht mehr so weitergehen. Was kann ich nur tun? Ich möchte, dass das Leiden ein Ende hat.

Ich stehe vom Krankenbett auf und verlasse den Raum. Schnell renne ich zum Dach des Gebäudes. Komischerweise ist die Tür nicht abgeschlossen, sodass ich ganz einfach die Dachterrasse betreten kann. Unterwegs haben die Krankenschwestern versucht, mich aufzuhalten. Aber ich konnte sie nach ein paar Abzweigungen abschütteln.

Ich gehe zum Rand der Dachterrasse, steige über das Gitter. Mit beiden Händen halte ich mich fest und starre in den Abgrund. Tränen steigen mir in die Augen, und der Wind peitscht mir unnachgiebig ins Gesicht. Ich brauche jetzt nur noch loszulassen, dann wäre alles vorbei. Nichts hält mich hier. Nur Schmerz und Hass.

Gerade wollte ich meinen Griff lockern, als mich unerwartet von hinten zwei starke Arme festhalten. "Spring nicht", höre ich hinter mir eine dunkle Stimme sagen.

"Warum nicht? Es gibt nichts, was mich hier hält."

"Doch, lass mich dein Grund sein."

"Ich kenne dich nicht."

"Dann lern mich kennen."

"Du wirst mich hassen."

"Nein, werde ich nicht."

"Aber mich schon bald wieder alleine lassen. Das tun alle..."

"Ich bin nicht alle. Ich werde immer bei dir sein und dich vor allem beschützen. Egal, was kommen mag."

Hoffnung macht sich in mir breit. Ich glaube ihm nicht ganz, aber ein Versuch ist es wert. Vorsichtig klettere ich wieder auf die sichere Seite und sehe zu dem Mann auf.

Sekundenlang starre ich in die dunkelbraunen Augen des Mannes, der mich nun an der Schulter packt und zur Krankenschwester bringt. Die Krankenschwester nimmt mich mit einem missbilligenden Blick in Empfang, und ich werde erneut untersucht und verkabelt. Kurz darauf liege ich in dem weißen Bett und starre mit leeren Augen an die Decke.

Bis die Tür aufgeht, und der Mann, der mein bescheuertes Leben gerettet hat, das Zimmer betritt. Er setzt sich neben mein Bett und sieht mich mit einem lächeln an. Warum lächelt er so? Was will er eigentlich von mir? Seine Worte waren bestimmt Lügen gewesen. Er wollte bestimmt nicht an meinem Tod Schuld gewesen sein, indem er mich springen gelassen hätte.

Unbemerkt laufen mir die Tränen wieder die Wangen herunter. Ich bemerke es erst, als mir die Tränen mit dem Daumen des Mannes weggewischt werden.

Ich versuche mich zu beruhigen, doch es klappt nicht. Es kommen immer mehr. Der Mann zieht mich daraufhin in eine tröstende Umarmung.

"Es ist okay, wein ruhig, lass es raus", flüstert er mir leise ins Ohr.

All das, was sich aufgestaut hatte, strömt wie ein Sturzbach aus mir heraus. Ich kralle mich in seinem Hemd fest und verstecke mein Gesicht an seiner Brust.

Auch wenn er mir fremd ist, tut die Umarmung dennoch gut. Nach und nach beruhige ich mich wieder, und sobald meine Tränen versiegt sind, löse ich mich aus der Umarmung.

"Es tut mir leid", murmel ich und neige meinen Kopf verlegen zur Seite. Er hebt mein Kinn mit zwei Fingern sanft an.

"Das muss dir nicht leid tun. Ich bin für dich da." Er lächelt mir beruhigend zu.

"Aber du kannst dich gerne bei mir entschädigen, dass mein Hemd jetzt nass ist, indem du mir verrätst, wie du heißt", zwinkert mir der Mann mit einem Auge zu. "Jimin."
"Jimin. Ein schöner Name, genauso wie du. Ich heiße Jungkook."

Soul Eater - JikookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt