X - Prom Night

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I


Lexi war schon gute fünf Stunden vor dem Einlass vor lauter Nervosität am Zittern. Sie hatte sich eine Checkliste geschrieben, um bloß nichts zu vergessen, und ackerte sie gefühlt alle fünf Minuten noch einmal durch. Augenbrauen gezupft? Check. Beine und Achseln rasiert? Check. Die richtige Unterwäsche? Check. Die Nägel nochmal säuberlich lackiert? Check.


Die Zeit wollte und wollte nicht vergehen und raste dennoch an ihr vorbei wie ein Güterzug. Sie duschte dreimal hintereinander. Dann ließ sie sich die Frisur von Lily machen und half ihr ebenfalls im Gegenzug mit ihrer. Kat dagegen musste eine nicht unbeträchtliche Menge Haargel benutzen, da durch ihre eigene Nervosität die Elektrostatik völlig außer Rand und Band geriet und ihre Haare kreuz und quer vom Kopf abstehen ließ. Beim Versuch, ihr zu helfen, holte sich Lexi auch zweimal einen ordentlichen Schlag, der ihre Finger kurz taub werden ließ. Sie schüttelte ihre Hand aus und trat einen Schritt zurück.

„Aua."

„Sorry, Lexi! Tut mir leid! Ich mach das nicht mit Absicht!"

„Es wird stärker", gab Lexi zurück und ballte ihre Hand mehrmals hintereinander zur Faust. „Wenn das so weitergeht, werden sie dich bald in Block A übersiedeln."

„Vergiss es, ich hab ja nicht einmal Kontrolle darüber."

„Wie machst du das dann auf dem Ball?"

Kat zeigte auf zwei lange, glänzende Opernhandschuhe, die auf ihrem Bett lagen. „Handschuhe aus irgend so einem Kunststoff. Latex. Keine Ahnung", erklärte sie. „Die haben sie extra für mich hergestellt. Solange ich nicht zu eng tanze, sollte das isolieren."

Das klang ein wenig resigniert und Lexi fragte sich heimlich, wie Kat jemals eine körperliche Beziehung mit jemandem eingehen wollte. Hatte sie überhaupt eine Chance dazu? Musste ihr zukünftiger Partner schmerzunempfindlich sein oder rund um die Uhr Gummianzüge tragen? „M-mit wem gehst du eigentlich?", wagte sie zu fragen. „Mir fällt grade ein, dass du mir nie davon erzählt hast."

„Aus gutem Grund", gab Kat mit starrem Blick zurück. „Mit Connor."

„Oh."

„Und ja, ich weiß, dass er auf dich scharf ist und ich nur der Notfallersatz bin. Mehr kann ich ja nicht erwarten."

Lexi konnte nicht anders, als Kat einmal an sich zu drücken und „Es tut mir leid", zu flüstern. „Du hast so viel mehr verdient." Und fast wäre es ein herzerwärmender Moment gewesen, als Kat die Umarmung erwiderte, aber ein hörbarer Knall ließ die beiden Mädchen sofort wieder auseinander springen.

„Au!"

„Shit. Shit, sorry Lexi."

„Nicht so schlimm, nicht so schlimm!"

„Ich glaub, ich hab jetzt deine Frisur ruiniert."

„Kann ich fixen, keine Sorge."


Sogar Kimmy ließ sich ausnahmsweise einmal blicken, mit riesigen Ohrenschützern und ihrer üblichen, dicken Sonnenbrille. Sie trug kein Kleid, saß ein wenig abseits und beobachtete das Geschehen mit etwas, das Lexi als leichte Wehmut interpretierte. Klar, jemand wie sie würde versuchen, allem zu entgehen, das helles Licht oder laute Geräusche beinhaltete, aber jede Sechzehnjährige träumte wahrscheinlich davon, irgendwann in einem Kleid auf einem Ball zu tanzen.

Vermutete Lexi zumindest. Kimmy redete selten über ihre eigenen Wünsche.


Irgendwann waren alle Mädchen ihres Jahrgangs bereit, gekleidet in ihre schimmernden Ballkleider, gut frisiert und duftend, umringt von Bewunderung und Neid der jüngeren Hybriden in ihrem Block. Letztes Jahr war Lexi noch dort gestanden und hatte die älteren Mädchen beneidet, die wie Prinzessinnen gekleidet zu ihrem Jahresabschlussball gehen würden – und nun stand sie selbst da, in schimmerndes Violett gehüllt, auf hohen Absätzen und mit perfekt sitzender Frisur, und winkte ins Publikum wie ein echtes Mitglied des Hochadels.

Lexi, Jo & FreiheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt