Eine unerwartete Begegnung

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Catharina machte sich an diesem Morgen besonders früh auf den Weg zur Uni. Eine wichtige Vorlesung stand auf dem Plan, und sie wollte sich vorher noch etwas vorbereiten. Die Sonne schien durch die Bäume, und die Vögel zwitscherten fröhlich, während sie über den Campus ging. In Gedanken vertieft, dachte sie an das Projekt, an dem sie mit Jonas arbeitete und an die bevorstehenden Prüfungen.

Im Vorlesungssaal herrschte bereits reger Betrieb. Studenten nahmen ihre Plätze ein, und es wurde leise geplaudert. Catharina suchte sich einen Platz in der Mitte des Raumes, wo sie eine gute Sicht auf die Tafel hatte. Kurz bevor die Vorlesung begann, bemerkte sie eine junge Frau, die neben ihr Platz nahm. Sie sah Catharina an und lächelte freundlich.

„Hallo, ich bin Charlotte,“ stellte sie sich vor.

Catharina lächelte zurück. „Hi, ich bin Catharina. Bist du auch im dritten Semester?“

„Ja, genau. Ich studiere ebenfalls Medizin,“ antwortete Charlotte.

Die Vorlesung begann, und beide konzentrierten sich auf den Dozenten. Nach der Vorlesung kamen sie ins Gespräch. Sie unterhielten sich über den Stoff und stellten schnell fest, dass sie ähnliche Interessen und Meinungen hatten.

„Weißt du, ich finde die Genetik so faszinierend,“ sagte Charlotte begeistert. „Vor allem, wie kleine Veränderungen in der DNA so große Auswirkungen haben können.“

Catharina nickte zustimmend. „Ja, ich auch! Besonders spannend finde ich die Verbindung zwischen Genetik und Erkrankungen. Es gibt so viel, was wir noch nicht wissen.“

Während sie redeten, fiel Catharina auf, wie vertraut Charlotte ihr vorkam. Es war nicht nur ihre Art zu sprechen oder ihre Interessen, sondern etwas Tieferes. Ein Gefühl, das sie nicht genau einordnen konnte.

Einige Tage später begegneten sich Catharina und Charlotte erneut, diesmal in der Bibliothek. Sie beschlossen, zusammen zu lernen und setzten sich an einen ruhigen Tisch. Während sie ihre Notizen verglichen und sich gegenseitig halfen, erzählte Charlotte etwas Persönliches.

„Weißt du, ich bin in einer Pflegefamilie aufgewachsen,“ begann sie. „Meine leiblichen Eltern konnte ich nie kennenlernen. Aber ich habe immer das Gefühl gehabt, dass mir etwas fehlt. Oder jemand.“

Catharina hörte aufmerksam zu. „Das muss schwer gewesen sein. Ich habe einen Bruder, und wir haben ein sehr enges Verhältnis. Familie ist so wichtig.“

Charlotte nickte. „Ja, das stimmt. Ich habe immer davon geträumt, meine leibliche Familie zu finden.“

Catharina fühlte einen Knoten in ihrem Magen. Sie dachte an ihre eigene Familie und daran, wie wenig sie eigentlich über ihre Vergangenheit wusste. „Vielleicht wirst du sie eines Tages finden,“ sagte sie leise.

Ein paar Tage später, als Catharina mit Lukas beim Abendessen saß, erzählte sie ihm von ihrer neuen Freundin Charlotte und von deren Geschichte.

Lukas hielt inne und sah Catharina ernst an. „Catharina, ich muss dir etwas Wichtiges sagen. Es ist etwas, das unsere Eltern dir und mir nie erzählt haben.“

Catharina sah ihn fragend an. „Was meinst du?“

„Wir haben eine Schwester,“ sagte Lukas langsam. „Unsere Eltern mussten sie weggeben, als sie noch ein Baby war. Das Jugendamt hat sie in eine Pflegefamilie gegeben.“

Catharina spürte, wie ihr Herz schneller schlug. „Eine Schwester? Wie heißt sie?“

„Charlotte,“ antwortete Lukas. „Sie ist drei Jahre jünger als du.“

Catharina konnte es kaum fassen. „Charlotte... ich habe sie an der Uni kennengelernt. Wir haben uns so gut verstanden. Das erklärt, warum sie mir so vertraut vorkam.“

Ein paar Tage später lud Catharina Charlotte zu einem Treffen mit ihrem Bruder Lukas ein. Sie dachte, dass es eine gute Gelegenheit wäre, dass die beiden sich kennenlernen. Als sie sich in einem Café trafen, begann das Gespräch bald, sich um ihre Vergangenheit zu drehen.

„Es ist so schön, dass wir uns alle hier getroffen haben,“ sagte Catharina. „Charlotte, hast du jemals versucht, mehr über deine leibliche Familie herauszufinden?“

Charlotte seufzte. „Ja, aber es war schwierig. Ich weiß nur, dass ich eine ältere Schwester habe, die etwa drei Jahre älter ist als ich. Ihre Namen habe ich nie erfahren.“

Lukas und Catharina tauschten einen bedeutsamen Blick aus. „Charlotte,“ begann Lukas vorsichtig, „was weißt du sonst noch über deine Familie?“

Charlotte zog einen kleinen, abgenutzten Zettel aus ihrer Tasche. „Ich habe diesen Zettel von meiner Pflegefamilie bekommen. Es steht nicht viel drauf, nur der Name meiner Schwester: Catharina.“

Catharinas Herz setzte einen Schlag aus. „Charlotte... ich bin Catharina.“

Charlottes Augen weiteten sich. „Das bedeutet... wir sind Schwestern.“

In diesem Moment wussten beide, dass ihre Verbindung weit über das Studium hinausging. Sie hatten einander gefunden, und nichts konnte sie mehr trennen.

Schatten der Vergangenheit Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt