Lauft, lauft, lauft

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Durchhalten!

Aufgeben war jetzt keine Option!

Nie wieder Lebkuchen und Schokolade!

Meine In Ear Kopfhörer hämmerten die schon etwas verstaubte Spotify Playlist herunter und ich hoffte inständig, dass sie mir dabei half, dieses Martyrium hier zu bewältigen.

Es war Dienstag und in meinem relativ entspannten Frühdienst war mir die wahnwitzige Idee gekommen, mal wieder meine Laufschuhe rauszukramen.
Stefan hätte mich ausgelacht, wenn er mich jetzt so sehen würde.
Vor den Schwangerschaften war ich fit. Ich war nie gertenschlank, aber 3x die Woche 10 km waren kein Thema.

Und heute?
Bis ich mal passende Klamotten gefunden hatte, in denen ich mich erstens gut bewegen konnte und zweitens nicht aussah wie Miss Piggy aus der Muppetshow, hatte schon etwas gedauert.

Mich überholte ein großer, athletischer junger Mann, der mich hier wahrscheinlich nur als Verkehrsbehinderung ansah. Das hautenge Funktionsshirt klebte ihm wie angegossen am Körper.
Bestimmt Sportstudent.
Außer Partys und lange im Bett zu liegen, hatten die meisten von ihnen wahrscheinlich auch sonst keine anderen Sorgen.

Zum bestimmt x-ten mal fragte ich mich, warum ich mir das hier antat...
In einer alten, halbwegs passenden Leggings, einem dazu nicht passenden, eigentlich viel zu großen Langarmshirt von Stefan, das jenseits von atmungsaktiv war, 6.5 km um den Aasee zu stolpern.
Ich besaß nicht einmal einen Sport-BH und meine größeren Brüste wippten bei jedem Schritt unangenehm hin und her.

Warum ich mir die Blöße hier gab?
Nachdem mir Stella am Samstag die Zusage für den Job im ECLIPSE gegeben hatte, ging mir quasi der Arsch auf Grundeis.
Vor ZWEI Frauen Getränke zuzubereiten war definitiv etwas völlig anderes, als vor einer Anzahl mir,

unbekannter...
angetrunkener ...
nackter...
hormongesteuerter...
angeturnter...

Frauen und Männer.

Stand heute war, ich würde es schaffen.
Es gab keine andere Option, bei der ich in so kurzer Zeit, so viel Geld verdienen konnte.
Ich brauchte das Geld, um die ganzen anfallenden Rechnungen, die wie kleine Geschenke immer zum Jahresende eintrudelten, zu bezahlen.
Ob ich Samstag allerdings immer noch der gleichen Meinung sein würde?

Zwei junge Mädels in ultrakurzen!, hautengen Laufshorts und dem natürlich! dazu passenden, fast bauchfreien Shirt, liefen mich fast über den Haufen, weil sie mehr mit sich selbst und ihrem Handy beschäftigt waren, als auf andere zu achten.
Respekt!
Und am Ende der Woche landeten genau diese Leute in der Notaufnahme mit einer akuten Nierenbeckenentzündung...

Wo die Eitelkeit anfängt, hört der Verstand auf!
Das hatte mir meine Oma früher schon immer gesagt.
Ich hasste eitle Menschen.
Die Hälfte hatte ich geschafft und ich spürte trotz der Kälte, wie mir der Schweiß in kleinen Rinnsalen den Rücken hinunter lief und weiter Richtung Po.
Ich wischte mir mit dem Ärmel des Shirts kurz über die Stirn und versuchte mich mehr auf meine Atmung zu konzentrieren.

Langsam und gleichmäßig.
Ein...
Das Laub fiel unaufhörlich von den Bäumen und bedeckte die Grünflächen wie eine schützende Decke aus orange, rot, gelb und braun.
Aus...
Schönes konnte so einfach sein. Völlig kostenlos. Deshalb war mir auch die Idee mit dem Joggen gekommen. Hatte man mal den inneren Schweinehund überwunden, war es ein super Ganzkörpertraining.
Eine Mitgliedschaft in einem Fittnessstudio hätte ich mir aktuell sowieso nicht leisten können.

So elegant ich konnte, joggte ich an einem älteren Ehepaar vorbei, das mich mitleidig anstarrte.
Verständlicherweise...
Ich sah wahrscheinlich alles andere als sportlich aus!
Meine Beine wurden schwerer, meine verkrampfte Atmung bescherte mir langsam aber sicher Seitenstechen und das komplett falsche Trainingsoutfit sorgte dafür, dass mir sämtliche Klamotten am Leib klebten.

Endspurt...
Der letzte Kilometer.
Ironischerweise prügelte die Band jetzt ein Lied auf mich ein, das mich dazu verleitete, sämtliche Kraftreserven zu mobilisieren und möglichst grazil zu laufen.
Der Entgegner stand mir nämlich noch bevor. Kurz vor dem Ende, kam ich an einer großen Treppe vorbei, auf der um diese Zeit die Elite von morgen saß!

Es wird kein Erbarmen geben,
lauft, lauft, lauft,lauft ,lauft um euer Leben...

Genau das tat ich auch!
Hauptsache schnell dort vorbei.
Während ich mit einem Auge mitbekam, wie einige Mädels lachten, während sie an ihrem veganen Chai-Latte mit Pflanzenmilch nippten,
nahm ich sogar einen jungen Mann war, der mir zulächelte und mit dem Daumen nach oben zeigte.

Geschafft.
Meine Beine fühlten sich an wie Pudding und mein Gesicht leuchtete bestimmt wie ein Feuerlöscher.
Trotzdem hatte ich es geschafft.
Deutlich langsamer als hin, fuhr ich mit dem Rad zurück, da es langsam dunkel wurde.
Eigentlich müsste ich noch ein paar Teile für meinen Geburtstag einkaufen, aber das musste jetzt warten.

Zuhause angekommen stieg ich fix und fertig vom Rad und wollte es gerade abschließen, als die Haustür von Alex aufging und er in kurzen, sehr sportlich aussehenden Laufklamotten aus dem Haus trat.
Bitte nicht ...
Es war leider noch nicht dunkel genug, dass man mich, oder besser gesagt, das Desaster von mir, hätte übersehen können.

Genau das musste ihm auch gerade durch den Kopf gegangen sein, denn er stutzte einen Moment, glitt prüfend mit seinem Blick über mich und kam mir entgegen.
„Guten Abend, schön, dass ich dich mal wieder sehe!"
Ich hoffte sehr, dass er in möglichst weiter Entfernung von mir stehen blieb, denn ich roch ziemlich sicher nach Schweiß.
„Du, wegen Samstag... Ich habe mir Sorgen um dich gemacht! Ich weiß, wir zwei kennen uns noch nicht so lange, aber ich hatte einfach ein ziemlich ungutes Gefühl, als ich dich mit Nike dort abgesetzt habe."

Oh, das war ja eine ganz andere Tonart...Er wirkte fast etwas kleinlaut und sah mich mit einem entschuldigen Blick an.
„Ich habe erst vor kurzem jemanden verloren, der mir sehr viel bedeutet hat. Seitdem versuche ich noch mehr, alles was mir wichtig ist,zu beschützen, Katharina!"
Er stand jetzt fast vor mir und ich roch sein frisches Deo oder war es Parfum?
Vielleicht half sein toller Geruch, den unangenehmen von mir zu überdecken...

Ich strich mir verlegen die verschwitzen Haare aus der Stirn und versuchte aus so naher Entfernung, in der er vor mir stand, bestmögliche Schadensbegrenzung zu machen.
„Alex, es ist schon okay. Wirklich! Ich komme klar. Ich muss klar kommen und das am besten alleine!"
Weil ich wirklich Angst davor hatte, das ich unangenehm roch, drehte ich mich schnell von ihm weg und schloss die Haustür auf.
Ich spürte jetzt schon, dass ich einen richtigen üblen Muskelkater bekommen würde, aber wer schön sein wollte...

„Katharina", hörte ich Alex hinter mir, während er sich langsam rückwärts von mir entfernte.
„Du bist nicht alleine! Sag mir einfach Bescheid, wenn du mich brauchst!"
Er drehte sich um und ich sah ihm nach, wie er unfassbar locker und elegant davon joggte.
Er machte sich Sorge um mich ....

Keine Angst, Liebes ! ( Dritter Teil )Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt