Kapitel 11

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Hallöchen :)
Einen Tag müssen wir noch warten, dann steht das olympische Halbfinale gegen Spanien an. Um euch die Wartezeit ein bisschen zu versüßen, kommt heute ein etwas längeres Kapitel.
Viel Freude beim Lesen und lasst mir gern einen Kommentar da. :)
Liebe Grüße
Melinah
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Als Tess am nächsten Morgen aufwachte, tat ihr alles weh. Sie erinnerte sich, dass sie noch ihren Laptop zugeklappt und die Akte von David zur Seite gelegt hatte, dann war sie eingeschlafen. Offenbar hatte sie völlig schief und verdreht gelegen, denn sie konnte ihren Kopf kaum drehen. Einen Zopf zu machen war unmöglich, denn sie konnte auch ihre Arme nicht besonders hoch heben. Langsam schlich Tess zum Frühstück und setzte sich vorsichtig auf ihren Stuhl. Die Trainer und Betreuer saßen an einem kleineren Tisch, die Mannschaft nebenan an einem großen Tisch. Jeder hatte seinen angestammten Platz und Tess saß neben Torwarttrainer Mattias. „Was ist denn mit dir los?", fragte er. „Ich hab mich verlegen und kann mich kaum bewegen." „Oh nein, wirklich?" Tess wollte nicken, doch das tat sofort weh. Peter hatte das schon bemerkt. „Dann ist heute der große Moment, in dem du auf meiner Massageliege liegen wirst." „Das wäre toll, danke." Während des Frühstücks erntete Tess einige mitleidige Blicke. Bevor es in die Trainingshalle ging, massierte Peter die Verspannung in ihrem Nacken. „Das ist echt unangenehm", murmelte Tess. „Das glaube ich dir. Wahrscheinlich wird es noch ein paar Tage dauern, bis es ganz weg ist. Ich klebe dir dann gleich ein Tape und du solltest Wärme drauflegen. Heute Abend kommst du nochmal zu mir, dann schaue ich es mir erneut an." Tess versuchte, die Muskeln bewusst zu lockern, während Peter sie massierte. „Okay, ich würde jetzt das Tape noch kleben und dann sind wir erstmal fertig", sagte Peter nach einer Viertelstunde. „Ich kann mir leider keinen Zopf machen, weil ich die Arme nicht richtig heben kann." „Oh. Dann schaue ich mir gleich die Schultern nochmal mit an. Ich kann dir leider auch nicht dabei helfen, ich kann sowas nicht." Tess überlegte, ihr fiel nur einer ein, der ihr helfen könnte. „Ich frag Juri, ob er kommen kann." Peter nickte und Tess schrieb Juri eine WhatsApp. Kurz darauf stand er im Zimmer. „Was ist los?", fragte er. „Kannst du mir einen Zopf machen, bitte? Ich kann meine Arme nicht heben." Sie grinste und er lachte kurz. „Klar, kein Problem." Juri war der einzige im Team mit langen Haaren, deswegen vertraute Tess ihm, dass er das konnte. „Hast du eine Haarbürste hier?" „Nein, aber..." „Ich brauche noch ein paar Minuten. Tess, wenn du Juri deine Zimmerkarte gibst, kann er sie holen", unterbrach Peter ihn. Juri nickte. Weitere zehn Minuten später hatte Peter Tess fertig massiert und Juri war mit ihrer Haarbürste wieder da. Vorsichtig kämmte er ihre Haare und band sie dann zu einem hohen Pferdeschwanz zusammen. „Ich danke dir", lächelte sie. „Ist es okay so? Straff genug?" Tess nickte vorsichtig. „Es kann sein, dass ich dich nachher nochmal danach frage. Oder morgen." „Kein Problem." Peter klebte ihr das Tape und ließ sie dann gehen.

Alfreds Anweisungen hallten über das Spielfeld in der Trainingshalle. Tess hielt sich heute im Hintergrund, ihr tat nach wie vor alles weh. Die Spieler arbeiteten hart und Juri merkte, dass es ziemlich viel im Kopf wurde. Er musste sich wahnsinnig viel merken und überlegen, wann welcher Spielzug passte und angebracht war. Alfred vertraute ihm und das Zusammenspiel mit den anderen funktionierte ziemlich gut. Trotzdem nutzte er die Trainingspause und ging kurz vor die Tür. Auf dem Weg nach draußen traf er Tess, die aus der Kabine kam. „Frische Luft?", fragte sie und er nickte. „Darf ich dich begleiten?" Sie sah ihm an, dass ihm viel im Kopf rumging. „Ja, das würde mich freuen." Lange konnten sie nicht in der kalten Winterluft stehen, sonst würde Juri sich erkälten. Einige andere waren bereits etwas angeschlagen. „Ich merke, dass dir viel im Kopf rumgeht", begann Tess das Gespräch und Juri seufzte. „Ja, allerdings. Frankreich ist erst unser drittes Spiel und gleich ein richtiger Knaller. Ich hoffe, dass das alles klappt." „Worüber machst du dir Gedanken?" „Naja, ob ich die Übersicht behalten kann. Ob ich die richtigen Spieler im passenden Moment sehe und anspielen kann." „Du machst dir selbst ziemlich viel Druck, Juri." Wieder seufzte er. „Ich weiß. Das war schon immer so, ich kann nichts dagegen machen. Ich will einfach alles richtig machen." „Denkst du, das geht?" Er schüttelte den Kopf. „Nein. Und ich weiß auch, dass es so ist, aber es beschäftigt mich sehr. Ich hab das Gefühl, ich muss abliefern. Die Erwartungen sind so unglaublich hoch." „Hmm, wessen Erwartungen sind das?", fragte Tess. Das erinnerte sie an ihr Gespräch mit Johannes vor ein paar Tagen und es überraschte sie nicht, dass Juri ähnlich antwortete. „Die der Öffentlichkeit und des Trainers." „Was ist mit deinen Erwartungen?" „Was meinst du genau?" „Was erwartest du von dir selbst? Von dir als Handballspieler auf dieser Position?" „Dass ich mein Bestes gebe." Tess zog eine Augenbraue hoch. „Da haben wir dein Stichwort." Fragend sah er sie an. „Die einzige Person, deren Erwartungen du erfüllen musst, bist du selbst. Frag dich nach dem Spiel, ob du dein Bestes gegeben hast oder ob du versucht hast, der Öffentlichkeit gerecht zu werden. Wichtig ist das Gefühl, mit dem DU aus dem Spiel gehst." „Aber ich bin nicht immer mit mir zufrieden." „Das ist ganz normal. Aber dann rechnest du deine Leistung mit dir selbst ab und nicht mit den Menschen da draußen. Und so muss es auch sein. Ich verstehe nicht viel von Handball, aber das, was du machst, ist wirklich gut." Tess warf einen schnellen Blick auf ihre Uhr. „Lass uns heute Abend nochmal ein Stück spazieren gehen, ja?" Juri nickte und sie gingen beide wieder in die Halle. Heute konnten die Jungs nach dem Training nicht mit Tess spielen, denn sie konnte sich ja kaum bewegen. Nach dem Abendessen verbrachte die Mannschaft einen entspannten Abend. Morgen Vormittag gab es noch eine Mannschaftssitzung, doch dieser Abend durfte individuell gestaltet werden. Tess und Juri gingen wie vereinbart noch ein Stück spazieren. „Wie geht es deinem Nacken?", fragte Juri, der neben Tess herging und die Hände in den Jackentaschen vergraben hatte. „Schon besser, danke. Ich konnte mir vorhin immerhin allein die Haare kämmen." Juri lächelte sie an. „Freut mich." Sie gingen ein Stück schweigend nebeneinander her. „Woher kommt diese hohe Erwartungshaltung?", fragte Tess schließlich und knüpfte an ihr Gespräch vor der Halle an. Juri zuckte mit den Schultern. „Von mir, denke ich. Ich will immer gewinnen und kann schlecht verlieren." „Hmm... Das erklärt das noch nicht so ganz." „Tja, dann..." Juri überlegte. „Mein Vater hat mir eigentlich nie Druck gemacht und meine Trainer nur in einem angemessenen Rahmen." „Du hast in deiner jungen Karriere schon viel erlebt, Juri. Barcelona, Nationalmannschaft, DHB-Pokalsieger. Das ist eine wahnsinnig gute Leistung für einen so jungen Spieler, wie dich. Du kannst sehr stolz auf dich sein." „Das bin ich auch." „Der Druck, den du spürst und dir auch selbst machst, kann genau davon kommen. Es sind viele Dinge gut gelaufen und jetzt hast du das Gefühl, dass es immer so weitergehen muss. Aber das wird nicht gehen. Du kannst nicht allein diese ganzen Lasten stemmen und du musst es auch nicht. Es gibt so viele Menschen, die dich unterstützen und gerade auf dem Handballfeld bist du nicht allein." „Aber es ist meine Aufgabe." „Nein, Juri. Deine Aufgabe ist es, das Spiel zu gestalten, nicht die Last der ganzen Handballwelt zu tragen. Setz dir deine Ziele kleinschrittig, damit sie realistisch bleiben. Du machst es so gut und das wird dir nahezu jeder bestätigen. Nimm es an, vertrau auf das, was du kannst. Und wenn dir jemand sagt, dass du es gut gemacht hast, dann glaub das auch. Lass zu, dass die anderen dir helfen, diese Last zu tragen." Er sah sie an und Tess spürte, dass es in seinem Kopf arbeitete. „Es war ganz schön viel heute. Und wenn ich mir überlege, was noch alles kommt..." Tess blieb stehen und sah ihn an. „Du bist nicht alleine, Juri." „Manchmal wird es mir alles zu viel." „Was machst du dann?", fragte Tess. „Mich verkriechen", zuckte er mit den Schultern. „Hmm... Es ist gut, wenn du dir Zeit für dich selbst nimmst. Ich kann dir nur empfehlen, dir nach einer Weile jemanden zum Reden zu suchen. Mach nicht alles mit dir alleine aus, eine andere Perspektive tut immer gut." Juri nickte. Sie hatte einen Nerv getroffen, denn er machte oft die Dinge mit sich ganz allein aus. „David hilft mir sehr. Er ist wirklich auch abseits vom Handball einer meiner besten Freunde." „Ja, das habe ich gemerkt. Er setzt sich wirklich sehr für dich ein." Juri lächelte und nickte. „Können wir zurückgehen? Mir wird langsam echt kalt." Tess nickte und sie schlugen den Weg zum Hotel ein.

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