XV - Where is my Mind

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I


Ein Teil von Lexi fragte sich panisch, was zum Teufel sie gerade tat. Ein zweiter versuchte, sie verzweifelt zu beruhigen. Vater war das höchste Wesen in der Hierarchie der Hybriden und niemand konnte ihr oder ihm einen Vorwurf dafür machen, nicht sofort zurück in den festgelegten Bereich zurückgekehrt zu sein. Sie war bei ihm sicherer als im tiefsten Stockwerk des Administrationsgebäudes, oder nicht?

Aber er ist nicht Teil des Netzwerks, warf der erste Teil ein. Er lebt außerhalb und wandert durch die Welt, völlig unkontrolliert!

Der zweite konterte mit Aber er ist dennoch Verbündeter des Netzwerks!

Ist er das? Wieso hat er dann deine Uhr zerstört?

Das wäre ein fantastischer Gedanke gewesen, um ihn weiterzuspinnen, doch er sah sich jäh von erneutem scharfem Schmerz unterbrochen, als Lexi Wasser über ihre geschundenen Arme laufen ließ. Offenbar waren sie noch nicht vollständig verheilt. Sie biss die Zähne zusammen und wusch ihre Arme sauber, dann ihre Schienbeine. Erst als der letzte Blutfleck verschwunden und die Verletzungen sich alle in Krusten verwandelt hatten, kehrte sie zurück in das Kaffeehaus, in dessen Toilette sie sich befunden hatte. Vater wartete dort geduldig an einem der Ecktische im Halbdunkel, in dem er fast zu verschwinden schien, wenn man nicht wusste, dass er dort war.

Bis auf das schwache, gelbliche Glimmen aus seinen Augen.

In einer Mischung aus Ehrfurcht und Hilflosigkeit verneigte Lexi sich vor ihm, als sie an den kleinen Tisch herantrat. „Vielen Dank für Ihre Hilfe, Vater", fing sie an. „Ich habe die Nerven verloren. Ich hätte anders reagieren sollen."

„Setz dich."

Zögerlich ließ sich Lexi auf dem Stuhl vor ihm nieder, mit hochgezogenen Schultern und im Schoß verkrampften Händen. Was sollte sie sagen? Sie fühlte sich plötzlich daran erinnert, wie sie Mindscape zum ersten Mal begegnet war, aber das hier war ... anders. Mindscape war entwaffnend, charmant, attraktiv – und nicht zuletzt konnte sie Gedanken lesen. Man musste nicht wissen, was man sagen sollte, denn sie wusste es noch bevor man es selbst tat. Vater dagegen war ein Rätsel. Ein düsteres, undefinierbares Wesen mit beunruhigender Miene – eine Wachsmaske über einer Kreatur aus dem tiefsten Abyss.


Die Entität mit der Bezeichnung „Vater" ist die Quelle aller Hybriden unter Aufsicht des Netzwerks. Jede Zelle eines Hybriden enthält einen kleinen Teil seiner Essenz, woher sich auch seine Bezeichnung ableitet. Die exakte Art seiner Existenz ist bisher nur ungenügend erforscht, jedoch sind sich Experten einig, dass es sich dabei um eine gänzlich unmenschliche Wesenheit handelt, die nur die Form der Homo Sapiens imitiert, um sich unter ihnen ungestört bewegen zu können.


Ein Absatz aus einem Text, den Lexi in der Schule gelesen und der sich in ihr Gehirn eingebrannt hatte. Sie versuchte, seinen Blick zu erwidern, aber musste bereits nach wenigen Sekunden wieder wegblicken.

„Was ... was kann ich für Sie tun?", wagte sie schließlich zu fragen.

„Ich weiß nicht, ob du etwas für mich tun kannst. Ich bin hier, um etwas für dich zu tun."

„Aber – was?"

„Wie ich schon sagte, deine Fragen zu beantworten."

„Aber ich habe doch keine Fragen!"

Vater lehnte sich ein Stück zurück. „Du hast mir bereits zwei gestellt", gab er zu bedenken. „Aber wenn du möchtest, fange ich an. Kaffee oder Tee?"

Lexi, Jo & FreiheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt