XIX - Rock Bottom

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I


Lexi erfuhr schnell, was ein Iso-Raum war: Eine Zelle, die sogar noch kleiner war als ihr Zimmer in Block B, eingerichtet mit einer Liegestätte, die man selbst mit viel gutem Willen kaum als Bett bezeichnen konnte, einer Toilette, einem Waschbecken, einer Lüftung an der Decke und sonst nichts. Die Türe war ein durchsichtiges Rechteck aus Panzerglas ohne Griff oder Scharniere, dafür mit einem schmalen Schlitz am Boden, durch den man notfalls Essen schieben konnte. Draußen am Gang brannte künstliches Neonlicht – die einzige Lichtquelle, die Lexi hier hatte. An der Wand ihr gegenüber war eine weitere Glastüre, hinter der nur Dunkelheit lag und soweit sie sehen konnte, schien der gesamte Korridor aus solchen Zellen mit Glastüren zu bestehen.

Im Prinzip war das hier einfach nur eine Gefängniszelle.

Aber immerhin war sie hier drin nicht festgeschnallt und konnte sich frei bewegen. Von der einen Seite ihrer gesamten acht Quadratmeter bis zur anderen.


Totenstille war ihre einzige Gesellschaft. Lexi setzte sich auf ihre schmale Liegestätte, zog die Beine an den Körper und starrte ins Leere. Es war so leise, dass sie ihr eigenes Herz schlagen hörte – nicht einmal die Lüftung an der Decke gab ein Geräusch von sich. Auch vor ihrer Zelle blieb es still. Bei einem so vollautomatisch konstruierten Betonsilo wie dem Administrationsgebäude war Wachpersonal wohl nicht notwendig.

Als klar wurde, dass sie hier völlig allein war, gewann Lexi etwas Mut zurück. Sie stand auf, drückte gegen die Glastür, versuchte daran zu rütteln, aber natürlich bewegte sie sich keinen Millimeter. Auch die Lüftung über ihr war fest verschraubt und so schmal, dass mit Mühe und Not gerade einmal Lexis Hand hineingepasst hätte, selbst wenn sie es geschafft hätte, die Schrauben zu lösen.

Der Gedanke Ich muss hier raus wurde immer lauter und lauter. Ihr Weinen und Winseln hatte nicht geholfen und sie fing an, sich dafür zu schämen. Was hätten die anderen gesagt, wenn sie sie so gesehen hätten? Dieses heulende Häufchen Elend, das um sein Leben flehte?

„Ich muss hier raus", flüsterte Lexi und erschrak, wie laut ihre Stimme in der Totenstille klang. „Ich muss hier raus."

Plötzlich fiel ihr Kat ein. Wie sie sich damals gegen die Konditionierung gewehrt und dafür sogar ihren Außenwelturlaub geopfert hatte. Lexi fühlte plötzlich einen Stich Stolz auf sie – und Mitleid. Kat hatte keine Ahnung, wie sinnlos ihre Widerspenstigkeit war. Und so sehr sie sich oftmals über die Netzwerkmethoden beschwert hatte: Dagegen gewehrt hatte sie sich auch nie.

Alles bewegt sich in gut abgesicherten Parametern.

„Fick dich, Mindscape." Auch das flüsterte sie nur, aber es fühlte sich an wie ein wütender Schrei. Lexi fluchte praktisch nie. Sie war ein braves Mädchen. Pünktlich, gewissenhaft, fleißig und zuvorkommend. Die Uniform immer gut sitzend, die Krawatte korrekt gebunden, höflich zu den Lehrern und freundlich zu ihren Mitschülern. Fluchen, das war etwas für unerzogene Barbaren.

„Fick dich, Mindscape", wiederholte sie, etwas lauter diesmal. Sie klatschte die flachen Hände gegen ihre Glastür. „Fick dich ins Knie. Fick dich ins verfickte Knie!"

Ein hysterischer Kicheranfall unterbrach ihre Schimpftirade und Lexi hatte Mühe, wieder ernst zu werden. Sie stützte ihre Stirn gegen die Tür und lachte, bis ihre Hüften schmerzten. Dann rutschte sie am Glas herunter und setzte sich plump auf den Boden. Sie lehnte sich gegen die glatte Oberfläche und stierte glasig ins dunkelgraue Zwielicht hinaus.

Wie lange es wohl dauern würde, bis das Netzwerk sie entsorgen ließ?

Ein paar Stunden? Ein paar Tage?

Lexi, Jo & FreiheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt