Prolog

19 0 0
                                    


Lexi war aufgewachsen wie alle anderen Hybriden, mit denen sie ihr Klassenzimmer und ihren Wohnbereich teilte: Von Geburt an von verschiedenen Erzieherinnen erzogen und dann im firmeneigenen Kindergarten herangewachsen, bevor man sie schließlich auf die ebenso zur Firma gehörende Schule geschickt hatte. Sie hatte sogar noch das Foto ihres ersten Schultags auf ihrem Zimmer – sie selbst mit Zahnlücke, verwuschelten Haaren und breitem Grinsen, gekleidet in die traditionelle (und leicht zerknautschte) Campus-Schuluniform mit Hemd, Krawatte und Rock, vor dem steril weißen Hintergrund der gesicherten Anlagen, in denen sie ihr ganzes Leben verbracht hatte.

Das war normal gewesen. Sie hatte kein schlechtes Leben gehabt und auch nichts anderes gekannt. Sie war Hybrid. So war das eben.


Jetzt, zehn Jahre später, war aus Lexi ein adretter Teenager geworden. Immer noch in Uniform, aber nun mit sauber frisierten, schulterlangen schwarzen Haaren und lila gefärbter Strähne. Sie war stolz darauf, ein ordentliches Mädchen zu sein – pünktlich, gewissenhaft, fleißig und zuvorkommend. Die Uniform immer gut sitzend, die Krawatte korrekt gebunden, höflich zu den Lehrern und freundlich zu ihren Mitschülern.

Und das hatte nicht nur selbstlose Gründe, denn ihr sechzehnter Geburtstag lag nun eine gute Woche zurück. Das bedeutete, dass sie eine Chance hatte, die Außenwelt kennen zu lernen.


In Block B herrschte wie immer geschäftiges Treiben. Hybriden der Kategorie B waren die häufigste Kategorie, was bedeutete, dass er auch der größte Block war. Schülerinnen und Schüler bewegten sich geordnet durch die weißen Gänge und achteten kaum auf Lexi, die auf direktem Weg zu ihrer Klasse unterwegs war. Sonne schien durch die Glaswände ins Innere und beleuchtete die freundlich gestalteten Pausenecken mit ihren ausgestellten Basteleien und Topfpflanzen. Letztere waren natürlich nicht echt, aber sahen trotzdem hübsch aus. Jemand führte gerade eine Klasse Sechsjähriger in Richtung Sporthalle. Die Bildschirme in der Aula zeigten Außentemperaturen und die neuesten Nachrichten aus der Welt an. Sie achtete nicht darauf und ging daran vorbei.

Lexi stieg die Treppen nach oben und ging weiter, bis sie Klassenzimmer 6 erreicht hatte. Wie immer gehörte sie zu den Ersten, setzte sich an ihren Schreibtisch und legte das Tablet säuberlich bereit.


„Hi Lexi."

„Hi Noah."

Am Tisch neben ihr saß bereits ihr bester Freund, früher als gewohnt. Im Gegensatz zu ihr war seine Uniform jedoch zerknittert, seine Krawatte hing nur lose über seinen Schultern und seine Haare sahen aus, als hätten sie noch nie einen Kamm gesehen. Er selbst lungerte am Tisch und scrollte sich träge durch einen Artikel auf seinemTablet.

„Gibt's was Neues?"

Er hob die Schultern. „Die Niederlande liegen jetzt zu einem Drittel unter Wasser."

„Oh shit, ernsthaft?"

„Ja, offenbar ist der Damm gebrochen."

„Ach du scheiße, wann denn?"

„Gestern Abend, offenbar." Er scrollte weiter. „Oh, und der Wahlkampf hat begonnen."

Lexi seufzte. „Als wäre das alles nicht inzwischen nur noch eine Farce."

„Schöne neue Welt." Er legte sein Tablet hin. „Ach ja, hast du die Studie gelesen, die uns der Williams gegeben hat?"

„Ja, aber ich hab noch nicht mit der Zusammenfassung begonnen, ich sitz noch an Mathematik."

Die anderen Schüler trudelten langsam ein. Insgesamt gab es zehn Schüler in Klassenzimmer 6 und jeden davon kannte Lexi schon seit der ersten Klasse. Außer Noah und ihr selbst gab es noch Jenny, Jayden, Connor, Kat, Arthur, Kimmy, Nick und Lily. Eine Gruppe Hybriden, die sie so gut kannte als wären sie ihre Geschwister. Oft wurden sie sogar so genannt, obwohl jeder wusste, dass Hybriden nicht wirklich Geschwister haben konnten. Aber es war ein netter Gedanke.


Lexi war jedenfalls nicht die einzige, die gespannt war. Auch Kat, Nick und Lily schienen wie auf glühenden Kohlen zu sitzen, als sie alle auf ihren Plätzen waren und Professor Hammond das Klassenzimmer betrat. Fast als wären sie alle wieder sieben Jahre alt und es war der Tag vor Weihnachten. Es war auch schwierig, geduldig zu bleiben, als Hammond eine völlig gewöhnliche Physikstunde hielt, aber Lexi biss die Zähne zusammen. Sie hatte die letzten Wochen durchgehalten, sie hielt auch eine Stunde noch durch. Aber dann, am Ende, endlich, endlich ...

„Eine Sache noch", sagte Hammond, als er seinen Vortrag beendete und sich wieder an den Lehrertisch setzte. „Einige von euch haben Anträge für Zivilaufenthalte gestellt."

Zehn Schüler richteten sich in ihren Sitzen auf und blickten dem Professor entgegen.

„Wie es aussieht, waren das ..." Er räusperte sich und scrollte durch etwas an seinem Tablet. „... Katerina, Nicolas, Liliana uuuund ... Alexandra." Er blickte auf und genoss sichtlich die gespannte Erwartung im Raum. „Ich freue mich euch mitteilen zu können, dass sie alle genehmigt wurden. Kommende Ferien dürft ihr alle in der Außenwelt verbringen."


Selbst Lexi konnte nicht anders, als ihrer Freude durch lautes Quietschen Ausdruck zu verleihen.

Freiheit!

Und plötzlich rückte die ganze Welt in greifbare Nähe.

Lexi, Jo & FreiheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt