VIII. Kapitel

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"Experience is the hardest
kind of teacher.
It gives you the test first
and the lesson afterward."

- Oscar Wilde

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Osha schloss die Augen. Sofort schien es, als würden ihre anderen Sinne stärker werden. Ihre Atmung war ruhig und gleichmäßig. Ihr Brustkorb hob und senkte sich langsam, während sie ein- und wieder ausatmete. Wie die Wellen, die an den Strand rollten und sich wieder zurückzogen. Wie der beständige Atem des Meeres.

Sie hörte die Brandung, spürte den kalten Wind, der über ihre Haut strich, roch das Salz in der Luft. Einige Skura zwitscherten. Das ferne Donnergrollen eines herannahenden Sturms drang an ihre Ohren.

Und doch …

Es war nur das, was sie über ihre Sinne wahrnahm.

Osha versuchte, sich auf das zu konzentrieren, was sie fühlte. Da war immer noch die Glut des Zorns in ihrem Inneren. Ihre Sorge um Mae. Die Schuldgefühle, die sie wegen der Ermordung von Sol verspürte. Die Angst vor den Albträumen.

„Nutze diese Gefühle, Osha. Sie sind die Quelle deiner Kraft.“ Qimirs Worte hallten in ihrem Kopf wider. Wenn er es sagte, klang es so einfach. „Greife nach der Macht. Spüre sie.“

Ihr Körper begann vor Anspannung zu zittern.

Sie ließ sich tiefer in die Meditation fallen.

Die Schuld wurde schlimmer.

Sol, der seine Entscheidung rechtfertigte.

Sol, der keine Luft mehr bekam.

Sol, der auf die Knie fiel.

Sol, der tot zu Boden sank.

Sol, der sich dafür einsetzte, dass sie im Jedi-Orden aufgenommen wurde.

Sol, der sie voller Stolz anlächelte, als sie offiziell zu seiner Padawan ernannt wurde.

Sol, der sie immer dazu ermutigt hatte, es weiter zu versuchen, wenn ihr etwas nicht beim ersten Mal gelang.

Sol, der das erste Mal, seit sie ihn kannte, Tränen in den Augen hatte, als sie den Jedi-Orden verließ.

Sie bekam keine Luft mehr.

Verzweifelt griff sich Osha an die Brust, spürte ihr rasendes Herz unter ihren Rippen. Sie keuchte, beugte sich vornüber, die Augen fest zusammengekniffen.

Die Brandung wurde ohrenbetäubend. Wellen, die sie unter Wasser drückten. Orientierungsverlust. Druck auf ihren Ohren. Salzwasser, das in Mund und Nase eindrang. Sie prustete. Versuchte, die Oberfläche zu finden. Doch da war nur Dunkelheit. Nur Wasser überall um sie herum. Kein Ausweg. Kein Licht. Nur Schmerz, als ihr Brustkorb immer enger, der Druck auf ihre Rippen unerträglich wurde. Als das Wasser in ihre Lunge drang.

Als sie ertrank.

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Als Osha wieder zu sich kam, lag sie am Strand. Ihre Kleidung klebte an ihrem Körper. Sie hustete, spuckte Salzwasser aus, keuchte erstickt. Dann setzte sie sich langsam auf, blickte sich um.

Wenige Meter von ihr war der flache Stein, auf dem sie meditiert hatte. Dann war sie plötzlich im Meer gewesen …

Doch wie …?

Es ergab keinen Sinn.

Die Sonne war längst untergegangen, der Himmel erstrahlte im Blaugrau der Dämmerung. Mit jeder Minute wurde es dunkler. Normalerweise wäre sie bereits längst wieder in der Höhle.

Ob Qimir sich Sorgen um mich macht?

Im selben Moment schüttelte sie den Kopf über diesen Gedanken.

Warum sollte er das tun?

Osha stand auf und lief ein paar Schritte vorwärts, als ihre Beine unter ihr nachgaben. Sie stürzte, fing sich gerade noch mit den Armen ab. Diesmal vorsichtiger, erhob sie sich erneut.

Ihr Köper fühlte sich seltsam kraftlos an. Erst jetzt bemerkte sie die lähmende Kälte in ihren Gliedern. Sie schlang die Arme um ihren Oberkörper, in dem Versuch, sich zu wärmen. Der Wind war kälter geworden, schneidender. Dunkle Wolken ballten sich am Horizont zusammen, wurden vom Wind hierhergetrieben. Sie war sich sicher, dass es heute Nacht gewittern würde.

Langsam machte Osha sich auf den Rückweg.

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Osha hatte das Gefühl, noch nie so froh zu sein, sich an ein Feuer setzen zu können. Der Stoff auf ihrer Haut war noch immer klamm. Sie blickte sich kurz um, doch Qimir war nirgends zu sehen. So schnell es ihr möglich war schlüpfte sie aus den nassen Sachen und zog sich trockene an. Sie nahm noch ihre Decke vom Bett und wickelte sich darin ein, bevor sie sich diesmal nah an die Flammen setzte und nach der Schüssel mit Suppe griff, die Qimir offenbar für sie dorthin gestellt hatte.

Osha merkte, wie die Kälte langsam verschwand, als sich mit dem Essen auch ihr Inneres mit Wärme füllte. Nur ihre Haare waren noch feucht. Sie aß die letzten Löffel Suppe, stellte die Schale danach neben sich ab und zog die Decke enger um ihre Schultern.

Die Flammen des Feuers warfen tanzende Schatten an die Höhlenwände. Das Donnergrollen von draußen klang nun deutlich näher.

Osha hatte die Knie vor die Brust gezogen und die Arme darum geschlossen, ihre Finger zwischen die Beine geklemmt. Auch wenn ihr bereits deutlich wärmer war, bibberte sie noch immer.

„Ich habe mir Sorgen um dich gemacht.“

Sie zuckte zusammen. Ihr Blick sprang zum Eingang der Höhle. Der Himmel war mittlerweile schwarz, die Wolken verdeckten alle Gestirne. Qimir trat langsam näher. Manchmal fand sie sein lautloses Auftauchen fast unheimlich.

Er setzte sich neben sie ans Feuer, musterte sie. Osha blinzelte. Sie wusste nicht, was sie auf seine Worte entgegnen sollte, aber er schien auch keine Antwort erwartet zu haben. Offenbar hatte sie sich jedoch geirrt.

„Warst du baden?“, fragte er mit einem amüsierten Glitzern in den Augen, als er bemerkte, dass ihre Locs vor Nässe schimmerten. Wie die Perlen aus Glas, die sich manche der Hexen ins Haar geflochten hatten.

„Eher unfreiwillig“, antwortete Osha. Sie starrte kurz in die Flammen, bevor sie ihm erzählte, was passiert war.  

Als sie geendet hatte, lag seine Stirn in Furchen. „Das ist tatsächlich merkwürdig“, murmelte Qimir, während er ins Leere blickte.

„Was ist da mit mir passiert?“ Osha schaffte es nicht, die Angst aus ihrer Stimme zu verbannen. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, als sie erneut daran dachte. Sie hatte eine Panikattacke bekommen. Und dann war sie plötzlich im Meer gewesen, drauf und dran, zu ertrinken. Aber sie war nicht ertrunken …

„Ich weiß es nicht, Osha“, gab Qimir zu.

„Ich habe getan, was du gesagt hast“, flüsterte sie, in die Flammen starrend. Nervös knetete sie ihre Hände. „Ich habe mich auf meine Gefühle konzentriert. Habe versucht, die Macht zu spüren, nach ihr zu greifen. Es hat nicht funktioniert. Doch meine Gefühle … es war plötzlich so viel. Es hat mich überwältigt, ich bin in Panik verfallen. Dann war ich plötzlich im Meer. Und dann bin ich erst vor kurzem wieder zu mir gekommen und hierher zurückgekehrt.“ Ihre Stimme überschlug sich beinahe. Vielleicht würde sie verstehen, was passiert war, wenn sie es nur oft genug erzählte ...

„Ich wünschte, ich könnte dir sagen, was geschehen ist“, entgegnete Qimir ruhig.

Er streckte die Hand aus und zog die Decke wieder über ihre Schultern, als sie herunterzurutschen drohte. Seine langen Finger berührten kurz ihren Hals, was ein angenehmes Ziehen in ihrem Magen verursachte.

Osha blickte ihn an. „Es war beängstigend“, murmelte sie. „Gruseliger als alles, was ich je zuvor erlebt habe.“

„Ich weiß.“ Seine Finger strichen flüchtig über ihre Wange. Fast als wäre es ein Instinkt. Die Berührung war so zart, dass sie für einen Moment glaubte, sie sich nur eingebildet zu haben.

„Ich dachte ich sterbe …“, flüsterte Osha. Erneut schauderte sie.

Qimir sah ihr fest in die Augen, als er leise sagte: „Das würde ich nicht zulassen.“

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