Kapitel 15: Alaras Geschichte (2)

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(TW: sensible Inhalte, Familienprobleme, Depression, Alkoholkonsum)

Wir saßen noch immer auf der Bank. Die Sonne ging unter und der Himmel vermischte sich in verschiedenen Farben.
Es herrschte Stille, keine unangenehme. Ich wartete bis Alara beruhigt war und hatte nicht die Intention aufzustehen, bevor sie erzählte was los war.
„Ich bin eine schlechte Psychologin." gab sie von sich.
„Du weißt, das ist nicht wahr. Wieso glaubst du das?", frage ich sie.
Das verwunderte mich ziemlich, da ich mich sehr wohl fühlte, mit ihr zu reden. Außerdem war sie sehr professionell.
„Ich beziehe die Probleme meiner Patienten auf mein eigenes Leben."
„Und das soll dich zu einer schlechten Psychologin machen?" fragte ich sie.
„Welcher guten Psychologin passiert so etwas?", stellte sie mir eine Gegenfrage.
Ich schaute ihr ins Gesicht aber sie meidete den Augenkontakt. Man konnte ihr anmerken, dass es ihr unangenehm war. Sie blickte weiterhin zum Sonnenuntergang.
„Alara, das ist deine erste Berufserfahrung.", antwortete ich.
Sie lies sich nicht überzeugen.
Wie konnte ich sie davon überzeugen?

Ich überlegte kurz und stand auf.
„Komm mit.", fuhr ich fort. Sie blickte mich fragend an. Ich streckte meine Hand aus und sie vertraute mir. Nach kurzem Denken nahm sie meine Hand und wir liefen gemeinsam zum Auto.

Die Fahrt verlief ziemlich still. Sie war zum Fenster gedreht und schaute nur raus. Das einzige, was unsere Stille brach, war das Radio. Wir fuhren eine Weile und kamen am Sportplatz von meiner Mannschaft an.
„Warum sind wir hier?", fragte sie, als ich das Auto parkte.
Ich antwortete nicht, stieg aus dem Auto und öffnete ihre Tür. Sie war sich sehr unsicher, aber folgte mir einfach.
Wir standen jetzt gemeinsam auf dem Feld und liefen zu den Bänken.
Es war die dritte Stufe, an der wir stehen blieben und uns hinsetzten.
„Warum hast du mich hierher gebracht Kenan?"
Ich lächelte sie kurz an.
„Als ich das erste mal vor einem Jahr auf diesem Feld stand, dachte ich, ich müsste der Nummer eins Profifußballer sein. Schließlich war das der Anfang meiner Karriere. Natürlich hatte ich Erfahrung, schließlich wurde mir der Platz nicht aus Spaß angeboten. Aber es war die erste richtige Mannschaft, in der mein Namen bekannt wurde." ich stoppte.
„Worauf willst du hinaus?", fragt sie mich. Sie klingt ziemlich interessiert.
„Ich hab so viel von mir selber erwartet, und an meinem ersten Tag so viel Druck gehabt. Ich war der neue und das Team hatte sich viel erhofft. Der Trainer kannte meine Leistungen und stellte mich stolz bei meinen Kollegen vor. Und dann fing mein erstes Training an. Wir spielten und spielten, rannten von Tor zu Tor, von links nach rechts und ich hatte so viel Druck in mir, weil man von mir erwartet hat, dass ich gut bin. Also MUSSTE ich gut sein."
„Was ist dann passiert?", sie schaute mir tief in die Augen.
Ihre Augen sind so wunderschön...
„Ich hab mir so viel Stress gemacht, der beste zu sein, dass meine Mannschaft wegen mir verloren hat. Ich hab ein Eigentor geschossen und war nicht gut genug."
„Aber es war doch nur Training oder?"
„Aber es war mein erstes Spiel in der Mannschaft. Ich hab mich wie ein Versager gefühlt. Die ganze Mannschaft hatte mich nach dem Training ganz anders gesehen und der Trainer hat mich im Nachhinein angeschissen. Ich hatte das Gefühl, ich hätte einfach in meiner vorherigen Mannschaft bleiben sollen. Ich dachte mit so einer Leistung, wird mein Name niemals bekannt werden."
„So ein Quatsch Kenan, du hattest so viel Druck auf dir. Hast dich selber so gestresst, dass du garkeine Konzentration mehr in dir hattest.", erklärte sie mir.
Ich lachte auf.
„Wieso lachst du?", fragt sie mich.
„Du hattest so viel Druck auf dir. Hast dich selber so gestresst, dass du garkeine Konzentration mehr in dir hattest.", wiederholte ich ihre Worte.
Jetzt merkte sie worauf ich hinaus wollte.
„Alara. Du bist eine gute Psychologin, und anscheinend traust du es dir auch zu, ansonsten hättest du das Studium nicht durchgezogen. Wenn du es dir zutraust, dann heißt es du bist auf dem richtigen Weg. Es wird immer Tage geben, die nicht gut laufen. Vor allem wenn das erst dein Einstieg ist und deine erste Berufserfahrung. Du kannst dich nicht selber so stark belasten. Vielleicht musst du einfach mal mit jemanden über deine Probleme reden. Vielleicht ist es das was du brauchst, bevor du dich stresst, eine perfekte Psychologin zu sein."

du bist nicht alleinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt