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Mit weit aufgerissenen Augen drehte ich mich überrascht zur Seite und erkannte den Typen, den ich bereits vor der Haustür meiner Eltern gesehen hatte. Seine schwarzen Haare fielen gestylt zur Seite. Von nahem erkannte ich dieses tiefe grün in seinen sonst dunkelbraunen Augen. Ich fixierte mich so darauf, ihn neugierig anzustarren, dass er amüsiert darüber begann zu grinsen. Kleine Grübchen entstanden auf seinen Wangen. Mir stieg vor lauter Peinlichkeit die Röte ins Gesicht.

“Also - äh, nein!”, stammelte ich, da ich zuerst nicht zugeben wollte, Don überhaupt entdeckt zu haben. Doch sicher wusste er es. Lügen würde also nichts bringen. “Beobachten kann man es nicht nennen. Ich habe ihn lediglich gesehen.”

Er drehte sein Gesicht in die Richtung, in der Don zuvor mit der Frau stand. Dabei zündete er sich eine Zigarette an. Ich beobachtete seine Gesichtszüge und entdeckte eine kleine Narbe unter seinen Lippen. Er atmete den Rauch sanft aus. Sein Blick richtete sich wieder mir zu.

“Und - was genau hast du gesehen?”

“Warum fragst du?” 

“Warum stellst du eine Gegenfrage?”

“Weil ich es kann”, erwiderte ich ihm, da lachte er amüsiert und lehnte seinen Arm auf die Kante der Pick-up Ladefläche. Ich sah herab zu der Hand, mit der er die Zigarette hielt und erkannte mehrere Tattoos auf seinem Handrücken. Fein gezogene Linien, die kein richtiges Gesamtbild ergaben. Chaos herrschte in dieser schwarzen Tinte auf seiner Haut.

“Du scheinst vieles zu können, dafür, dass du im Grunde gar nichts kannst.” Irrtiert hob ich mein Gesicht, um erneut seine Augen zu fokussieren. Er wich mir allerdings aus und lehnte sich mit dem Rücken zu mir, wodurch er mir den Ausblick auf sein Gesicht verwehrte. Der Rauch seiner Zigarette wehte über seine Schulter zu mir. Ich rümpfte meine Nase und erschrak, als Zara plötzlich neben mir auftauchte. 

“Dein Wasser”, meinte sie und reichte es mir, um anschließend auf die Ladefläche zu hüpfen. Sie konzentrierte sich weiter auf den Film, während ich mich unauffällig an den Namenlosen wandte.

“Woher willst du wissen, was ich kann - und was nicht?”, fragte ich so laut, dass er mich ganz genau verstand und doch so leise, dass Zara es nicht wahrnahm.

Flüchtig drehte er sich noch mal zu mir, um gleichzeitig seine Zigarette zu Boden fallen zu lassen. Er drückte sie mit der Sohle seiner schwarzen Sneaker aus, um anschließend einen kalten Ausdruck aufzulegen.

“Weil du nicht die Einzige bist, die Menschen beobachtet. Nur ist dein Beobachter der, welcher bestimmt, wie weit du gehen kannst.” Mit leicht geöffneten Lippen starrte ich ihn an. Dann kehrte er mir den Rücken zu und verschwand den Pick-up entlang nach hinten zu anderen Autos. Schon bald wich er mit seiner schwarzen Kleidung aus meinem Sichtfeld und hinterließ nur Fragen in meinem Verstand.

Unsicher wandte ich meinen Blick wieder nach vorne auf die Leinwand. Schreie ertönten aus den Autoradios und Zara neben mir erschrak vor einer Szene, die im Film passierte. Ich tat so, als würde ich mich wie alle anderen auf den Film konzentrieren und saugte gleichzeitig an dem Strohhalm meines Wassers. Dabei musterte ich unauffällig meine Umgebung. Mir fiel erst nach seinen Worten auf, dass ich mich wirklich beobachtet fühlte. Ein eiskalter Schauer kroch meine Wirbelsäule hinauf bis in meine Kehle. Schwer schluckend spähte ich in alle Richtungen. In diesem Moment bekam ich das absurde Gefühl, jeder hier würde nur mich anstarren. Als würde ich in einem beleuchteten Glaskasten sitzen, der einzig von Finsternis umgeben war.

“Ich muss auf die Toilette”, brachte ich überfordert hervor. Zara nickte, während ich bereits aufstand und meinen Becher auf der Ladefläche platzierte. Ganz langsam lief ich über den unebenen Boden, der aus feuchter Erde und wenigen Grashalmen bestand. Nach zwei Autoreihen blieb ich genau vor einem roten Wagen stehen. Nicht das knutschende Pärchen darin forderte meine Aufmerksamkeit, sondern die Gewissheit, dass sich jemand neben mir befand. Ich spürte es. Spürte seine Anwesenheit bis tief in meine Knochen. Meine Füße bewegten sich nicht mehr und obwohl ich schon immer der Überzeugung war, loszurennen, sobald mir Gefahr drohte, so wurde ich eines besseren belehrt. 

Sweet Home Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt