IV. Kapitel

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"Silence,
I discover,
is something
you can actually hear."

- Haruki Murakami

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Osha fürchtete sich davor, einzuschlafen. Sie wusste, dass sie wieder Albträume haben würde, sie wusste, dass sie wieder mit ihrem inneren Schmerz und der Schuld und ihrem Hass konfrontiert werden würde. Sie lag auf dem Rücken, den Blick nach oben gerichtet, die Decke bis zum Kinn hochgezogen. Sie merkte bereits, wie ihr Bewusstsein in den Schlaf zu driften begann. Die Müdigkeit in ihren Gliedern war zu bleiern, als dass sie ihrem Körper den Schlaf hätte verweigern können.

Nach ihrer Unterhaltung war Qimir nochmal nach draußen gegangen und seitdem nicht mehr zurückgekommen. Das letzte Tageslicht war mittlerweile gänzlich verschwunden.

Ich hätte Sol nicht töten dürfen …

Der Albtraum, den sie letzte Nacht gehabt hatte, war schlimmer gewesen als die Albträume, die sie nach dem Verlust ihres Zirkels hatte durchleben müssen. Weil sie jetzt wusste, dass der Mann, der für den Tod ihrer Mutter verantwortlich war, der Mann war, zu dem sie wie zu einem Vater aufgeblickt hatte. Der sie sechzehn Jahre lang belogen hatte. Er hatte geschwiegen, hatte sich nicht gestellt. Auch wenn er behauptet hatte, geschwiegen zu haben, um sie zu beschützen … am Ende hatte er damit nur sich selbst geschützt. Sol war nie mehr als ein verlogener Mörder gewesen. Und das zu erkennen, tat unheimlich weh.

Sie hätte es trotzdem nicht tun dürfen. Es rechtfertigte ihre Tat in keiner Weise, machte sie nur umso verwerflicher, weil sie Gleiches mit Gleichem vergolten hatte.

Er war zehn Jahre lang ihr Meister und sie sein Padawan gewesen. Trotz der Indoktrinierung der Jedi ... Er war immer verständnisvoll und geduldig gewesen, hatte ihr immer mit tröstenden Worten und einer helfenden Hand beigestanden. Es war nicht alles schlecht gewesen, auch wenn sie ihre Zeit im Jedi-Orden jetzt mit einem anderen Blick betrachtete. Sie wollte es kaum zugeben, aber sie konnte nicht leugnen, dass Qimirs Worte ihr zudenken gegeben hatten.

„Wieso hältst du dich immer noch für eine Jedi? Sie wollten dich nicht.“

„Das ist nicht wahr. Ich bin gegangen.“

„Warum?“

„Es war meine Entscheidung.“

„Bist du dir da sicher?“

Je länger sie darüber nachdachte, desto mehr musste sie sich eingestehen, dass sie sich nicht mehr sicher war. Osha konnte nicht zweifelsfrei sagen, dass es tatsächlich ihre Entscheidung gewesen war, den Orden zu verlassen, oder ob es nicht auch noch andere gegeben hatte, die sie beeinflusst haben könnten. Es war zermürbend, keine Gewissheit zu haben und auch keine mehr zu bekommen. Sechs Jahre waren eine lange Zeit und sie war sich bewusst, dass sie sich nicht auf ihre Erinnerungen verlassen konnte, zumal sie sich auch nicht einmal mehr richtig daran erinnern konnte.

Wieder wanderten ihre Gedanken zu Sol. Wieder war da die lähmende Schuld, die sich in ihre Gedanken fraß.

Es gab Personen, die es genossen, zu töten. Die es genossen, Macht über andere zu haben.

Osha war keine davon. Es hatte sich nicht gut angefühlt, Sol zu töten. Aber es hatte sich richtig angefühlt.

Dabei wäre Maes Weg der moralisch richtige gewesen. Sol vor Gericht zu stellen, damit er für seine Verbrechen zur Rechenschaft gezogen wurde. Es hätte keinen weiteren Tod gegeben.

Doch der Schmerz war zu tief gewesen, die Trauer und der Verrat zu schlimm. Und ihre Hand hatte sich gekrümmt, die Macht sich um seine Kehle geschlungen, bevor sie sich dessen überhaupt bewusst gewesen war.

Er sollte nur nicht mehr reden. Das war alles, was sie gewollt hatte. Sie wollte seine Ausreden, seine Lügen nicht mehr hören. Er sollte seine Liebe zu ihr nicht dazu benutzen, sein Schweigen zu rechtfertigen.

„Osha … Ist schon gut …“

Das waren seine letzten Worte gewesen. Als wäre sie es, die Absolution benötigte, der vergeben werden müsste. Dabei war er es, der um Verzeihung hätte betteln müssen. Doch er hatte nur nach Rechtfertigungen gesucht, hatte seinen Fehler auch nach all den Jahren nie eingesehen. Hatte sich weiter im Recht gesehen.

Sie hatte ihn getötet und es hatte sich richtig angefühlt. Doch warum zerbrach sie nun daran? Warum waren die Schuldgefühle so niederdrückend, die Reue so tief, dass sie kaum atmen konnte?

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Die Höhle war in tiefe Schatten getaucht, als Qimir zurückkehrte. Lange hatte er auf der Anhöhe gesessen und meditiert. Sein Geist war aufgewühlt, auch wenn er es sich nicht anmerken ließ.

Oshas Worte hatten ihn völlig aus der Bahn geworfen.

„Ich habe Angst, dass du mich verstoßen oder töten wirst, wenn du merkst, dass ich als Lehrling keinen Nutzen für dich habe.“

Er hatte nie vermutet, dass sie zu einer solchen Schlussfolgerung kommen könnte. Und doch … in ihren Augen war es naheliegend. Er hatte selbst gesagt, dass ihre Verbindung zur Macht stark war, hatte ihr angeboten, sie zu trainieren. Wie könnte sie zu einer anderen Folgerung kommen als der, dass es ihm nur um einen mächtigen Schüler ging. Auch wenn es Qimir missfiel, er musste zugeben, dass ihre Angst, von ihm verstoßen oder getötet zu werden, nicht unbegründet war. Nicht nachdem, was sie auf Khofar erlebt hatte.

Aber mittlerweile … es ging ihm nicht mehr nur um einen Schüler. Es ging ihm um Osha selbst. Es waren erst wenige Tage vergangen, seitdem sie einander auf Olega das erste Mal begegnet waren, doch die Verbundenheit, die er zu ihr empfand, schien zu wachsen. Vielleicht hing es damit zusammen, dass er sich so sehr selbst in ihr erkennen konnte …

Erst als sie seinen Helm aufgesetzt hatte, war ihm bewusst geworden, wie wichtig sie ihm in dieser kurzen Zeit bereits geworden war. Als er gemerkt hatte, dass etwas nicht stimmte … Er hatte solche Angst gehabt. Qimir war mit etwas konfrontiert worden, dass er nicht hatte kontrollieren können. Sie war zu unausgeglichen und der Helm hatte das verstärkt. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn er es nicht geschafft hätte, ihn ihr abzunehmen.

Qimir trat zu Osha. Ihr Körper war unruhig, ihr Schlaf von Albträumen durchsetzt, ihre Wangen nass von Tränen. Sein Herz zog sich unwillkürlich zusammen.

Er hatte genau dasselbe durchmachen müssen, mit dem sie gerade kämpfte. Schuldgefühle, Zorn, Hass, Trauer, Scham.

Sie musste erst aufarbeiten, was der Jedi-Orden ihr angetan hatte, musste aufarbeiten, was Sol ihr angetan hatte.

Ein weiterer Grund, warum er gehofft hatte, dass es Mae wäre, die die Prüfung bestand. Weil es nichts gab, was sie mit Sol verband, außer ihr Hass auf ihn. Weil Mae nicht daran zerbrochen wäre. Doch vielleicht war das auch der Grund gewesen, warum es Osha gelungen war. Weil die Gefühle, die sie mit Sol verband, so viel tiefer waren, so viel schwerer wogen, als es reiner Hass jemals konnte. Sol und Osha hatten einander wie Vater und Tochter geliebt. Und diese Liebe hatte den Verrat umso schlimmer gemacht, hatte es ihr unmöglich gemacht, keinen Hass zu empfinden. Ein Hass, der stark genug war, die Dunkle Seite der Macht zu nutzen.

Osha wand sich im Schlaf, murmelte lautlose Worte, während sich ihre Gesichtszüge vor Angst verzehrten. Sie so zu sehen war unerträglich. Qimir kam der Gedanke, seine Hand zum Trost auf ihre Schulter zu legen, doch er widerstand. Er wusste selbst, dass sie in dem Zustand, in dem sich ihr Geist befand, nicht zwischen Freund und Feind würde unterscheiden können und außerdem bereitete es ihm Unbehagen, ohne ihr Wissen oder ihr Einverständnis mehr als nötig in ihren persönlichen Raum einzudringen. Er konnte für sie da sein, wenn sie wieder eine Panikattacke hatte, aber er konnte sie nicht aus ihrem Albtraum reißen. So schwer es ihm auch fiel, er wusste nur zu gut, dass sie da durchmusste. Durch die Albträume hatte sie die Möglichkeit, das Geschehene unterbewusst zu verarbeiten und das war die beste Voraussetzung, damit sie es auch irgendwann bewusst würde verarbeiten können.

Qimir legte sich auf sein Lager, den Blick auf Oshas Gestalt gerichtet.

Was auch immer geschah, er würde auf sie aufpassen.

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