Hallo...

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Zwei Wochen später...

Es war Anfang November und unser Garten sah genauso trist aus, wie das Wetter.

Ich stand vor dem Terrassenfenster, wärmte meine Hände an einer Tasse Tee und guckte nach draußen. Der Rasen musste runter und die Hecke hätte längst schon geschnitten werden sollen. Stefan hatte sich sonst immer darum gekümmert...

,,Schatz, hast du mir gerade überhaupt zugehört?"
Ich musste Tim heute noch unbedingt anrufen und ihn bitten, mich noch etwas von der Arbeit freizustellen!
„Katharina?"
Die Arbeit auf der Intensivstation war aktuell für mich undenkbar! Ich musste erst einmal mein eigenes Leben wieder auf die Reihe bekommen, bevor ich mich um das anderer Menschen kümmerte.

Eine Hand berührte vorsichtig meine Schulter.
Gott, die Fenster sahen aus, als ob sie schon ein halbes Jahr nicht mehr geputzt worden waren.
„Katharina?", meine Mutter stand jetzt direkt neben mir.
„Wo bist du gerade mit deinen Gedanken,hm?"
Ich löste widerwillig meinen Blick von einem Fleck Vogelkacke auf unserem Terrassentisch und drehte mich zu ihr um.

„Ich muss den Rasen unbedingt noch mähen, bevor der erste Frost kommt."
Meine Mutter sah mich nachdenklich an, aber hakte nicht weiter nach.
„Wie kommen denn die Kinder mit der Situation zurecht?", forschte sie weiter.
Weil ich sie sehr lieb hatte und die letzten zwei Wochen ohne ihre Unterstützung so nicht geschafft hätte, wollte ich ihren Monolog mit mir beenden.

„Mama, wie sollen die Kinder damit zurechtkommen? Wir haben hier 15 Jahre zusammen gelebt und jetzt ist Stefan plötzlich nicht mehr da. Glaubst du allen Ernstes, dass es Kinder in dem Alter verstehen, warum ihr Vater sie für einen Mann verlassen hat?"
Ich musste mir fest auf die Zähne beißen, da ich meine ganze Verzweiflung, meine Angst und meine Wut nicht an ihr auslassen wollte.

„Jonas macht das doch schon alles mit sich selbst aus und Jule freut sich aktuell sowieso nur über das neue Nachbarsmädchen. Ich denke den Kindern geht es gut."
„Oh, ist das Haus nebenan endlich verkauft? Das wurde aber auch Zeit! So ein schönes Grundstück!", schwärmte meine Mutter.
„Ja, vor einer Woche ist der neue Käufer eingezogen. Seine Tochter geht mit Jule in eine Klasse.Die Frau habe ich noch nicht gesehen. Scheint viel unterwegs zu sein."

Ich hatte so viel mit mir selber zu tun gehabt, dass ich mich noch nicht einmal bei meinen neuen Nachbarn vorgestellt hatte.
„Ok, Katharina du meldest dich bitte, wenn du etwas brauchst! Wenn ich dir die Kinder abnehmen soll oder für euch kochen soll...."
Sie kam auf mich zu, schloss mich in die Arme und hielt mich fest.
„Du schaffst das! Du bist stark! Du bist nicht alleine!"

„Danke Mama."
Ich genoss ganz kurz ihren vertrauten Geruch und löste mich dann von ihr.
Wir gingen zusammen zur Haustür.
„Ein tolles Auto", sagte meine Mutter , als sie den neuen großen BMW SUV auf der Nachbareinfahrt stehen sah.
„Vielleicht ist die Frau ja nett und ihr könnt euch etwas anfreunden", strahlte sie mich an.

Angeberkarre, dachte ich nur, winkte meiner Mutter kommentarlos nochmals zu und schloss die Tür.
Die einzige Frau, die ich zurzeit in meinem Leben ertragen konnte, war Nike!
Sie und Niklas waren an dem Sonntag vor zwei Wochen für mich da gewesen!

Niklas hatte kurz mit Stefan gesprochen und ihm nahegelegt, bis auf weiteres bei jemand anderem unterzukommen und Nike hatte mich einfach nur in den Arm genommen.
Und Stefan?
Der hatte tatsächlich fast kommentarlos seine Sachen gepackt und mir gesagt, dass er vorerst bei seinen Eltern bleiben würde.
Mit den Kindern wollte er selber in Ruhe sprechen....

Ich sah auf die Uhr, bis die Kinder nach Hause kamen, hatte ich noch fast zwei Stunden Zeit. Mein Handy zeigte mir eine neue Nachricht von Nike an.
Ich lächelte...
Es war zu unserer täglichen Routine geworden, ganz kurz miteinander zu schreiben oder zu sprechen.

>> Alles okay bei dir? Ich habe gerade ein paar Minuten Pause. Glaub mir, du verpasst aktuell nichts auf der Arbeit. Die Station ist voll und alle haben genug zu tun. Was machst du?<<

Mit ihren Nachrichten wollte sie immer nur vorsichtig nachfragen, ob ich zurecht kam.
Das war eine liebevolle Geste...
Nach der Sache mit Sina im Sommer und dem Ehe-Aus mit Stefan, wollte ich einfach nur meine Ruhe haben!
Ich konnte es nicht abstreiten, dass mich Nike faszinierte und mich auch auf körperliche Art und Weise nicht kalt ließ. Aber....
Was hatte das für eine Perspektive?

Ich war keine 20 mehr!
Aktuell war ich eine alleinerziehende Mutter mit zwei Teenagern und einem Haus.
Diese Fakten hielten mich vorerst davon ab, irgendeine Fehlentscheidung zu treffen.
Ich brauchte wieder Struktur, meine Arbeit...
Ich brauchte Geld!!
Das Haus war längst noch nicht abbezahlt...

>>Ja, ich komme klar. Muss den Rasen mähen.<<

Um auf andere Gedanken zu kommen, zog ich mir eine warme Weste über, band meine Haare zu einem Knoten auf dem Kopf zusammen, schlüpfte in meine Gummistiefel und wickelte mir einen Schal um den Hals.
Ich ging durch den Flur und blieb kurz vor dem Spiegel stehen.
Du meine Güte...
Ich sah aus, wie eine dicke Vogelscheuche.

Wen interessierte es...

Über unsere Terrasse lief ich zum Gartengerätehaus, holte den Rasenmäher und wollte loslegen.
In den ganzen Jahren, in denen wir hier wohnten, hatte ich nicht ein einziges Mal den Rasen gemäht. Mein Platz waren der Herd und die Küche. Ich versuchte mich deshalb daran zu erinnern, was Stefan immer gemacht hatte...

Kräftig zog ich an dem Band...nichts passierte.
Ich hielt den Griff und den Antrieb zusammen gedrückt, zog nochmals...nichts passierte.
„ So eine verdammte Scheiße", fluchte ich lauter und impulsiver, als ich es eigentlich wollte!
„ Warum kann nicht ein mal etwas funktionieren..."!

Ich hätte vor Wut fast gegen den Rasenmäher getreten, als ich vom Nachbargrundstück ein Lachen hörte.
Durch den dicken Schal und meine angestaute Wut, war mein Gesicht sowieso schon rot, aber  ausgelacht zu werden, da flog bei mir nach der Aktion von Stefan eine Sicherung raus.

Ich drehte mich ruckartig um und trampelte mit meinen Gummistiefeln zu der Stelle des Nachbargrundstückes, woher das Lachen kam.
„ Haben Sie nichts besseres zu tun, als mich ...".
Der Satz blieb mir im Hals stecken.

Vor mir am Zaun stand ein Mann.
Er war bestimmt 1,90 m groß, schlank, athletisch.
Ganz kurze Haare.....
Er sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an und lächelte... So, als ob er darauf wartete, was ich ihm noch alles an den Kopf werfen wollte!
Sein Lächeln erreichte seine Augen.
Unglaubliche Augen...
Ich konnte nicht wegsehen!

Sie waren grau, fast silber.
Er stand am Zaun, trug eine schwarze Jogginghose und ein kurzärmeliges schwarzes Thermoshirt. Um seinen rechten Oberarm zog sich ein schwarzes Ring Tattoo .
Bitte, lass es nur den Gärtner sein, flehte ich innerlich!

„ Hallo, schön dass wir uns mal kennenlernen! Sie müssen Katharina sein. Ich bin Alexander Schulz, ihr neuer Nachbar. Sie können auch gerne Alex sagen".
Er legte seine Heckenschere auf die Erde und hielt mir zur Begrüßung seine Hand hin.
„Brauchen Sie vielleicht meine Hilfe?"fragte er mich freundlich.
Ich starrte auf die Hand, zögerte einen Augenblick, drehte mich um und ging wieder zum Rasenmäher zurück.

„Versuchen Sie es mal mit Benzin", rief er mir noch nach und ich hörte, wie er lachend mit seiner Heckenschere weitermachte.
Was hatte ich nur in meinem Leben verbrochen, dass Gott mich ständig auf die Probe stellen musste...?

Ich öffnete den Tank, holte aus dem Gerätehaus einen Kanister Benzin und füllte es bis zur Markierung auf.
Einmal kräftig gezogen und dann lief das blöde Ding endlich.
Wie zum Beweis, dass ich es auch ohne seine Hilfe geschafft hatte, schob ich demonstrativ an der Hecke vorbei, aber Alexander war nicht mehr da.

Keine Angst, Liebes ! ( Dritter Teil )Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt