Egal, was passiert

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Er versuchte irgendeine Gefühlsregung in Novas Gesichtsausdruck zu erkennen, doch da war nichts. Die eisige Maske verbarg alles hinter sich und ließ nichts hindurch. 

,,Weißt du noch, was du zu mir gesagt hast, das mich die Kontrolle komplett verlieren ließ?", er würde diese drei kleinen Worte nie wieder vergessen. Sie hatten sich in sein Gedächtnis gebrannt. Die Art wie Nova diese Worte in sein Ohr geflüstert hatte, wie er sich dabei angefühlt hatte und welche Gefühle in ihm damit geweckt wurden. 

Ein Muskel an Novas Hals zuckte, als dieser schluckte. 

,,Erinnerst du dich?", hakte er noch einmal nach. Luc musste wissen, ob der Omega sich an diesen Moment erinnerte. 

,,Ich liebe dich.", murmelte Nova kaum hörbar, als würde er sich dafür schämen. Endlich sah der Omega zu ihm auf, nur kurz und flüchtig, als wollte er prüfen, welche Reaktion diese Worte in Luc hervorbrachten, bevor er weitersprach: ,,Das habe ich zu dir gesagt."

Diese Worte ein weiteres Mal aus Novas Mund zu hören war ein kleiner Sieg seinerseits. Der Omega erinnerte sich daran. 

,,Was ich während meinem Fieber gesagt habe, spielt keine Rolle.", Nova kehrte ihm den Rücken zu, während er sich über das Bett beugte und nach seinem Rucksack griff, worin er suchend herumwühlte. 

,,Dann spielt das, was ich währenddessen gemacht habe auch keine Rolle.", Luc versuchte seine Frustration in Grenzen zu halten. Wenn Nova dieses Spiel mit solchen Mitteln spielte, dann durfte er das auch. 

,,Dann spielt am Ende gar nichts eine Rolle.", fügte Luc noch hinzu und lockerte seine Hände, die sich krampfhaft zu Fäusten geballt hatten. 

,,Ob du zurück gehst, oder hier bleibst. Ob du lebst oder stirbst. Ist dir das wirklich alles egal?", er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass alles was passiert war, einfach so spurlos an dem Omega vorbeizog. Die Gefühle, die Nova in ihn geweckt hatte, die er in Nova geweckt hatte, das alles verflog nicht einfach so. 

Nova hielt in seiner Bewegung inne und richtete sich dann langsam auf. Er hielt einen kleinen Gegenstand in seinen Händen, den Luc nicht erkennen konnte. Dabei fiel ihm ein, dass der Lippenstift noch immer bei Zade auf dem Nachttisch stand. Sie hatten den USB-Stick entfernt, sodass es sich nun wirklich nur noch um eine leere Hülle handelte. 

,,Ich bin doch schon längst tot, Luc. Ich bin damals mit meiner Mom gestorben. Ich lebe nicht, ich überlebe. Nichts in diesem Leben spielt noch eine Rolle, nicht mehr, nicht für mich. In diesem Spiel, kann ich nur verlieren und ich bevorzuge es, das ohne hohen Einsatz zu tun.", Nova wandte sich endlich ihm zu, den Blick auf seine Hände gesenkt, in denen er ein ovales Medaillon aus Silber hielt. Das Silber war perfekt auf den kühlen Hautton des Omegas abgestimmt. Feine Gravuren zierten den Rand, ein Muster aus jenen Blumen, die Nova auf seinem Rücken trug. Wer auch immer dieses Schmuckstück angefertigt hatte, musste dieses Handwerk wirklich beherrschen. Ein Gefühl sagte ihm, dass der Omega jedoch nicht wegen des Wertes an dem Medaillon hing. 

Er hatte manchmal versucht Novas Entscheidungen nachvollziehen zu können. Warum der Omega sich dazu entschied, alleine zu sein und wegzulaufen. Warum er keine Hilfe annahm oder sich auf jemand anderes einließ. Luc wollte nicht wissen, wie schwer es für Mr. Han  gewesen sein musste, Nova davon zu überzeugen, dass er bei ihm in Sicherheit war. 

,,Wenn nichts mehr eine Rolle spielt, warum lässt du mich dann nicht an dich heran?", Luc wagte es, Novas Hände mit seinen zu umschließen. Vor kurzem war er sich sicher gewesen, den Omega für immer verloren zu haben. Er hätte alles gegeben für diesen Moment und jetzt, wo Nova vor ihm stand, dessen Hände umschlossen von seinen eigenen, wurden seine Hoffnungen auf ein Happy End mit dem Omega wieder erweckt. Luc wusste, dass Nova das genauso wollte, irgendwo tief in ihm. 

Er nahm Novas Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger, ehe er den Kopf des Omegas sanft nach oben drückte. Erst werte er sich dagegen, doch die Gegenwehr erstarb nach ein paar Sekunden und Novas blaue Augen trafen endlich seinen Blick. Die Tränen die in ihnen schimmerten, verliehen dem Blau einen traurigen Glanz, der ihn irgendwie an das Meer im nächtlichen Mondschein erinnerte. Düster und kalt. 

Das letzte Mal, als Nova zugelassen hatte, dass Luc ihn sah, war der Omega nicht ganz bei Verstand gewesen, doch hier und jetzt, war Nova sich voll und ganz bewusst, was gerade passierte: Dass der Omega sich ihm ein weiteres Mal von seiner verletzlichen Seite zeigte und diesen undurchdringbaren Schutzwall eigenhändig niederriss. 

,,Wieso tust du dir das an?", hörte Luc sich selbst sagen, als gehörte diese Stimme gar nicht ihm. Jedes Mal, wenn Nova ihn so ansah, zog der Omega ihn in dessen Bann. Er vermochte nicht zu sagen, ob es bloß Sekunden waren oder doch Minuten, die sie still schweigend den anderen ansahen. 

,,Ich verdiene es nicht, geliebt zu werden. Ich verdiene dich nicht. Du liebst den Teil von mir, den ich dir gezeigt habe, aber nicht das, was ich wirklich bin. Du weißt nicht, was ich tun musste, um zu überleben.", als Novas leise, zitternde Stimme diese Worte aussprach, zerbrach etwas in Luc. Zum ersten Mal, gab der Omega ihm eine klare Antwort auf jene Frage, die der Alpha sich schon die ganze Zeit über stellte. 

,,Denkst du das wirklich? Dass ich dich nicht mehr lieben würde?", er ließ Nova nicht die Chance, sich von ihm abzuwenden und legte seine Hände um die weichen Wangen des Omegas. 

,,Wie sollte mich jemand anderes lieben können, wenn ich es selbst nicht kann? Ich bin ein Mörder, Luc, von allem ist das noch das harmloseste. An meinen Händen klebt das Blut von dutzenden Menschen."

,,Du hast das nicht freiwillig getan und es ist nicht das Blut Unschuldiger."

,,Spielt das denn eine Rolle? Ich bin, was ich bin. Menschen wie ich, sind nicht dazu bestimmt, geliebt zu werden. Wenn du wüsstest, wie ich wirklich bin, würdest du mich nicht eine Sekunde länger lieben.", die Tränen, die nun von Novas Wangen auf seine Hände tropften waren seltsam kalt. Luc konnte sich nicht ein Szenario vorstellen, dass dazu führen würde, dass er jegliche Gefühle für diesen hübschen Omega verlieren würde. 

,,Dann erzähl mir davon. Erzähl mir von jeder Grausamkeit, von jeder noch so moralisch verwerflichen Tat. Erzähl mir von all diesen schrecklichen Dingen, die dazu geführt haben, dass du glaubst, du hättest es nicht verdient geliebt zu werden. Erzähl mir alles und lass mich dich trotzdem lieben.", Luc schwieg einen Moment, um seinen Worten mehr Kraft zu verleihen und wischte dann mit seinen Daumen die Tränen von Novas Gesicht. 

Nichts auf dieser Welt würde dafür sorgen, dass er Nova nicht mehr lieben würde. Er sah doch, dass der Omega all diese Dinge bereute. Dass er sie ändern würde, wenn er die Chance dazu gehabt hätte. Nova war ein kleiner Junge gewesen, den man zum Überleben gezwungen hatte. 

,,Deine Vergangenheit können wir nicht mehr ändern. Diese Dinge zu denen du gezwungen wurdest, sind passiert und wir können sie nicht mehr ungeschehen machen, aber wir können dafür sorgen, dass deine Zukunft anders wird. Du bist nicht mehr alleine, Nova, nicht, wenn du endlich aufhörst, mich von dir zu stoßen.", Luc richtete sich auf sah auf den Omega vor sich herab. Erst jetzt bemerkte er, dass Novas Hände mit dem Saum seines T-Shirts spielten. 

Nova senkte den Blick und atmete dann zitternd durch. 

,,Kannst du versprechen, dass du mich nicht im Stich lässt, egal was passiert?"

,,Nichts, auf dieser Welt könnte mich davon abhalten, bei dir zu sein."

Wildcard [Omegaverse]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt