Kapitel 5

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Hi, ihr Lieben! Was für ein Spiel gegen Kroatien! Nun gilt es für morgen vollen Fokus zu finden!

Ich wünsche euch viel Spaß mit dem neuen Kapitel und freue mich auf eure Rückmeldungen!

Liebe Grüße! Melinah

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Der erste volle Lehrgangstag war fast vorbei. Am 2. Januar hatte es am Vormittag eine Mannschaftssitzung gegeben, in der der genaue Plan bis zur EM vorgestellt wurde. Nach dem Mittagessen waren sie das erste Mal in der Halle gewesen und hatten mit den Grundlagen begonnen. Tess sah sich alles von der Seite an und beobachtete. Sie hatte ihre Mappe dabei und machte sich immer wieder Notizen. Es war beeindruckend zu sehen, wie diese großen und kräftigen Männer sich bewegten. Dadurch, dass sie sich ein paar Sachen angelesen hatte, konnte sie einiges nachvollziehen, wenn sie auch die einzelnen Spielzüge wohl nie ganz verstehen würde. Alfred bat sie immer wieder zu sich und erklärte ihr Dinge zum Spiel und erzählte Einzelheiten über jeden Spieler. Langsam begann Tess, sich wohlzufühlen und wieder auf die Aufgabe zu freuen. Jetzt musste sie nur noch die Situation mit Juri klären. Der vermied es, in ihre Nähe zu kommen, doch lange würde er das weder aushalten noch würde es dauerhaft möglich sein. Jedes Mal, wenn sein Blick auf sie fiel, schaute er gequält und wandte sich ab. David nahm das zur Kenntnis und bemühte sich nach Kräften, ihn abzulenken. Irgendwann bemerkten auch andere, dass Juri irgendetwas beschäftigte. In zwei Tagen fand das vorletzte Testspiel vor der EM gegen Portugal statt. Da konnte es sich keiner leisten, nicht bei der Sache zu sein. In einer kurzen Pause nahm Alfred sich Juri zur Seite und ging mit ihm nach draußen. „Was ist los mit dir?", fragte er direkt und Juri sah ihn an. „Ich... Ähm... Mir geht viel durch den Kopf." „Ja, das sehe ich. Stell es ab und konzentriere dich auf den Handball." „Wenn das so leicht wäre", murmelte Juri. „Lass nicht zu, dass ihre Anwesenheit dich blockiert", sagte der Trainer und Juri sah ihn erschrocken an. „Theresa war noch gestern Abend bei mir und hat mir erzählt, dass ihr euch kennt." „Was?" „Sie sagte mir, dass ihr euch nähergekommen seid und das jetzt ein Problem ist. Allerdings sehe ich das alles nicht ganz so verschärft, wie sie. Ihr zwei solltet dringend mal miteinander reden." „Ich hätte mir mit ihr mehr vorstellen können, Alfred. Aber jetzt..." „Jetzt musst du dich mit ihr aussprechen, damit ihr für die nächste Zeit miteinander arbeiten könnt. Und das machst du heute noch. Vor dem Abendessen gibt es die erste mentale Einheit mit ihr und nach ihrem letzten Gespräch habt ihr Zeit." Juri sah zu Boden, darauf freute er sich nicht gerade. „Hast du dich schon eingetragen?" „Musste ich. Aber ganz zum Schluss, ich wollte das so lange rauszögern, wie es geht." Alfred legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Wir haben noch eine knappe Stunde, danach lasse ich dich mit als Ersten gehen, dann kannst du dich direkt bei Peter zur Massage melden. Nutz die Zeit, um runterzukommen. Entspann dich und versuch, den Kopf freizumachen. Ich habe gehofft, dass du von einem Psychologen vor Ort profitieren kannst und ich möchte, dass das auch so ist." Juri nickte und Alfred schickte ihn wieder hinein. Eine knappe Stunde später beendete Alfred das Training und schickte Juri mit einem auffordernden Blick los.

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„Herzlich Willkommen zu unserer ersten mentalen Einheit. Ich freue mich, dass wir nun in unsere gemeinsame Arbeit starten können. Einigen von euch wird es leichtfallen, sich darauf einzulassen, einigen nicht. Das ist alles ganz normal. Ich bitte euch darum, euch zu öffnen für alles, was wir hier machen werden, denn auch, wenn euch manche Sachen seltsam vorkommen, haben sie alle einen Sinn und verfolgen ein bestimmtes Ziel. Nicht immer sieht man das sofort, es kann auch sein, dass es erst im Nachhinein wirkt." Sie lächelte in die Runde. Die meisten sahen sie neugierig an. Für heute hatte sie sich entschieden, die Sitzordnung zu lassen, wie sie war. Die Stühle standen im Raum verteilt, mit Blickrichtung nach vorn zur Leinwand. Tess sprach mit ruhiger Stimme, das hatte sie sich für ihren Beruf antrainiert. „Ich möchte unsere Einheit mit einer kleinen Entspannungsübung beginnen. Dazu lade ich euch ein, die Augen zu schließen. Macht es euch auf dem Stuhl bequem. Ihr dürft euch nach vorn lehnen, die Füße hochnehmen oder ein bisschen nach unten rutschen, ganz so, wie ihr möchtet. Ich werde mich durch den Raum bewegen und es kann sein, dass ich euch ab und zu berühre. Bitte erschreckt euch nicht." Sie wartete, bis alle die Augen geschlossen und sich bequem hingesetzt hatten. „Konzentriert euch auf eure Atmung. Atmet ein paar Mal tief ein und aus. Findet euren eigenen ruhigen Rhythmus." Sie lief langsam los. „Entspannt ganz bewusst eure Muskeln. Der Sport, den ihr ausübt, fordert euch sehr stark, sowohl körperlich als auch mental. Wir versuchen jetzt zuerst, eine Basis zu schaffen, auf der wir aufbauen können." Sie sprach nicht besonders laut, aber dennoch konnte jeder im Raum sie von jeder Position hören. „Atmet ruhig und entspannt weiter. Ein und aus." Nach dem ersten Training war die Anspannung deutlich zu spüren und Tess wollte zunächst eine entspannende Atmosphäre schaffen. Sie lief weiter durch den Raum und filterte die Spieler, die noch zu verkrampft auf ihren Stühlen saßen. Sie strich Johannes über die Schultern. „Alle eure Muskeln entspannen sich. Lasst locker, auch wenn sich eure Position dadurch verändert." Sie hörte, wie er tiefer atmete und sah, dass er die Schultern hängen ließ. Zufrieden ging sie weiter und bewegte sich in Juris Richtung, der neben David saß. Es fiel ihm schwer, sich darauf einzulassen, doch er versuchte es. Tess berührte auch David am Arm, als sie sagte: „Ihr habt langsam euren Rhythmus gefunden. Versucht, ihn während unserer Übung zu halten." Juri musste sich sehr zurückhalten, nicht die Augen zu öffnen, als Tess weiterging. „Ich möchte, dass ihr jetzt an eure Mitspieler denkt. Denkt an die heutige Trainingseinheit und sucht euch ein positives Erlebnis aus diesem Training. Wie habt ihr euch dabei gefühlt?" Sie kam bei Alfred an, der lächelte. Auch die Trainer und medizinische Abteilung nahmen an der mentalen Einheit teil. „Entscheidet euch für eine Situation und konzentriert euch ganz auf das positive Gefühl, welches euch dabei einfällt." Ihr Blick wanderte zu Juri, der nach wie vor nicht ganz entspannt aussah. Sie bewegte sich weiter durch den Raum und war auf der anderen Seite angekommen. „Alle anderen Gefühle dürft ihr jetzt ganz weit weg von euch schieben. Lasst nur noch dieses eine positive Gefühl des heutigen Tages bestehen. Atmet dabei ruhig und entspannt weiter." Sie ging zu Andreas, der ein Grinsen im Gesicht hatte. „Ich möchte, dass ihr euch dieses Gefühl von heute, vom ersten gemeinsamen Training dieses Lehrgangs, merkt. Verinnerlicht es. Jedes Mal, wenn wir in unsere Entspannung gehen, könnt ihr es wieder abrufen. Nutzt es für euch als Grundlage für das Entspannungsgefühl." Tess ging wieder zurück auf ihren ursprünglichen Platz. „Atmet ruhig und entspannt weiter." Sie machte eine kurze Pause. „Atmet noch fünf Mal tief ein und aus und wenn ihr so weit seid, dann öffnet die Augen wieder." Tess lächelte und wartete, bis alle die Augen wieder geöffnet hatten. Einige setzten sich gerader hin, andere blieben in der bequemen Position sitzen. „Was jetzt gerade passiert, ist spannend. Alle diejenige, die jetzt noch in ihrer Entspannungsposition sitzen, haben sich schon ein Stück weiter geöffnet als die anderen. Ihr dürft gern gemütlich sitzen bleiben." Sie lächelte und sah in Richtung Johannes, der immer noch die Schultern hängen ließ und den Kopf ein Stück angehoben hatte. „Unsere heutige Übung konzentriert sich auf das gegenseitige Kennenlernen. Viele von euch kennen sich aus der Bundesliga oder hier aus dem Nationalteam, aber es gibt dennoch immer wieder neue Gesichter. Ich bin mir sicher, dass außerdem jeder noch einen Fakt über sich selbst sagen kann, den die anderen noch nicht wissen", sagte sie grinsend und erklärte die Übung. Die Jungs sollten sich zu zweit finden und sich gegenseitig mit einem bekannten und einem unbekannten Fakt vorstellen. „Das könnte zum Beispiel so ablaufen: Hi, ich heiße Tess und bin die Mannschaftspsychologin der Handball Nationalmannschaft. Ich spreche vier Fremdsprachen und versuche mich gerade an der fünften." „Wirklich?", kam es überrascht von Julian und Tess nickte. „Welche denn?" „Englisch, Spanisch, Italienisch und Russisch. Aktuell lerne ich Isländisch." Dabei musste Alfred breit grinsen. „Genauso wie Julian mich jetzt gefragt hat, dürft ihr bei eurem Gegenüber genauer nachfragen. Seid ehrlich zueinander und scheut euch nicht, etwas Interessantes über euch zu erzählen. Auf mein Zeichen hin wird gewechselt." Sie schlug einen Gong und die Übung begann. Währenddessen lief sie zwischen den Männern umher und schnappte das ein oder andere auf. Sie wollte wissen, inwieweit sie sich wirklich auf die Übungen einließen und ob sie sich ernsthaft unterhielten. Was sie hörte und beobachtete, stellte sie zufrieden. Gerade hörte sie, wie Juri mit Timo sprach. „Ich bin Juri und spiele bei den Rhein-Neckar Löwen. Ich habe Höhenangst." „Wirklich?", fragte Timo und Juri nickte. „Jedes Mal, wenn ich in Heidelberg über die Brücke gehe, laufe ich deutlich schneller." Tess ging weiter und gab das erste Wechselzeichen. Insgesamt hatte jeder fünf verschiedene Partner gehabt, bis sie die Jungs bat, sich wieder zu setzen. „Okay, ich bitte euch um ein kurzes Handzeichen. Wer von euch hat jetzt gerade mindestens drei neue Dinge erfahren?" Alle meldeten sich. „Seht euch um." Alle grinsten sich gegenseitig an und die Stimmung war gut. „Ziel dieser Übung ist es, die Kommunikation zu stärken. Ein Team entsteht nicht auf dem Handballfeld, sondern abseits davon. Ihr könnt im Spiel nur als Mannschaft funktionieren, wenn ihr euch kennt und euch vertraut. Dahin haben wir heute den ersten Schritt gemacht." Sie klickte auf ihrem Laptop die Präsentation eine Folie weiter. Heute war sie sehr kurz gewesen, aber dennoch zur Unterstützung gut gewesen. „Die beiden Schlagworte für heute heißen -Verbundenheit & Kommunikation-. Verbundenheit entsteht durch Kommunikation und gemeinsame Erlebnisse. Das hier war das erste von vielen." Sie ging ein Stück zur Seite. „Zum Abschluss möchte ich euch noch einmal bitten, aufzustehen und euch einen Partner zu suchen." Tess wartete, bis alle so weit waren. „Wir beenden unsere heutige Einheit ganz klassisch mit einer Umarmung für euren Partner. Lasst euch gern darauf ein und dann dürft ihr eurer Wege gehen." Sie lächelte und nutzte den Gong. Sie beobachtete viele freundschaftliche Umarmungen und Schulterklopfer. Zufrieden sah sie sich im Raum um und Alfred trat neben sie. „Gut gemacht." „Ja?" „Ja." „Danke. Es war okay fürs erste Mal." „Ich hab ein gutes Gefühl, Tess." „Ich auch", lächelte sie. „Du wirst sehen, sie werden sich schon heute Abend angeregter unterhalten als noch gestern." Alfred lächelte und umarmte sie, bevor er den Raum verließ. Tess räumte noch auf, brachte ihre Sachen auf ihr Zimmer und ging dann zum Essen. Andreas winkte sie sofort heran.

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Nach dem Abendessen führte Tess die ersten Gespräche mit den Spielern. Sie liefen gut und sie hatte das Gefühl, dass es von allen gut angenommen wurde, eine Psychologin im Team zu haben. Als sie nach dem letzten Gespräch, das sie im Zimmer von Rune geführt hatte, über den Hotelflur lief, kam ihr Alfred entgegen. „Ah, wie gut, dass ich euch treffe." Euch? Tess drehte sich um und sah, dass Juri am Ende des Ganges um die Ecke kam. „Ihr beide zieht euch jetzt warm an und geht eine Runde spazieren. Eine große Runde und dabei werdet ihr alles besprechen, was wichtig ist, um während dieser EM miteinander arbeiten zu können." Widerrede wäre absolut zwecklos gewesen, also gingen sie jeweils in ihre Zimmer und trafen sich zehn Minuten später in der Hotellobby.


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