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Zitternd starrte ich mit angehaltenem Atem zu dem Brief in meiner Hand herab. Der Regen prasselte unaufhörlich auf meinen Körper. Er durchnässte mich ohne Gnade, während der Wind mir meine Haare vors Gesicht wehte. 

Nichts um mich herum nahm ich noch wahr. Es fühlte sich wie eine zweite Realität an, in der es nur mich, meine Angst und diese auf ein Blatt geschriebenen Drohungen gab. Ich fühlte mich nicht mehr im Stande dazu, auch nur die kleinste Bewegung zu machen. Erstarrt verharrte ich in meiner Position und ließ den Brief dabei nicht eine Sekunde aus den Augen, in dessen Zeilen mir mit dem Tod gedroht wurde. 

“Riley?” Nicht einmal Jace Stimme schaffte es, mich zurückzuholen. Sekunden vergingen wie Jahre. Die Kälte zog bis in meine Knochen. Brachte meine Muskeln zum Beben. Ich wusste, dass es das Beste gewesen wäre, endlich jemandem von diesen Briefen zu erzählen. Vielleicht sollte ich sie auch alle weg schmeißen oder verbrennen. Doch ich tat beides nicht. Stattdessen steckte ich den Brief schnell wieder in meinen Mantel und holte mit dem Rücken zu Jace gewandt tief Luft. Meine Lungen brannten. Mein Herz schmerzte. Hektisch verbannte ich den geschockten Ausdruck auf meinem Gesicht, um mich langsam umzudrehen.

Jace fuhr sich mit der Hand durch seine nassen, schwarzen Haare, um mich anschließend skeptisch zu inspizieren. Seine grünen Augen trafen auf meine. Er hielt meinen Blick gefangen, während er durch den Regen in langsamen Bewegungen auf mich zukam. Ich legte meinen Kopf in den Nacken, um weiterhin seinem Blick stand zu halten.

“Was ist los?”, fragte er irritiert. Danach löste er seine Augen von mir und sah sich um. Da er niemanden in unserer Nähe erkennen konnte, runzelte er seine Stirn. Sicher sah ich aus, als hätte ich einen Geist gesehen. Das hatte ich auch. Jeder einzelne Brief glich einem Dämon. Ich konnte meinen Schatten nicht sehen, doch er umgab mich. Er setzte sich auf meinen Schultern fest. Umarmte mich und hatte nicht vor, mich je wieder loszulassen. Mit aller Macht riss ich mich zusammen und zwang mir ein gespieltes Lächeln auf. 

“Nichts. Mir ist kalt und ich will endlich nach Hause. Also erzähl schon, was du weißt, damit ich gehen kann.”

Jace blickte zu mir herab. Dabei wirkte er, als würde er sich unendlich viele Gedanken machen. Sein Schweigen darauf offenbarte mir, dass ich Recht behielt. Er fragte sich sicher, wieso ich mich so seltsam verhielt. Ich setzte also nach, um von mir abzulenken.

“Ich warte und habe nicht ewig Zeit.” Ich wich seinem Blick nach meinen Worten aus und erkundete ebenfalls die Umgebung. Ein älteres Pärchen trat aus dem Restaurant. Sie teilten sich einen gelben Regenschirm und unterhielten sich amüsiert. 

“Sie hatte keine Feinde”, hörte ich endlich Jace, der nachdenklich in den regnerischen Himmel sah. “Zumindest niemanden, der ihr so etwas antun würde. Die meiste Zeit verbrachte sie auf ihrer Arbeit. Das Büro, welches zum Autohaus gehört. Ihr Chef starb vor kurzem. Ein Schlaganfall.”

“Meinst du, sie sollte den Posten übernehmen und einer ihrer Kollegen war es?”

“Nein”, erwiderte er mir sofort, ohne auch nur darüber nachzudenken. “Ihre Kollegen haben sie alle geschätzt. Außerdem hat jemand anders den Posten bekommen.”

“Also fällt die Arbeit weg”, murmelte ich und nahm meine Nase nachdenklich zwischen meine Finger. Ich rieb über meinen Nasenrücken, was Jace zum Grinsen brachte. Sofort nahm ich meine Hand wieder runter. “Was ist mit ihren Eltern? Familie?”

“Ihre Eltern leben nicht mehr hier. Sonst hat sie keine Familie.”

“Gab es einen Freund? Exfreund?” Er lachte kurz auf, wobei ich trotzdem die Trauer in seinen Augen erkennen konnte. Sie saß tief verankert in ihm.

“Sie hat sich nicht für Männer interessiert. Sie waren ihr alle zu weich und sie hat immer auf den Mann gewartet, der sie im Sturm erobern würde.”

Sweet Home Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt