Kapitel 9

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KAPITEL 9 - HOPE

Dawson

Jonah drückte mich so hart auf den Boden, dass ich schrie. Doch sofort legte er mir seine große Hand über meinen Mund.
„Halt die Klappe!", zischte er.
Seine Hand wanderte von meinem Mund zu meiner Kehle.
„Weißt du, ich habe gelesen, dass es angeblich einen Griff gibt, der keine Hämatome am Hals hinterlässt, wenn man jemanden erwürgt."
Grinsend sah er mich an. In seinen Augen blitzte die Gier und das Verlangen mir Schmerzen zuzufügen. Jonah umfasste meinen Hals und drückte zu. Tränen rannten mir über mein Gesicht. Was hatte ich getan, dass er mich plötzlich so sehr hasste?
„Jungs! Ich bin wieder da!"
Als Jonah die Stimme unseres Vaters hörte, knurrte er und ließ widerwillig von meiner Kehle ab.
„Wir sind noch nicht fertig!", zischte er mit seiner bedrohlichen Stimme, die nur ich zu hören bekam, dann stand er auf und verließ mein Zimmer.
Kurze Zeit später hörte ich Dad und ihn lachen. Und ich? Ich kugelte mich zusammen und weinte stumm.

Als mein iPhone klingelte, zuckte ich zusammen und war sofort putzmunter.
Wer auch immer das war- danke!
Als ich auf das Display sah, verdrehte ich meine Augen.
Hayes.
Es war ein Fehler gewesen, meiner Mutter das Okay zu geben, Hayes meine Nummer zu geben. Die ganze Zeit schrieb er und wartete auf eine Antwort, doch ich antwortete nicht. Seit zwei Tagen hatte er meine Nummer, doch noch kein einziges Mal hatte ich geantwortet. Warum genau, wusste ich allerdings nicht so recht. Wenn ich an Hayes dachte, verspürte ich eine leichte Nervosität und Angst. Diese Gefühle waren mir neu, denn es waren Gefühle auf die gute Art. Aufregung.

Ich habe keine Ahnung, warum du deiner Mutter erlaubt hast, mir deine Daten zu geben, wenn du nicht zurück schreibst. Egal. Ich hatte gerade geilen Sex in deiner Nähe und bin in zehn Minuten da. Du kannst mich nicht ewig ignorieren.

Innerlich weinte ich und drehte mich auf den Bauch, doch das war ein Fehler, weshalb ich mich sofort zurück auf den Rücken drehte. Meine Operationsnarbe schmerzte doch noch mehr, als ich gedacht hatte.
Seufzend sperrte ich mein iPhone und sah an meine weiße Decke.
Dann stellte ich mir unfreiwillig Hayes mit einem anderen Mann vor und verkrampfte mich. Warum störte mich das? Er konnte tun und lassen, was er wollte!

Tatsächlich klingelte es nach zehn Minuten an der Tür. Ich hörte Colter wütend aufspringen und durch sein Zimmer laufen, dann brüllte er auch gleich los:
„Gehts noch?! Es ist mitten in der Nacht! Was tust du hier?! Soll ich dir deine Nase brechen? Du weckst Dawson auf!"
Spätestens nach Colters wütendem Gebrüll wäre ich sowieso wach gewesen. Er meinte es nur gut, das wusste ich. Also stand ich auf, verließ mein Zimmer und ging zur Haustür.
„Erstens, hat er nicht geschlafen, zweitens, wenn er geschlafen hätte, wäre er spätestens jetzt wach geworden. Und zwar durch dein kindisches Geschrei."
Hayes' Stimme klang lässig.
Vorsichtig legte ich meine rechte Hand auf Colters nackte Schulter. Kurz zuckte er zusammen und bekam eine Gänsehaut, drehte sich zu mir um und sah mich entschuldigend an.
„Waren wir wieder zu laut?", fragte er und sah mich mit schuldgetränkten Kulleraugen an.
Leicht schüttelte ich meinen Kopf.
„Was ist denn los?"
Faye kam verschlafen zu uns. Sie trug nur ein Shirt von Colter.
„Nichts, geh wieder ins Bett. Es tut mir leid."
Colter ging zu ihr und vergaß sofort alles um sich herum.
Es war schön zu sehen, dass es endlich ein Mädel gab, wo er abschalten und trotzdem er selbst sein konnte. Die Meisten wurden von seiner Persönlichkeit immer abgeschreckt, doch Faye nicht.
Faye blieb.
„Ich geh nur zurück ins Bett, wenn du mit kommst." Faye zog Colter an seiner Boxershorts zu sich.
„Ich komme gleich nach, versprochen. Ich muss nur noch etwas mit diesem Arsch klären."
Faye nickte und gab ihm einen verlangenden Kuss. Colter seufzte, gesinnte sich dann doch recht schnell wieder und wurde ernst. Er ging zu Hayes und presste ihn an den Türrahmen.
Wow, okay, eine neue Seite von Colter.
„Hör zu, du kleines Arschloch: ich weiß nicht, was du vor hast, doch solltest du Dawson in irgendeiner Form verletzen, lebst du danach nicht mehr lange. Die Hure kannst du woanders spielen, Dawson wird darauf nicht reinfallen. Verletzt du ihn, verletze ich dich. Und dann wird es nicht nur ein Schlag in deine beschissene Visage."
Noch einmal drückte Colter Hayes fest gegen den Türrahmen.
„Und weckst du noch einmal meine Freundin, lebst du ebenfalls nicht mehr lange! Denn diese Frau ist unersättlich!"
Colter ließ von ihm ab. Vor mir blieb mein bester Freund stehen.
„Wenn etwas ist, du weißt, was du machen musst, damit ich sofort komme und ihn raus schmeiße." Mit etwas sanfterer Mine sah Colter mich an und ich nickte.
Dann schnaufte er und sah in Richtung seines Schlafzimmers.
„Toll, jetzt muss ich noch mal ran. Mir tut da unten schon alles weh", flüsterte er und lief mit gestrafften Schultern in sein Schlafzimmer.
Mein Blick glitt zu Hayes. Mit einem stummen Seufzer lief ich zurück in mein eigenes Schlafzimmer und legte mich zurück in mein Bett. Ich hörte die Haustür, dann folgten Schritte und Hayes betrat mein Schlafzimmer. Er schloss die Tür und lehnte sich dagegen, ließ mich jedoch nicht aus den Augen.
Wir hörten einen Knall, dann einen Schrei, gefolgt von einem lauten Stöhnen von Faye.
Gott, diese Frau war wirklich unersättlich!
Hayes grinste und kam zu mir, zog sich währenddessen sein T-Shirt aus.
Wow, war er schon die ganze Zeit so durchtrainiert?! Doch als er direkt vor mir stand und von meiner Nachttischlampe angestrahlt wurde, sah ich die ganzen Hämatome an seinem Oberkörper.
„Berufsrisiko", erwiderte er. Anscheinend hatte Hayes mein Blick deuten können.
„Gott sei Dank ist mein Kollege ab morgen wieder einsatzbereit. Noch eine Nacht im Club hätte ich nicht ausgehalten. Ständig diese Prügeleien. Da lobe ich mir meine Rundfahrten im Auto."
Fragend sah ich ihn an.
„Oh, ich arbeite bei einer Securityfirma. Die Einzige der Stadt, tatsächlich."
Wieder ein Stöhnen von nebenan.
Hayes lachte.
„Das hat er alles nur mir zu verdanken", grinste er und setzte sich.
„Ich.." Hayes verstummte.
Vorsichtig rutschte ich zur Seite und klopfte neben mich auf die Matratze. Leicht lächelte er und zog seine Schuhe und seine Jeanshose aus, legte sich zu mir.
„Danke. Wie geht es dir?"
Ich zuckte mit den Schultern und sah ihn an. Mir fiel ein Tattoo auf seiner Brust auf.
HOPE.
Ohne zu überlegen strich ich darüber. Hayes bekam eine Gänsehaut.
Hoffnung.
Hoffnung hatte ich schon lange nicht mehr. Tag für Tag lebte ich dahin, nachts plagten mich die Alpträume. Ich hatte die Hoffnung schon lange aufgeben, dass diese Träume enden würden. Jede Nacht das selbe: ich träumte von meiner Vergangenheit mit Jonah, wie er mich hasste und ich bis heute nicht wusste, warum.
„Weißt du, was es bedeutet?"
Ich sah in Hayes' grüne Augen.
„HOPE ist die Abkürzung für hold on, pain ends." Er atmete tief ein und aus.
„Es gab schwierige Zeiten in meinem Leben. Ohne Daniel und Callie wäre ich nicht mehr hier. Sie haben mir Hoffnung auf ein besseres Leben gegeben. Wenn ich die beiden sehe, habe ich Hoffnung. Hoffnung, dass der Schmerz endet. Er ist besser geworden, doch er ist nie ganz verschwunden. Der Schmerz sitzt tief in meinen Knochen."
Hayes seufzte und sah an die Decke.
„Du bist so anders, Dawson. Wieso kann ich bei dir nicht die Klappe halten?"
Wahrscheinlich lag es daran, dass ich nicht redete. Alle kamen immer zu mir. Mit ihren ganzen Problemen und Geheimnissen. Einfach weil ich zuhörte und sie nicht unterbrach. Daher wusste ich auch, dass mein Kollege seine Frau seit Monaten fremdging, oder Ähnliches.
Ich schloss meine Augen und atmete tief ein und aus.
„Tut es denn sehr weh? Deine Verletzungen, meine ich. Vielleicht hat Colter recht. Vielleicht war ich wirklich Schuld daran, dass du umgefahren wurdest."
Ich schnaubte. Nein, er war nicht Schuld. Wann würde das Thema endlich Geschichte sein?
„Du liest gerne, oder? Du würdest dich bestimmt gut mit meiner Schwester verstehen. Sie ist Autorin."
Interessiert drehte ich meinen Kopf und sah Hayes von der Seite an.
„Ach, jetzt bekomme ich deine Aufmerksamkeit?", fragte er lachend.
„Dann wird es dich freuen, dass sie ziemlich erfolgreich ist. Ich wette, du hast mindestens ein Buch von ihr."
Hayes stand auf und lief zu meinen Regalen. Selbst auf meinem Tisch lagen Bücher, unter meinem Bett und im Wohnzimmer. Colter hasste das Lesen, von ihm fand man in dieser Wohnung kein einziges Buch.
„Ha! Sag ich doch!" Hayes zog ein Buch aus meinem Regal und wedelte damit herum.
Das Buch erkannte ich sofort. Ich hatte es an nur einem Tag verschlungen, weil es so unfassbar gut und spannend war!
„Da staunst du, was? Endlich kann ich bei dir Punkten", grinste Hayes und stellte das Buch zurück in mein Regal.
Hayes legte sich zurück neben mich.
„Soll ich das Licht ausschalten?", vernahm ich seine Stimme, als ich schon einige Minuten meine Augen geschlossen hatte.
Leicht schüttelte ich meinen Kopf.
Ohne das Licht würde ich jetzt nicht mehr einschlafen können. Ja, ich hatte Angst vor der Dunkelheit. Obwohl ich wusste, dass Jonah mir nichts mehr anhaben konnte, blieb die Angst in mir.
Und das seit Jahren.
Er hatte mich zerstört und ich wusste nicht, ob ich mich jemals wieder vollständig davon erholen würde.
Mit Sicherheit kam er irgendwann aus der Psychiatrie raus.
Was würde dann passieren?
Würde er es zu Ende bringen wollen?
Würde er sich an Ryan rächen wollen, weil er ihn damals gestoppt hatte?
Wie würde es verdammt noch mal weitergehen?!
Tief atmete ich ein und aus. Ich durfte mich nicht verrückt machen. Jonah war nicht hier!
Dann erinnerte ich mich an Hayes' Tattoo: hope.

HOPE | manxmanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt