kapitel 4

113 11 14
                                    

Amanahs POV

Ich schaute Bilal von der Seite an. Seine dunkle Haut, die in einem starkem Kontrast zu dem Riss unter seinem Auge stand. Seine schwarzen Haare, die in einem lockeren Zopf zusammengebunden waren. Sein Blick war auf die Straße fixiert und bis auf das kurze Lächeln, was ich ihm für einen Moment entlocken konnte, waren seine stark ausgeprägten Gesichtszüge ernst und von Sorge geprägt.

"Erstens. Es tut mir leid. Ich- Du hättest niemals durch mich in solch eine Situation gebracht werden sollen. Sowieso waren unsere Wiedersehen bis jetzt nicht ideal. Du hast viel um die Ohren, und ich weiß das. Meine Mutter erzählt mir andauernd, wie viel du für deine Familie tust. Was du alles schaffst und erreichst und ich weiß, wie stressig das für dich sein muss. Das heute wäre wirklich nicht- Du solltest dich nicht auch noch mit sowas auseinandersetzen müssen. Aber, da ich dich kenne, und da ich weiß, dass du das alles abwinken wirst, dankeschön. Ich wünsche mir vom Herzen, es wäre nie soweit gekommen, aber du warst zur richtigen Zeit am richtigen Ort und- d-" Ich spürte, wie meine Worte schwerer wurden, meine Augen glasig und meine Glieder zittrig. Ich hatte das Gefühl, dass ich erst mit der Zeit realisieren würde, was mir vorhin zugestoßen war. Mein Gehirn hatte all die Informationen noch nicht verarbeitet und ich fühlte mich, wie in einer Art Trance-Zustand. Aber ich wollte nicht vor Bilal weinen. Also schluckte ich die restlichen Worte runter und ließ meinen Blick durch die Fensterscheibe über vorbeiziehenden Häuser und Straßen gleiten.

"Entschuldige dich bitte nie wieder für diese Situation. Und bedank dich auch nie wieder dafür."

Seine dunkle Stimme ließ nichts von dem 12-jährigen Bilal aus meiner Erinnerung übrig.

"Ihr solltet Anzeige erstatten. Wer weiß, zu was dieser Typ alles fähig ist."

Ich bohrte meine Fingernägel in meine Handinnenfläche. Eine Art Stress und Unruhe abzubauen. Wer hätte gedacht, dass meine erlernten Studieninhalte eines Tages in meinem eigenen Leben Anwendung finden würden.

"Ich habe absolut keine Informationen zu dem Täter. Das wird nur eine weitere einzustaubende Akte für die Polizei."

Die restliche Fahrt verlief schweigend, aber nicht in einer unangenehmen Art und Weise. Sondern in einer angenehmen, respektvollen Art und Weise. Es schien, als sei Bilal über die Jahre zu einem richtigen Mann herangewachsen. Aber wen wundert's. Wenn man bereits mit 16 seinen Vater verlor, blieb einem vermutlich nicht viel Weiteres übrig. Ich erinnerte mich noch glasklar an den Tag. Den Tag, an dem meine Mutter einen Anruf erhielt und dann geheimnisvoll hinter verschlossenen Türen mit meinem Vater sprach und weitere Anrufe tätigte. Dann wurden mein großer Bruder Adnan und ich ins Wohnzimmer gerufen. "Bilals Vater ist gestorben." Das war der erste Satz, den meine Mutter zu uns sagte. Und danach noch viele andere Dinge, aber alles, woran ich in dem Moment denken konnte, war, wie es Bilal ging. Ich wollte bei ihm sein. Für ihn da sein. So wie damals. Damals, bevor es komisch zwischen uns wurde. Bevor unsere Mütter aufgehört haben, uns mit zu ihren Treffen zu nehmen. Weil wir jetzt älter wurden.

"Wir sind da."

Ich hatte nicht gemerkt, dass das Auto zum Stehen gekommen war, und noch bevor ich reagieren konnte, war Bilal ausgestiegen und hatte die Beifahrertür für mich geöffnet. Vielleicht hatte ich schon immer eine Schwäche für meinen ehemaligen besten Freund gehabt, aber diese neue Version von ihm schien noch einen draufzusetzen.

"Danke."

Er schloss das Auto hinter uns ab und trat in sicheren Schritten auf die Wohnungstüre zu, um die Klingel zu betätigen. Es dauerte keine 5 Sekunden, bevor das Surren des Türöffners ertönte und Bilal mir auch diese Tür geduldig aufhielt. Meine Eltern warteten bereits mit besorgten Blicken und völlig aufgebracht im Treppenhaus, und in dem Moment wünschte ich, ihnen niemals von der ganzen Sache erzählt zu haben. Mein Vater nahm mich zuerst stürmisch in den Arm, und hielt mich, als wäre ich jahrelang verschollen gewesen und dies hier unser erstes Wiedersehen.
"Bist du extra von der Arbeit gekommen, Baba?" Er ignorierte die Frage. Stattdessen umarmte er mich nur noch fester, löste sich nach einigen Sekunden aus der Umarmung und ergriff mit beiden Händen mein Gesicht. Seine Augen suchten mein Gesicht nach Verletzungen ab. Genauso, wie Bilal es vorhin tat. Und als er sah, dass ich unversehrt war, entspannten sich die tiefen Falten in seiner Stirn.

wär sie nicht da gewesenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt