Kapitel 6

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für @leselein

KAPITEL 6 - ANGST

Hayes

Als Dawson mit dem Rettungswagen abtransportiert wurde, wurde mein Zittern schwächer, hörte jedoch nicht auf.
„Das ist alles deine Schuld!" Colter packte mich und schüttelte mich, doch sofort zog ein Polizist ihn von mir weg. Auch Daniel kam zu uns.
„Es ist einzig und allein die Schuld von dem alkoholisierten Fahrer. Bleibt bitte ruhig, ich will dich nicht festnehmen müssen, Colter." Daniel zeigte mit dem Finger auf ihn, dann drehte er sich zu mir.
„Komm, ich fahr dich ins Krankenhaus." Daniel legte einen Arm um mich.
Schnell nahm ich vom Boden Dawsons Tasche und lief mit Daniel zu seinem Streifenwagen.
Gott, wie oft ich schon in so einem Wagen mitfahren musste.

Im Krankenhaus sagte man uns, dass Dawson operiert wurde. In der Notaufnahme wurde meine kleine Platzwunde behandelt.
„Callie sage ich lieber erst mal nichts davon", erwiderte ich zu Daniel.
„Sie wird es so oder so erfahren." Daniel zeigte auf meine Stirn.
„Aber nicht heute. Du weißt ganz genau, warum", knurrte ich.
Mein Schwager nickte betroffen.
„Es war auch mein Baby", flüsterte er dann und setzte sich neben mich auf das Krankenbett.
„Ich weiß. Aber bei dir sieht es so aus, als würdest du nicht trauern. Callie ist fix und fertig. Schon allein dieses dämliche Barbecue hat sie an ihre Grenzen gebracht."
„Judy hat es nur gut gemeint. Und wenigstens hat es keiner erwähnt." Daniel seufzte.
„Und es macht mich fertig, Hayes. Mehr als du denkst. Nur wenn ich für deine Schwester nicht stark bleibe, dann-" Er verstummte.
„Es war das dritte Baby", flüsterte er und ballte seine Hände zu Fäusten.
„Vielleicht solltet ihr es anders versuchen. Adoption oder künstliche Befruchtung oder sowas. Ich kenne mich damit nicht aus."
Mein Schwager nickte.

„Okay, Themenwechsel: du und Dawson? Was läuft da?"
Leicht lachte ich und schüttelte meinen Kopf.
„Da läuft nichts. Ich habe ihn am Strand getroffen, habe diesem Schlumpf bei der jungen Frau geholfen und saß einige Zeit neben ihm."
Doch wenn ich ehrlich sein sollte, fand ich ihn anziehend- auf eine unbekannte Art und Weise. Noch nie hatte ich so etwas gefühlt. Wahrscheinlich bildete ich mir das Ganze nur ein, weil Dawson so abweisend zu mir war. Das war ich einfach nicht gewohnt. Ich bekam immer das, was ich wollte.
„Aber weißt du, ob er auf Männer steht?"
Daniel lachte und schüttelte seinen Kopf.
„Da kann ich dir nicht weiterhelfen", antwortete er.
„Und warum redet er nicht mehr? Und seit wann?", fragte ich weiter.
„Den Grund darf ich dir nicht sagen, aber ich glaube das müssten bald so um die zehn Jahre sein. Genau weiß ich das nicht mehr." Daniel stand auf und lächelte mich an.
„Tu' ihm nur nicht weh, er hat genug erlebt und seine Eltern sind auch nicht gerade die Besten. Ryan hat sich auch komplett verändert. Sie waren immer ein Team- seit ich Dawson kenne. Und jetzt erkennt man ihn kaum wieder. Dawson hat nur noch Colter, der ihn so mag, wie er ist." Daniel schüttelte seufzend den Kopf.

Dass sein Vater nicht der Netteste war, hatte ich bei diesem Barbecue ja erlebt. Der Mann war mir von der ersten Minute an unsympathisch gewesen. Auch der Bruder kam mir sehr arrogant vor. Heiß, aber arrogant. Wahrscheinlich dachte Ryan, weil er in Yale studierte wäre er etwas Besseres.

Als Daniel verschwunden war, brachte mich das Warten fast um. Keiner konnte mir sagen, wie es Dawson ging, weil er noch immer im OP war. Als der Schlumpf und Pinky zu mir kamen, sagte er so viele Flüche und Schimpfwörter zu mir, dass mein Hirn abschaltete.
„Hör zu", fing ich an, als er fertig war, „es war nicht meine Schuld, okay?", fing ich ruhig an.
„Nicht deine Schuld?", fuhr er mich an.
„Nicht deine Schuld?!", wiederholte er.
Ehe ich reagieren konnte, schlug er schon mit der Faust in mein Gesicht.
„Wärst du nicht aufgetaucht, würden wir jetzt immer noch am Strand liegen!"
Ich hielt mir meine blutende Nase, als ein Arzt und eine Schwester kamen.
„Beruhigen Sie sich, sonst muss ich Sie des Krankenhauses verweisen", sagte der Arzt.
Die Schwester nahm mich wieder mit in ein Behandlungszimmer und gab mir einige Tücher.
Dr Stormwater betrat den Raum.
„Hayes, Hayes, Hayes. Was mach ich nur mit dir?"
„Er ist wütend." Schulterzuckend sah ich ihn an.
„Wissen Sie schon etwas Neues?", fragte ich dann leiser.
„Hayes, wie oft soll ich dir noch sagen, dass du mich duzen kannst? Du bist ein guter Freund von meinem Bruder, also nenne mich endlich Charlie."
Charlie nahm mir die Tücher unter der Nase weg und sah es sich an.
„Hm, gebrochen ist sie diesmal nicht. Du hast Glück gehabt."
Leicht lachte ich. Wenigstens etwas.
„Wie geht es Atlas?", fragte ich.
„Ganz gut. Wir haben vor zwei Tagen geschrieben. Es ist immer noch so unreal. Jetzt hab ich zwei Brüder in zwei verschiedenen Kriegsgebieten stationiert." Charlie schüttelte seinen Kopf.
„Das muss schlimm sein", sagte ich leise.
Atlas war an meinen schlimmsten Tagen immer bei mir gewesen. Ich sollte ihm später eine Nachricht schicken.
„Das ist es. Cillian ist Polizist... die drei sind doch lebensmüde", sagte er kopfschüttelnd.
„Naja, immerhin kannst du sie dann zusammenflicken", erwiderte ich.
Charlie sah mich stumm an.
Okay, das war vielleicht etwas unsensibel gewesen.
„Und ist dieser Dawson dein Freund?"
Ich schüttelte meinen Kopf.
„Nein, wir haben uns gestern bei einem unfreiwilligen Barbecue von seinen Eltern kennengelernt. Daniel und Callie haben mich mitgenommen. Aber er ist echt ziemlich süß", grinste ich.
„Hm, brich ihm nicht das Herz. Ich kenne Dawson nicht so gut, aber er wurde in meiner Studienzeit hier oft eingeliefert. Er ist sensibel und stumm. Spiel nicht mit ihm. Er tut einen auf stark, das ist er aber nicht."
Mit einem Nicken gab ich zu verstehen, dass ich es verstanden hatte.
Charlies Pager piepte. Kurz klopfte er mir auf meine Schulter und verschwand.
Jetzt, da ich wieder alleine war, dachte ich wieder an Dawson. An seine wilden blonden Haare und diese strahlend blauen Augen. Seine Piercings und Tattoos. Gott, ich würde alles dafür geben, diese Lippen auf meinen zu spüren. Wie sich die heißen Küsse mit dem Lippenpiercing anfühlen würden. Außerdem war ich der Meinung, gestern beim Essen einen Zungenpiercing gesehen zu haben. Noch nie hatte ich jemanden mit Zungenpiering geküsst. Gott, das war bestimmt heiß!
Seufzend verließ ich das Zimmer und erkundigte mich nach Dawson. Die Frau erzählte mir, dass er aus dem OP raus war und es gut überstanden hatte. Außerdem gab sie mir die Zimmernummer, doch wenn ich ehrlich sein sollte, hatte ich verdammt große Angst zu ihm zu gehen.
Angst.
Als ich das letzte Mal Angst verspürte, lag ich im sterben.
Doch jetzt hatte ich Angst um einen Mann, den ich im Grunde gar nicht kannte.

HOPE | manxmanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt