XXII - No More Mrs. Nice Girl

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I


Lexi schaffte es gerade noch, die Augen aufzureißen und nach Luft zu schnappen, bevor sie mit dem Rücken hart gegen die hintere Wand des Raums prallte und ihr begonnener Schrei in ein pfeifendes Keuchen ebbte. Ihr Hinterkopf knallte gegen die harte Mauer, ließ die Welt in einem bunten Strudel Schmerz explodieren und Lexi fiel mit einem gehusteten „Uff!" vornüber auf den Bauch.


„Hast du einen verdammten Dachschaden?"


Joannas Stimme hallte wie von fern durch die schreiende Kreissäge, die in ihrem Schädel rotierte. Lexi konnte nichts sehen, sie konnte nicht atmen und alle Geräusche um sie herum waren dumpf und unwirklich. Mühsam stemmte sie sich auf einen Unterarm und griff mit der anderen Hand nach ihrem Hinterkopf. Sie rang nach Luft, scheiterte, rang ein weiteres Mal und brachte einen einzelnen, krächzenden Atemzug zustande, bevor sie vom einem Hustenkrampf durchgeschüttelt wurde.

Der Schmerz nahm zu, wurde schärfer, dann dumpfer, dann gelang ihr endlich ein zweiter, richtiger Atemzug. Lexi kämpfte sich mühsam auf die Knie und blinzelte in der Hoffnung, endlich wieder etwas sehen zu können – und langsam wurde ein Schemen vor ihr erkennbar, der sich bewegte.

„Fuck", hörte sie Jo fluchen. „Okay, das war ... vielleicht zu stark. Shit. Alles okay?"

Lexi atmete noch einmal rasselnd durch und hob eine Hand, wie um sagen zu wollen Es wird gleich wieder.

„Das tut mir leid, okay?" Tapp, tapp, tapp. Jemand kam näher, griff nach ihrem Arm und zog sie mühsam in die Höhe. „Ich hab überreagiert. Bist du ... bist du verletzt?"

„R...gn...erator", presste Lexi hervor, während die wabernden Schemen vor ihren Augen langsam Formen annahmen, die sie identifizieren konnte. Sie tastete nach vorne, bekam die Tischplatte zu fassen und ließ sich mit zitternden Beinen auf den Stuhl fallen. Die Kreissäge in ihrem Kopf verschwand nicht, aber immerhin schaltete sie zwei Gänge nach unten. Sie wollte einen klaren Gedanken fassen, etwas sagen, aber ihrer Kehle entwich nur ein langgezogenes, schmerzerfülltes Stöhnen.

„Es tut mir so leid. Ich ... ich hol dir ein Glas Wasser ... oder ein ..."

„Nicht", widersprach Lexi mühsam und tastete unbeholfen nach Joannas Arm. „Es wird ... gleich wieder ... besser."

„Bist du sicher?"

Lexi nickte mit verkniffenen Augen und streckte sich knackend, rieb dabei unentwegt ihren Hinterkopf und hustete noch einmal. „Ich ... halte mehr aus, als man glaubt."

„Okay. Shit. Sorry." Diesmal war es Jo, die nach Lexis Hand griff. „Ich hab völlig unterschätzt, wie stark meine Telekinese ist, ich wollte dich nur ... schubsen. Nur ganz leicht!"

Lexis Blickfeld wurde etwas klarer und ihre Kopfschmerzen pendelten sich auf hämmerndes Pochen im Hinterkopf ein. Sie zog die Hand von ihrem Schädel zurück und begutachtete ihre Finger, aber es war kein Blut zu sehen. „Schon ... okay. Denk ich."

„Es tut mir leid! Ehrlich! Es ist halt ... du kannst mich doch nicht einfach so küssen!" Jo klang verzweifelt. „Es gibt sowas wie Intimsphäre!"

„Ich ... ich-ich dachte ... du erinnerst dich!"

„Ich erinnere mich jedenfalls daran, mindestens fünfmal gesagt zu haben, mich nicht zu erinnern."

Lexi nickte langsam.

„Außerdem brauchst du dringend eine Dusche, Mädel." Jo wagte ein zaghaftes, schiefes Lächeln. „Willst du mir vielleicht einmal erklären, was hier wirklich vor sich geht und warum das Netzwerk mich aus meinem Außenwelturlaub zerren musste?"

Lexi, Jo & FreiheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt