XIV. Kapitel

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You don't need
water to feel like
you're drowning,
do you?

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„Wenn du nichts gegen die Jedi unternehmen willst, warum willst du mich dann ausbilden?“, fragte Osha leise. Seit ihrem Gespräch am Strand waren bereits zwei Tage vergangen, doch Qimirs Worte ließen sie nicht los.

„Wenn wir diesen Planeten verlassen, würde sie uns jagen … Das Risiko ist zu hoch.“

Sie saß nah am Feuer. Manchmal hatte Osha noch immer das Gefühl, unter Wasser zu sein und von den eisigen Fluten in die Tiefe gezogen zu werden. Die Angst vor dem Ertrinken überwog in diesen Momenten beinahe sogar ihre Angst vor den lodernden Flammen. Es waren nur Gedanken, nur Erinnerungen. Doch sie wusste mittlerweile, dass es manchmal nicht mehr brauchte, damit die Panik ihre Klauen nach ihr ausstreckte. Wenn sie die Wärme des Feuers auf ihrer Haut spürte, konnte sie nicht ertrinken. Konnte nicht erfrieren.

Qimir saß an seiner Werkbank, ein Buch vor sich liegend. Es war aus festem weißen Papier und in Leder eingebunden, wie es sie früher häufig gegeben hatte. So ähnlich, wie auch ihr eigenes Skizzenbuch gewesen war. Sie fragte sich unwillkürlich, wo er es herhatte, denn solche Bücher wurden kaum noch hergestellt. Zumindest nicht in den Kernwelten. Er blickte zu ihr, legte das Stück Kohle beiseite, mit dem er geschrieben hatte.

„Weil ich wusste, welche Folgen der Mord an Sol für dich haben wird“, antwortete er. „Weil ich nicht wollte, dass du das allein durchmachst. Weil ich nicht wollte, dass du den Jedi in die Hände fällst.“

Seine Gründe waren valide. Logisch. Und doch … da steckte noch mehr dahinter. Warum wollte er gerade sie trainieren? Obwohl er bei ihrer Schwester versagt hatte? Weil er bei ihrer Schwester versagt hatte? Wegen ihrer Macht? Eine Macht, auf die sie nun nicht mehr zugreifen konnte. Aber selbst wenn … er wollte diesen Planeten nicht verlassen. Vielleicht niemals. Auch wenn es irre war, überhaupt darüber nachzudenken. Bisher konnten sie sich auf dieser Insel gut selbst versorgen, doch es musste nur einmal ein Sturm kommen, der viel heftiger war als der letzte. Der die Höhle fluten, die mühsam angelegten Felder zunichtemachen würde. Wenn sich einer von ihnen ernsthaft verletzen würde, würde das kleine Medikit mit dem wenigen Bacta kaum ausreichen.

Außerdem war da immer noch diese Verbundenheit, die sie zu ihm empfand. Oder war es Zuneigung? War es auch etwas, was er empfand? Doch warum sollte er es ausgerechnet für sie empfinden, wenn sie doch nichts im Vergleich zu ihrer Schwester war?

Aber dennoch … sie musste wieder an den Moment in der Apotheke auf Olega denken. Der Ausdruck in seinen Augen, als er sie angesehen hatte.

„Du siehst genauso aus wie sie.“

Als wäre sie alles, wonach er jemals gesucht hatte. Die Antwort auf all seine Fragen.

Sie schüttelte über ihre eigenen Gedanken den Kopf, musste fast darüber lachen. Es war nichts als ein Hirngespinst. Der Wunsch, mehr zu sein als Macht, als Hexe, als Jedi. Der Wunsch, dass jemand ihr Innerstes sah, all ihre Ängste und Fehler und Wünsche kannte und trotzdem bei ihr blieb.

„Qimir …“

Er blickte sie an, offen, intensiv. Als wäre es das erste Mal, dass er sie sah. Osha wurde bewusst, dass es das erste Mal war, dass sie seinen Namen ausgesprochen hatte.

„Wir können doch nicht ewig hierbleiben …“, meinte sie.

„Hier ist es sicher. Hier kann sie uns nicht finden“, entgegnete er bloß. Es wirkte, als würde er die Worte eher zu sich selbst sprechen als zu ihr. Wieder hatte er die Augen auf das Papier geheftet, fuhr mit dem Finger geistesabwesend die Schriftzeichen nach. Verwischte sie dabei ein wenig.

„Ich habe gesehen, was du kannst“, sagte Osha behutsam, fast zögerlich. In ihren Augen war Qimir immer furchtlos. Er nahm es mit acht Jedi auf einmal auf, er brach die Regeln und grinste mit einem Lichtschwert an der Kehle.

„Warum hast du solche Angst vor ihr?“

„Sol hatte zweimal die Möglichkeit, mich zu töten“, antwortete Qimir heftig. Er hatte seinen Blick wieder auf Osha gerichtet, fixierte sie. In seinen Augen lag Wut doch dahinter ... glomm Verzweiflung. Hilflosikeit. „Sie ist noch um ein Vielfaches stärker. Sowohl in der Macht als auch im Kampf. Wenn Sol dir mit fünfzehn Jahren den Rücken aufgeschlitzt hätte, hättest du auch Angst. Wenn es nur der Hilfe von Fremden zu verdanken war, dass du überhaupt überlebt hast …“

Er schluckte hart, wandte den Blick ab. „Ich weiß bis heute nicht, was sie gesehen oder gespürt hat. Was sie dazu verleitet hat, mir in den Rücken zu fallen …“ Qimir blinzelte, starrte auf die Buchseiten, auf die schwarzen Zeichen auf dem Papier.

Osha blieb stumm, unfähig, etwas zu sagen. Sein Ausbruch hatte sie erschreckt. Doch vielmehr noch erschreckten sie seine Worte.

Er war fünfzehn gewesen, als es passierte ...

„Die allwissenden Jedi“, höhnte Qimir leise, „die Eltern ihre Kinder stehlen und bereit sind, diese umzubringen, wenn sie glauben, die Kontrolle zu verlieren. Die diese Kinder fallen lassen, wenn sie zu emotional sind. Die einen Hexenzirkel auslöschen, nur um zwei Zwillinge in die Finger zu bekommen, weil sie glauben, dass mit ihnen irgendetwas nicht stimmt. Die jedwede Untat, jedes noch so grausame Verbrechen mit Frieden rechtfertigen.“

Sein Blick suchte erneut den ihren. Osha bemerkte das Zittern seiner Stimme. Dass sie zum Ende hin fast brach. Dass seine Finger bebten. Dass Tränen in seinen Augen standen. Tränen, die über seine Wangen liefen.

Sie erhob sich von ihrem Platz am Feuer, trat zu ihm. Umschloss seine Hand mit ihrer.

Qimir schlang seinen anderen Arm um ihre Hüfte, zog sie ein Stück näher, sodass sie nun direkt vor ihm stand und sein Kopf an ihrer Schulter lehnte. Er war immer das Gleichgewicht zu ihrem Chaos, der Beständige. Und nun fiel er auseinander.

Qimir, dem es egal war, wenn er blutete und der keine Angst vor dem Tod hatte.

Qimirs Körper bebte, die leisen Schluchzer wurden haltloser, der Tränenfluss endete nicht. Es war keine Panikattacke. Es war ein Ausdruck von Angst, Hilflosigkeit und Verzweiflung. Es war Schmerz. Grausam und niederdrückend. Zwei Jahrzehnte alter Schmerz, der noch immer nicht vergangen war. Der nie vergehen würde.

Der Tod war ein gutes Versteck gewesen. Solange Vernestra glaubte, ihn umgebracht zu haben, konnte ihm nichts geschehen. Jetzt war nur noch diese Höhle, diese Insel, dieser Planet ein Versteck.

Der Verrat, der Mordversuch seiner Meisterin hatte ihn gezeichnet. Körperlich wie seelisch. Es hatte ein Trauma hinterlassen, das nun mit aller Macht zum Vorschein kam.

Qimir war so ruhig, war so sehr im Gleichgewicht, dass Osha manchmal fast vergaß, dass auch er litt. Bisher war er es immer gewesen, der sie aufgefangen hatte, wenn sie ins Bodenlose stürzte. Jetzt musste sie es sein. Wollte es sein.

„Bitte …“

Qimirs Stimme war leise, gebrochen. „Bitte verlange nicht von mir, diesen Planeten zu verlassen. Ich habe zu viel Angst, ihr erneut gegenüberzutreten. Sie würde uns beide töten ...“

Plötzlich hatte Osha das Gefühl, Qimirs Schmerz im eigenen Leib spüren zu können. Ein Echo, das in ihrem Geist nachhallte.

Furcht. Lähmende, grässliche Furcht.

Die Angst eines Jungen, dessen gesamte Welt zusammengebrochen war. Der kein Zuhause mehr hatte. Der die Spuren eines schrecklichen, unbegreiflichen Verrats auf dem Rücken trug. Eine Meisterin, die das Undenkbare getan und ihren Padawan, ihren Schutzbefohlenen angegriffen hatte. Versucht hatte, ihn umzubringen.

„Das werde ich nicht“, murmelte sie. Merkte, dass ihre eigene Stimme bei den Worten fast brach. „Ich verstehe es jetzt ...“ Sie schluckte ihre Verzweiflung hinunter.

„Wir haben alles verloren. Doch wenn man alles verliert, dann ist man endlich frei“, zitierte Osha seine eigenen Worte.

„Du bist nicht allein.“

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